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Kultur der Korruption

Stefan Dege und Peter Janku20. Dezember 2006

Rumänien wird 2007 EU-Mitglied. Doch nach wie vor hat das Land die Korruption nicht im Griff, wie sogar der Ministerpräsident einräumt. Die Brüssler Behörden wollen genau beobachten, welche Fortschritte Rumänien macht.

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Das Parlamentsgebäude in Bukarest
Das Parlamentsgebäude in Bukarest

Grelles Neonlicht, Stimmengewirr, geschäftiges Kommen und Gehen. Telefone klingeln, ein Kaffeeautomat surrt. Schwestern und Ärzte eilen vorüber. Uniformierte Sicherheitsleute wachen vor den Fahrstühlen. Junge und alte Menschen sitzen da oder treten auf der Stelle. Ein altes Mütterlein im Rollstuhl wartet darauf, endlich hinter den blauen Vorhang geschoben zu werden. Dort wird operiert, immer sechs Patienten gleichzeitig.

"Das ist doch keine Korruption"

Präsident Traian Basescu
Präsident Traian BasescuBild: DW

Doktor Bogdan - nennen wir ihn so, denn er möchte seinen Namen nicht veröffentlicht wissen - ist Chirurg in der Notaufnahme eines Bukarester Krankenhauses. Bevor er über Korruption spricht, führt er uns in ein Untersuchungszimmer im Keller - und schließt die Tür ab. "Wenn wir Ärzte 10 oder 15 Euro einstecken, ist das doch keine Korruption", sagt er. "Korruption finden Sie oben, auf der Kommandobrücke - auf der Leitungsebene, beim Einkauf von Medikamenten oder medizinischen Geräten." Auf sein Zusatzeinkommen ist der Arzt angewiesen. 300 bis 400 Euro Monatsverdienst zwingen den Familienvater zu Nebenjobs in zwei anderen Krankenhäusern.

Spaga heißt das Zauberwort. Ob beim Arzt, bei der Polizei, im Justizwesen, in Behörden oder an der Universität - Schmiergeldzahlungen und kleinere Zuwendungen machen das Unmögliche möglich. Neuerdings gibt es eine Orientierungshilfe: Ein Manual de Spaga, ein Schmiergeld-Handbuch, listet genau auf, wie viel man welchem Beamten zahlen muss.

"Die Norweger haben 30 verschiedene Synonyme für Schnee, die Ägypter 30 für Sand", sagt der Schriftsteller, Anthropologe und Ethnologe Andrei Oisteanu. "In Rumänien gibt es 30 unterschiedliche Bezeichnungen für das Zahlen von Schmiergeld, die meisten importiert aus den verschiedensten Sprachen der Nachbarvölker."

Spektakuläre Rücktritte

Krankenwagen nahe Agighiol, AP
Krankenwagen nahe AgighiolBild: AP

Kann man die Korruption bekämpfen, indem man die kollektive Mentalität der Rumänen ändert? Nein, glaubt Renate Weber vom rumänischen Ableger der Open Society Foundation von George Soros. Mentalitäten könne man nicht über Nacht ändern. Korruption diene ja bisweilen auch dazu, bürokratische Hürden abzubauen. "Man muss sich eher auf den Aufbau von funktionierenden Institutionen konzentrieren, der Prävention Vorrang einräumen, und Integritätstests für Beamte und Politiker einführen", sagt sie.

Das ist leichter gesagt als getan. Im Kampf gegen die so genannte "große" Korruption der Staatsmänner und Wirtschaftslenker geht es trotz spektakulärer Rücktritte nicht voran. Ex-Premier Adrian Nastase musste seinen Parteivorsitz und das Amt des Parlamentspräsidenten abgeben, Vize-Premier George Copos wurden Immobiliengeschäfte zum Verhängnis. Der frühere Eigentümer einer Raffinerie und heutige Besitzer des Fußballclubs von Timsoara, Marian Iancu, wurde zwei Mal wegen Geldwäsche verhaftet, stand aber noch nicht vor Gericht. Viele Prozesse laufen. Ein Urteil gibt es bis heute nicht.

Rumäniens prominenteste Vorkämpferin gegen Korruption ist Justizministerin Monica Macovei, eine ehemalige Menschenrechts-Aktivistin. Stolz verweist sie auf einen, wie sie sagt, "wahren Sturm von Reformen", den sie entfesselt habe. Und der mit dem EU-Beitritt nicht abflauen soll. Vor allem den "politischen Sumpf" in Rumänien will die Ministerin trockenlegen, bestehend aus Angehörigen von Parlament, Geheimdiensten und Richterschaft.

Mahnende Stimme

Ihre Bemühungen um Korruptionsbekämpfung haben gerade erst einen Rückschlag erlitten, als das Parlament eine Initiative ablehnte, die die Offenlegung von Politikereinkünften vorsah. Der Gesetzentwurf für eine Nationale Integritätsbehörde kam nicht durch, weil er von den Betroffenen torpediert worden sei, meint Macovei. Die Quittung der Wähler werde kommen. Immer weniger Rumänen, sagt Macovei, seien bereit, die große Korruption schweigend hinzunehmen. Und wieso auch sollte das Volk sich ändern, wenn die großen Fische unbehelligt bleiben?

