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Film

Russisches Festival kämpft gegen Zensur

Emily Sherwin suc
13. Dezember 2019

Russlands Kunstwelt sieht sich immer mehr mit Restriktionen konfrontiert. Aber das größte Dokumentarfilmfestival des Landes wehrt sich gegen die Zensur und zeigt eine Satire, die gemeinsam mit der DW produziert wurde.

https://p.dw.com/p/3Uhcs
Angela Merkel als Figur in der Satiresendung "Zapovednik"

'Zapovednik' shown in Moscow

Während Wladimir Putin eine Katze streichelt, laufen im Hintergrund Musikklänge, die Assoziationen an die italienische Mafia hervorrufen. Der russische Präsident fragt sich, wie er seine sinkenden Beliebheitswerte wieder steigern kann. Sein weißrussischer Amtskollege Alexander Lukaschenko wirbt mit einer Opernarie sowohl um die Gunst Putins als auch die der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Russlands Außenminister Sergej Lawrow stimmt mit den Worten "Wir waren das nicht" routiniert ein Musical an und beharrt darauf, dass es "Russophobie" sei, wenn man sein Land wegen was auch immer beschuldige.

Wenn diese Szenen surreal anmuten, liegt das daran, dass sie Teil einer Trickfilm-Satire namens "Zapovednik" sind, bei der die DW als Koproduzentin verantwortlich zeichnet. Eine einstündige Version wurde jetzt beim "Artdocfest" in Moskau gezeigt, Russlands größtem Dokumentarfilmfestival, das am 12. Dezember zu Ende ging. 

Das Team der Show produziert normalerweise wöchentlich zwölfminütige Filmchen für YouTube, wo "Zapovednik" schon über 400.000 Abonnenten hat. Extra für das Festival wurde eine Langfassung der Satire angefertigt.

"Der Film und die lustige Machweise wirken wie eine Art Karthasis. Man kann Dampf ablassen – den Ärger und die Unzufriedenheit über all das, was derzeit passiert", sagt ein älterer Mann nach der Vorführung. "Es mag eine Satire sein, aber trotzdem reflektiert es genau das, was in unserem Land passiert", kommentierte ein weiterer Zuschauer gegenüber der DW. "Es ist gut, dass so etwas in Russland überhaupt noch gezeigt werden darf."

Das Recht, über die Herrscher zu lachen

Mann mit Bart auf einer Bühne am Mikrofon
Vitali Manski, Direktor des Artdocfestes, trotzt der ZensurBild: picture alliance/dpa/Sputnik/E. Biyatov

Nach Ansicht des Artdocfest-Präsidenten und Dokumentarfilmers Vitali Manski ist "Zapovednik" der perfekte Film fürs Festival. Zwar sei es ein Experiment, ausgerechnet hier einen Trickfilm zu zeigen, aber die Satire sei für die Zuschauer von Bedeutung, denn sie handle von realen politischen Ereignissen.

Manski betont sogar, dass "Zapovednik" beispielhaft die Philosophie des Festivals widerspiegele. "Es gibt das Artdocfest, weil es sich vehement für die Freiheit einsetzt. Und ich möchte den Zuschauern das Recht verschaffen, über die Könige zu lachen", sagt Manski in Anspielung auf Russlands politische Elite. "Wenn man sich in einem Land nicht ironisch über Politiker äußern kann, ist das ein klares Zeichen dafür, dass es keine Freiheit gibt."

Es sei natürlich ein Risiko, "Zapovednik" zu zeigen, räumt der Filmemacher ein. Immerhin wird in Russland sogar ein einzelner Demonstrant, der mit einem Plakat Putins Rücktritt fordert, mit ziemlicher Sicherheit hinter Gittern landen. Aber Manski ist bereit, das Risiko einzugehen. "Wenn wir Angst hätten, etwas zu riskieren", sagt er, bräuchten wir dieses Festival nicht."

FIlmstill aus "Promoting Success", ein Mann neben einem Güterwaggon mit einem Panzer darauf
In der Wettbewerb-Sektion läuft "Promoting Success", ein Film über den Krieg in Syrien Bild: Alexey Sukhovey

Wachsende Zensurmaßnahmen

Das Artdecofest ist bekannt dafür, mit Kritik an der Politik im Land nicht hinterm Berg zu halten. Das Festival wurde 2007 gegründet und stellt russischsprachige Filme in den Fokus. 2019 wartete das Programm mit 167 Filmen zu den unterschiedlichsten Themen auf: Es geht um Straßenhunde in Moskau ("Space Dogs") bis hin zum Krieg in Syrien ("Promoting Success"). Vor zwei Jahren entschieden sich die Artdocfest-Organisatoren, einen Ableger des Festivals, nämlich die Wettbewerb-Sektion, nach Lettlands Hauptstadt Riga zu verlegen.

