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Rote Karte für Sarrazin

2. September 2010

Der wegen Äußerungen über Zuwanderer umstrittene Sarrazin wird seinen Vorstandsposten bei der Bundesbank wohl verlieren. Seine Gegner sind erleichtert, doch was ist der Triumph wert? Marcel Fürstenau kommentiert.

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Themenbild Kommentar (Foto: DW)
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Thilo Sarrazins Karriere als Top-Manager bei der Bundesbank ist faktisch beendet. Zwar steht noch die offizielle Abberufung durch das deutsche Staatsoberhaupt Christian Wulff aus. Aber dessen Zustimmung darf als gesichert gelten, weil er sich bereits vor der Entscheidung kritisch zu Sarrazins umstrittenen Behauptungen über die Intelligenz und den Kinderreichtum von moslemischen Zuwanderern geäußert hat. So gesehen hat Wulff kräftig mitgesägt am Stuhl, auf dem Sarrazin erst seit Mai 2009 sitzt.

Die große Schar der Sarrazin-Gegner ist erleichtert. Doch was ist dieser vermeintliche Triumph über einen notorischen Nörgler und Provokateur wert? Weniger, als wohl die meisten glauben. Denn erstens ist vieles an Sarrazins Schilderungen über bildungsferne Milieus insbesondere unter Einwanderer-Familien aus der Türkei und arabischen Ländern zutreffend. Das bestreiten auch seine Kritiker nicht. Zweitens ist kaum zu erwarten, dass der Gescholtene künftig die Klappe halten wird. Dafür werden schon die Talk-Shows und anderen medialen Trittbrettfahrer sorgen, die einem wie Sarrazin auch dann ein Podium bieten werden, wenn er kein öffentliches Amt mehr bekleidet.

Unhaltbare Zuspitzungen und unbewiesene Behauptungen

Marcel Fürstenau, Redakteur im Hauptstadtstudio in Berlin (Foto: DW)
Marcel Fürstenau, Redakteur im Hauptstadtstudio in BerlinBild: DW

In der Sache ist dem früheren Finanzsenator Berlins vorzuwerfen, dass er die Integrations-Debatte mit teilweise unhaltbaren Zuspitzungen und unbewiesenen Behauptungen unnötig belastet hat. Ein vielschichtiges, hochemotionales Thema wie das von Integration und Zuwanderung in der Manier eines Marktschreiers unters Volk zu bringen, musste misslingen. Jedenfalls aus der Sicht all jener, die im Gegensatz zu Sarrazin an einer unaufgeregten Auseinandersetzung interessiert sind. Wer sein Buch durch exklusiv vorab veröffentlichte Auszüge in einer auflagenstarken Boulevard-Zeitung vermarkten lässt, dem geht es mehr um ein Höchstmaß an Aufregung und Befriedigung des eigenen Egos, als um die Lösung des Integrationsproblems.

Wer jetzt behauptet, Sarrazin habe ein Tabu-Thema angesprochen, der irrt und beteiligt sich an Legenden-Bildung. Seit Jahren wird engagiert über Integrations-Defizite geredet und geschrieben. Über Schulen mit hohem Ausländer-Anteil und schlecht Deutsch sprechenden Kindern. Über Stadtteile, die von der Polizei gemieden werden, weil sie sich von der überwiegend ausländischen Bevölkerung bedroht fühlen. Über jugendliche Gewalttäter und Drogen-Dealer. Nichts wird verschwiegen.

Politik muss Worten Taten folgen lassen

Was fehlt, ist eine konsequente Bekämpfung all dieser Zustände. Diesen Vorwurf muss sich die Politik seit Jahren zu Recht gefallen lassen. Zu selten folgen den hehren Worten, für Besserung zu sorgen, die nötigen und vor allem langfristigen Taten. Es reicht eben nicht, hier und da ein paar Sozialarbeiter mehr zu beschäftigen, wenn es irgendwo brennt. Für erfolgreiche Integration brauchen alle einen langen Atem und guten Willen. Das gilt natürlich auch für die Zuwanderer und ihre Nachgeborenen.

Ein schaler Beigeschmack bleibt in der Causa Sarrazin auch aus einem anderen Grund. Denn das Bundesbank-Vorstandsmitglied verliert seinen Job offenbar auch infolge politischen Drucks. Zu Beginn der Affäre ließ die auf ihre Unabhängigkeit pochende Bank sinngemäß verlauten, Sarrazins Buch sei gewissermaßen seine private Angelegenheit. Der Meinungsumschwung in der Chef-Etage erfolgte erst, nachdem sich bis hin zu Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Christian Wulff die politische Elite des Landes kritisch über Sarrazin geäußert hatte.

Dabei hätte es sich die Bank viel leichter machen können, indem sie ihn unter Berufung auf den eigenen Verhaltens-Kodex vor die Tür gesetzt hätte. Da steht nämlich drin, dass sich Vorstandmitglieder jederzeit in einer Weise zu verhalten hätten, "die das Ansehen der Bundesbank und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Bundesbank aufrecht erhält und fördert". Davon konnte bei dem schon immer gerne provozierenden Sarrazin schon vor seiner Berufung in den Vorstand keine Rede sein.

Autor: Marcel Fürstenau, Berlin
Redaktion: Ursula Kissel