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Russland: Besuch im politischen Jugendlager

26. Juli 2007

Tausende Aktivisten der kremltreuen Jugendorganisation "Naschi" versammeln sich zurzeit zum Sommerlager am Seliger See außerhalb Moskaus – auch zur ideologischen Einstimmung auf die kommenden Wahlen.

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Wache im Lager der kremltreuen "Naschi"Bild: picture-alliance/dpa

Es ist wie ein kleiner "Staat im Staat": Ein Gebiet am Ufer des Seliger Sees mit einer Bevölkerung von 7.000 Menschen, mit eigenen Gesetzen und sogar einem eigenen Wachdienst. So sieht das Sommerlager für Jugendliche aus, das bereits zum dritten Mal von den Ideologen der Bewegung "Naschi" errichtet wurde.

Traum vom starken Russland

Die Grenze des Territoriums wird bewacht, so wie es sich für eine Staatsgrenze gehört. Wir Journalisten, die eine Stunde zu früh eingetroffen sind, dürfen die Passierstelle erst zum vereinbarten Termin überschreiten. Allein durch das Lager spazieren darf man nicht, weil man sich angeblich verlaufen könnte. In Wirklichkeit achtet ein so genannter "Guide", der jedem Gast zur Seite gestellt wird, darauf, dass es auf unsere Fragen die richtigen Antworten gibt. Ein starkes Russland wollen die jungen Leute aufbauen: "Aus uns will man eine Generation machen, die die Welt zum Besseren verändert." – "Wir bemühen uns, eine souveräne Demokratie aufzubauen, damit alle Menschen die gleichen Möglichkeiten bekommen. Damit es keine Oligarchen und keine einfache Bevölkerung gibt, damit alle gleich sind." - "Wir brauchen Menschen wie Wladimir Putin, die sich um das Schicksal Russlands sorgen, die bereit sind, Amerika und die Europäische Union herauszufordern." – So die Antworten der Jugendlichen.

Der Kreml ist nicht geizig, wenn es um die Bewegung "Naschi" geht. Und obwohl der Naschi-Vorsitzende Wasilij Jakemenko eine staatliche Finanzierung abstreitet, kann man sich nur schwer eine andere Quelle vorstellen, die ein solch großangelegtes Projekt finanzieren würde: Die komplette Verpflegung und Unterbringung mehrerer Tausend Jugendlicher für zwei Wochen. Immerhin nennt Jakemenko die staatsnahe Gesellschaft Gasprom als einen der Sponsoren des Projekts.

Parolen und Feindbilder

Auf Schritt und Tritt begegne ich im Lager Spruchbändern, die zwischen den Bäumen hängen. "Ich möchte zu Putin!" ist dort zu lesen. "Vorwärts, Du Generation Putins!" oder aber die Aufforderung "Werde Verbindungsmann des Präsidenten! Wie wir!".

Auch ein klares Feindbild gibt es im Sommerlager der Naschi. Entlang einem Weg, der vom zentralen Platz des Lagers wegführt, sind Abbildungen der wichtigsten Oppositionellen des Landes zu sehen: Ex-Premierminister Michail Kassjanow, Schachweltmeister Garri Kasparow und Eduard Limonow, der Gründer der National-Bolschewistischen Partei Russlands – alle drei in Frauenkleidern, dargestellt als Prostituierte. Auf die Frage "Wer ist das?" gibt es eine deutliche Antwort: "Das sind Faschisten unseres Landes, die es verraten haben. Sie haben die Märsche der Unzufriedenen organisiert. Sie sprechen immer wieder davon, dass es ihnen in unserem Land nicht gefällt, und dass man Putin absetzen müsse", erklärt mir eine Teilnehmerin. Damit haben sich die Oppositionellen in den Augen der "Naschi"-Mitglieder zu Faschisten gemacht, die bekämpft werden müssten.

Gefährliche Einflussnahme

"Wer nicht für uns ist, ist gegen uns" – diese Einstellung der Naschi-Anhänger sorgt bei Vertretern anderer Jugendorganisationen für Bedenken. Über das Sommerlager der Naschi haben wir mit Ilja Jaschin gesprochen. Er ist Vorsitzender der Jugendorganisation der Oppositionspartei "Jabloko" und kritisiert die politische Einflussnahme von Seiten des Staates: "Wir finden es nicht schlecht, wenn der Staat Jugendorganisationen schafft, die junge Menschen bei der Freizeitgestaltung unterstützen. Aber diese Organisationen dürfen nicht politisch sein. Wenn die Staatsmacht mit der Jugend Handel treibt, nach dem Motto: Ihr seid loyal, dafür bekommt ihr dies oder das, dann hat das nichts mit Demokratie zu tun."

Zurück im Naschi-Lager wird deutlich, dass wir hier nicht in einem normalen Ferienlager sind. "Warum bist du nicht im Unterricht?" – fragt mich ein Mann in Uniform. Ich muss erklären, dass ich Journalist bin. Mein ständiger Begleiter, der "Guide", bestätigt das. Später berichtet mir ein Mädchen, dass sie nach drei Ermahnungen des Lagers verwiesen wurde. Das sei eine Schande und werde ihre Karriere beenden, sagt sie mir.

Jegor Winogradow, Moskau
DW-RADIO/Russisch, 24.7.2007, Fokus Ost-Südost