Das Risiko, es in Russland abzuhalten, sei einfach zu groß geworden, so Manski. "Es ist nicht nur so dahergeplappert, wenn ich sage, dass ich selbst am Eröffnungstag des Festivals nicht sicher sein kann, ob wir wirklich unsere Pforte öffnen dürfen."

Die künstlerische Freiheit wird in Russland zunehmend eingeschränkt. Verschiedene Gesetze - inklusive das der Verbreitung extremistischen Gedankenguts und das der Beleidigung religiöser Gefühle - wurden so ausgelegt, dass die Zensur greifen konnte, sobald die Regierung kritisiert wurde. 2015 wurde eine sibirische Adaption von Wagners Oper "Tannhäuser" als Blasphemie verboten. Die experimentelle Moskauer Theaterkompanie Teatr.doc wird regelmäßig von den Behörden reglementiert. In der russischen Version von Elton Johns Filmbiografie "Rocket Man" wurden die Schwulen-Szenen herausgeschnitten, weil "die Propagierung homosexueller Beziehungen" in Russland verboten ist. Ebenfalls nicht erlaubt ist es zu fluchen – sei es im Kino, im Fernsehen, im Theater oder in sonstigen Medien. Und Russlands Kulturminister Wladimir Medinski setzt sich dafür ein, mehr patriotische Filme auf die Leinwand zu bringen. 

Druck von oben

Trotz aller Restriktionen ist das Artdocfest immer noch am Start. Nachdem die Filme zunächst in Riga gezeigt werden, schaffen es die meisten immer noch auch nach Moskau, einige werden auch in St. Petersburg gezeigt. Aber in diesem Jahr kommen 15 Filme, die in Lettland zu sehen waren, nicht nach Russland. In einigen Fällen lehnten die Regisseure es ab, in das Land einzureisen oder ihre Filme nur aus politisch motivierten Gründen vorzuführen. So im Fall einer Dokumentation über Tschetschenien: Der Regisseur fürchtet, dass die Protagonisten im Film sonst Repressalien ausgesetzt werden.

Die Bedenken sind berechtigt, denn das Artdocfest rückt immer mehr ins Visier des russischen Kulturministeriums. In diesem Jahr musste es sich das komplette Programm genehmigen lassen - zum ersten Mal in der Geschichte des Festivals.

Manski ist überzeugt, dass der Druck in Zukunft noch stärker wird. Schließlich wurde das Artdocfest vom Kulturminister höchstpersönlich schon mehrfach scharf kritisiert. Wladimir Medinski sagte, die Regierung wolle das Festival nicht finanziell unterstützen, denn dessen Direktor habe sich negativ über die Regierung geäußert.

FIlmstill aus dem Film "Daymohk". Eine Frau mit Kopftuch geht auf ein Trampolin, auf dem zahlreiche Kinder sind
Der Dokumentarfilm "Daymohk" über Tschetschenien wurde nur in Lettland gezeigtBild: Masha Novikova

Weitermachen - trotz aller Widrigkeiten

Das Artdocfest-Team hat sich darauf eingestellt, der staatlichen Zensurzu trotzen. Vitali Manski hofft sogar, das Festival könne die Rolle der Zivilgesellschaft stärken. "Wir ziehen das Artdocfest trotz aller Widrigkeiten durch. Das zeigt doch, dass man sich gegen die derzeitigen Zustände [in Russland] wehren kann."

Manski ist entschlossen, das Festival sowohl in seiner Heimat als auch in Lettland fortzuführen und dabei weiter Filme über die russische Realität zu zeigen - auch solche, die so kritisch sind wie "Zapovednik". "Ich will den Zuschauern klar machen, dass diese Dinge existieren und ihre Zweifel über das, was in Russland passiert, keine Hirngespinste sind. Ich wünsche mir, dass die Menschen zusammenkommen und Schulter an Schulter nebeneinandersitzen – damit sie merken, dass sie nicht allein sind."