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Gesellschaft

Rumänien erstarrt - für 15 Minuten

Robert Schwartz
15. März 2019

An diesem Freitagnachmittag ist in Rumänien ein 15-minütiger landesweiter Streik geplant. Der Initiator will damit auf die marode Infrastruktur in seinem Land aufmerksam machen.

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Symbolbild Uhr Sommerzeit
Bild: Colourbox

Vor einigen Tagen habe ich mir im Café um die Ecke einen Spaß erlaubt: Ich habe einfach in die Runde gefragt, was man sich unter einem Meter Autobahn vorstellen könnte. Einen Meter - breit?, fragte ein älterer Herr und schüttelte den Kopf. Nein, lang, sagte ich bierernst. So etwas gibt es nicht, kam dann ziemlich schnell die Antwort. Tja, sagte ein Tisch-Nachbar, einen Meter Bier hab' ich schon Mal in einer Kneipe erlebt... aber einen Meter Autobahn? Wo? Auf'm Mond? Als ich dann die Bilder aus Rumänien mit dem einen Meter privat gebauten Autobahnabschnitt zeigte und über die geplante Protestaktion an diesem Freitag berichtete, gab es ein kollektives Bejahen dieser Initiative. Der Funke war übergesprungen.

Deutschland Biermeter
Ein typisch deutscher BiermeterBild: www.fun-equipment.de

An diesem Freitagnachmittag soll die neue, einen Meter lange Autobahn in Nordost-Rumänien nahe der Stadt Suceava feierlich eingeweiht werden. Der "Bauherr", Stefan Mandachi, ist ein 33-jähriger Geschäftsmann und Restaurantbesitzer. Er hat den Bau dieses ersten symbolischen vierspurigen Autobahn-Teilstücks aus eigener Tasche finanziert. Ein professioneller Bautrupp hat diesen Meter Autobahn nach allen Regeln der Kunst errichtet - für insgesamt 4.500 Euro. Laut offiziellen Angaben kostet das gleiche Stück Autobahn, das in Staats-Regie gebaut wird, das Vierfache.

Nur knapp 800 Kilometer Autobahn in Rumänien 

Die Region Bukowina (deutsch: Buchenland) gehört zu den schönsten Gebieten Rumäniens, ist aber vom Rest des Landes ziemlich abgeschnitten. Eine Fernstraße und eine Zugverbindung gibt es zwar, aber ihr Zustand ist zum Teil erbärmlich. Keine Autobahn führt nach Suceava und Umgebung. Politiker aller Couleur haben in den fast 30 Jahren nach der Wende zigmal im Wahlkampf versprochen, den Bau einer Nord-Süd- und einer West-Ost-Autobahn zu fördern. Beide Achsen sollten auch Anschlüsse an die Bukowina bekommen. Gebaut wurde nichts.

Screenshot youtube Rumänien Autobahnen
So sieht der ein Meter lange Autobahnabschnitt aus: vierspurig, Standstreifen, Markierung, Verkehrsschilder, LeitplankenBild: youtube.com/Romania vrea autostrazi

In ganz Rumänien ist die Infrastruktur mehr als prekär. Mit einem an vielen Stellen unterbrochenen Autobahn-Netz von insgesamt knapp 800 Kilometern liegt Rumänien am untersten Ende in der EU. Zum Vergleich: Spanien führt mit 15.000 Kilometern Autobahnen, gefolgt von Deutschland mit 13.000. Ungarn, das zweieinhalb Mal kleiner ist als Rumänien, hat ein fast dreimal längeres Autobahnnetz als sein östlicher Nachbar. Laut statistischen Daten der EU-Kommission lag Rumänien 2017 in der Liste der Verkehrstoten an trauriger erster Stelle - mit 98 Opfern pro Million Einwohner. Ein Grund dafür: marode Fernstraßen und fehlende Autobahnen. Die wenigsten Verkehrsopfer verzeichnete Schweden mit 25 Toten pro eine Million Einwohner. In Deutschland waren es umgerechnet 38. 

Stefan Mandachi will auf die katastrophale Entwicklung in seinem Land aufmerksam machen. Er hat ganz Rumänien aufgefordert, an diesem Freitag, dem 15. März, um 15:00 Uhr Ortszeit (14:00 Uhr MEZ) eine 15-minütige Pause einzulegen. Schüler und Studenten wollen dem Aufruf folgen, aber auch ganze Betriebe, Institutionen und Kaufhaus-Ketten haben angekündigt, sich dem landesweiten Protest anzuschließen. Auch Politiker haben ihre Teilnahme angekündigt. Mehrere Tausend Menschen wollen vor Ort an der Einweihungsfeier dabei sein. Gendarmerie, Polizei und Feuerwehr wurden in Alarmbereitschaft versetzt.

Eine Ohrfeige für die Regierung in Bukarest 

In den sozialen Medien hat sich ein Videoclip mit dem Bauprojekt des mutigen Geschäftsmannes viral verbreitet. Lokalpolitiker hatten versucht, die Aktion zu stoppen und das Bauvorhaben als illegal erklärt. Mandachi konnte alle nötigen Genehmigungen vorlegen - der erste und einzige Meter Autobahn im gesamten Nordosten Rumäniens ist völlig legal auf einem Acker errichtet worden, der ihm gehört. Eine Ohrfeige für die sozial-liberale Regierung in Bukarest, die hunderte Kilometer Autobahn versprochen hat - im letzten Jahr waren es gerade mal 60. Und die Strecke nach Nordost-Rumänien gibt es noch nicht einmal in der Planung.

"Es ist eine Katastrophe", sagt Mandachi und rechnet nach: Von Deutschland über Österreich und Ungarn - rund 1200 Kilometer - ist man in gut zehn Stunden an der westrumänischen Grenze. Und dann braucht man noch einmal so viel Zeit für die restlichen 450 Kilometer bis Suceava. Wer ist für diesen untragbaren Zustand verantwortlich? Und für die insgesamt fast 2000 Verkehrstoten im Jahr? Wie viele Menschen würden heute noch leben, wenn Rumänien Autobahnen gehabt hätte? Das sind die Fragen, die Mandachi immer wieder stellt. Eine Antwort darauf bekommt er nicht. Er hofft aber, dass sich nach diesem Freitag etwas ändern wird. Drei Millionen Poster hat er mit dem Logo seiner Aktion bedrucken lassen und drei Millionen Tisch-Servietten, die er in seiner Restaurant-Kette verteilt hat. In den sozialen Medien betont er, keine politischen Ziele zu verfolgen. Und auch die mögliche Werbung für sein gut gehendes Geschäft interessiert ihn nicht. Er will nur, dass er und seine Landsleute, aber auch die vielen Fernfahrer und ausländischen Touristen sicher auf Autobahnen an ihr Ziel gelangen. Und er will, wie viele andere Rumänen auch, dass Investoren wegen der fehlenden Infrastruktur seinem Land nicht den Rücken kehren. Vielleicht ist dieser viertelstündige landesweite Stillstand der letzte zündende Funke, den Rumänien braucht, um aus seiner jahrzehntelangen Starre zu erwachen.