Als mahnende Stimme im allgemeinen Korruptionskonzert ist die Nichtregierungsorganisation Transparency Internatonal (TI) gefragt wie nie. Lieblingskind der rumänischen Medien ist der TI-Chef Victor Alistar. Unverdrossen prangert er partei- und interessengruppen-übergreifende Seilschaften an, die alles daran setzten, die Korruption am Leben zu erhalten. Dabei richtet Alistar Kritik gleichermaßen gegen Regierung wie Parlament. Korruption, sagt Alistar, sei schlecht, weil sie zu Armut führe, und Verwaltung und Wettbewerb untergrabe. So wundert ihn nicht, dass auch die jüngste landesweite Anti-Korruptionskampagne der Regierung so gut wie wirkungslos blieb.

Westliche Investoren hält das nicht auf. Im Jahr 2006 strömten nach offiziellen Schätzungen mehr als fünf Milliarden Euro aus dem Ausland nach Rumänien. Angelockt durch billige Arbeitskräfte und niedrige Einheits-Steuern, haben sie einen Boom in der Wirtschaft ausgelöst. Rumänien gilt längst nicht als ausprivatisiert: Zudem glänzt das Land mit guten Budget-Daten. Das Staatsdefizit liegt seit Jahren klar unter der Drei-Prozent-Marke. Die reduzierten Steuern kurbeln den privaten Konsum und die Investitionen an.

Problem Armut

Dennoch erreicht die jährliche Wirtschaftsleistung Rumäniens gerade mal 3700 Euro pro Kopf - im nahen Österreich sind es 30 000 Euro. Der monatliche Durchschnittslohn eines Rumänen liegt bei kargen 300 Euro. Was Rumänien fehlt, ist der breite Mittelstand. Zwei Millionen Rumänen verdingen sich als Gastarbeiter im Ausland, vor allem im Südeuropa. Kein Wunder, wenn vor allem schlecht bezahlte Amtsträger auf ein kleines Zubrot spekulieren.

Auf Fragen nach Korruption reagiert Dirk Rütze, Geschäftsführer der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer (IHK) in Bukarest, beinah allergisch. Zwar halten die meisten Firmenchefs, wie IHK-Umfragen ergaben, die Verwaltung für den größten Standort-Nachteil, doch gleich danach rangiert die Korruption. "Sie müssen einfach sehen: Der überwiegende Teil der Bevölkerung haben ein Monatseinkommen von unter 150 Euro", sagt er.

Für Rumänien waren die 90er-Jahre ein verlorenes Jahrzehnt. Nach der Wende 1989 schrumpfte die Wirtschaft über Jahre. Regierungen verschleppten die nötigen Reformen. Erst seit dem Jahrtausendwechsel werden Verwaltung und Gesetze ernsthaft modernisiert und das Land an die EU herangeführt.

George Christodorescu leitet die rumänische Filiale des deutschen Energiekonzerns EON, der inzwischen die Hälfte der Gasverteilung in Rumänien kontrolliert. EON steht unter Druck wegen drastisch gestiegener Energiepreise. Das Thema Korruption, sagt er, müsse zwar behandelt, dürfe aber nicht zu hoch gehängt werden. "Es ist nicht sehr viel mehr als in anderen Staaten in Europa", sagt er.

Opportunistisches Verhältnis

Gesamtwirtschaftlich mag sich der Schritt nach Europa für die Rumänen auszahlen. Mit dem EU-Beitritt fallen die Importzölle in die EU weg. Investoren hoffen zudem auf Rechtssicherheit und öffentliche Investitionen.

Günter Dill, der scheidende Leiter des Bukarester Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, ist skeptisch, was dem Land nach dem EU-Beitritt blühen mag. "Leider kann es natürlich die Gefahr in sich bergen, dass - wie bei den zehn Beitrittsländern von 2004 - die große Enttäuschung kommt. Das befürchte ich", sagt er. "Das hat unkalkulierbare Folgen, weil das Bekenntnis zu Europa ein pragmatisches oder opportunistisches Verhältnis war." Man habe schlicht erwartet, dass sich der Lebensstandard erhöht. "Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass es einen Rechtsruck geben könnte."

Im Kulturzentrum von Bukarest hat sich an diesem Abend eine illustre Kulturgemeinde versammelt. Auf dem Programm: die Erstaufführung eines Musikfilms von Radu Gabrea. In Deutschland ist der rumänische Regisseur vor Jahren mit einem Porträtfilm über Rainer Werner Fassbinder bekannt geworden. Rumänien, sagt er selbstbewusst, hat Europa viel zu bieten: " Die Kultur hat ein Niveau, das über dem generellen Kulturniveau in Europa liegt. Die Rumänen müssen ihre Kultur bewahren, aber sie müssen sie auch offensiv verteidigen."

Die junge Maria Vasiu stammt aus einem Dorf im siebenbürgischen Nordrumänien. Die Eltern, erzählt die studierte Betriebswirtin, schlagen sich mehr recht als schlecht durch. Der Vater arbeitet als Erdbeerpflücker in Spanien. Europa versteht Maria als Wirtschaft- und Wertegemeinschaft. Für ihr Land und ihre Landsleute heißt das: Anpassen und Reformen weiterführen, notfalls unter Druck aus Brüssel. Hat Maria Angst vor der Zukunft? "Ich persönlich habe keine Angst. Doch ich hab schon Angst, wenn es um meine Familie geht."