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"Leben dank des Fußballs"

Matthias Frickel20. März 2016

Shmuel Rosenthal war der erste Israeli in der Bundesliga und kickte an der Seite von Netzer & Co. in der legendären Fohlenelf. Ein DW-Team hat seine bewegte Geschichte dokumentiert und ihn nach Deutschland eingeladen.

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Bundesliga Borussia Mönchengladbach Günter Netzer Shmuel Rosenthal (Foto:imago/Horstmüller 1972/1973 )
Shmuel Rosenthal (r.) mit Günter Netzer, seinem berühmtesten Mitspieler im Gladbacher DressBild: Imago/Horstmüller

Schmuel Rosenthal kehrt zurück nach Gladbach

Vor 44 Jahren ging ein Traum in Erfüllung. Shmuel Rosenthal unterschrieb als erster Israeli einen Vertrag in Europa. Bei der WM 1970 in Mexiko war der Verteidiger den europäischen Topklubs aufgefallen. Mehr als ein Jahr hatte ihn der israelische Verband gesperrt, weil er ins Ausland wechseln wollte. Jetzt gehörte er zu der berühmten Gladbacher Fohlenelf um Rainer Bonhof und Günter Netzer.

Im Frühsommer 1972 schickte er seinen Eltern eine Postkarte aus Barcelona. Gerade hatte er mit der Borussia ein Vorbereitungsspiel beim FC Barça gewonnen, Shmuel war in diesem Spiel der beste Mann auf dem Platz. "Warum musst du ausgerechnet in Deutschland spielen?", hatte ihn sein Vater vor dem Abflug aus Tel Aviv gefragt.

“Born because of Football”

Wenn man Shmuel Rosenthal heute in seinem Haus am Rande des israelischen Wüste mit Blick auf das Tote Meer trifft, hört man die Geschichte eines Mannes der scheinbar mehr als ein Leben gelebt hat. "I was born because of football", bekennt er heute. "Mein Vater kam 1935 aufgrund der zweiten Makkabiade nach Tel Aviv und blieb, wegen des Fußballs." Seine komplette Familie wurde vier Jahre später kurz nach Kriegsbeginn in Litauen von den Nazis ermordet. Er war der einzige Überlebende. "Und dann komme ich und frage ihn", bekennt Shmuel, "Papa, ich möchte gern in Deutschland spielen, wie geht es dir damit?" Und der Vater schaute ihm tief in die Augen und antwortete: "Es fällt mir nicht leicht, das zu sagen, aber wenn du den sportlichen Erfolg so sehr willst, und der erste Israeli werden willst, der in Deutschland spielt, dann gebe ich Dir meinen Segen."

"90 Minuten Deutschland - Israel"

Ein knappes Jahr ist es jetzt her, dass wir Shmuel Rosenthal für unsern Film "90 Minuten Deutschland - Israel". Fußball zwischen Tel Aviv und Berlin" zuhause in Arad besucht haben. Noch immer klingt seine Geschichte für mich eher wie ein Roman als wie ein gewöhnliches Spielerporträt. Seine Biographie erklärt besser als jedes Geschichtsbuch, warum gerade der Fußball Deutschland und Israel untrennbar verbindet.

29.04.2015 DOKU 90-Minuten 90 Minuten Team mit Shmuel Rosentahl
DW-Reporter Matthias Frickel (l.) und Thomas Lemmer (r.) mit Rosenthal

"Das Wunder von Tel Aviv"

Vor seinem Wechsel nach Gladbach spielte Shmuel Rosenthal im Sommer 1970 im israelischen Nationaltrikot ein legendäres Spiel gegen seinen späteren Verein. Borussia Mönchengladbach besuchte mit seinen Stars Netzer, Heynkes und Co. als erstes deutsches Profiteam Israel. Die Mannschaft kam unter hohen Sicherheitsvorkehrungen im Frachtraum einer Militärmaschine nach Tel Aviv. Und dann ereignete sich ein wahres "Wunder von Tel Aviv": 30.000 Zuschauer schoben die damals vehemente Ablehnung gegen alles Deutsche zur Seite und begeisterten sich für den Fußball der Borussia aus Deutschland, die ihr eigenes Team mit 6:0 auseinandernahm. Die Begeisterung für den Fußball kannte keine Grenzen, während zur gleichen Zeit bei einem Besuch der deutsche Schriftsteller Günter Grass mit Tomaten beworfen wurde. Die Erinnerung an den Holocaust war noch frisch.

“Noch mal die Zeit zurückdrehen”

Sein Jahr in Gladbach bezeichnet Shmuel Rosenthal noch heute als Höhepunkt seiner Karriere. Als wir mit ihm Aufnahmen seines Auftritts im Münchner Olympiastadion gegen den FC Bayern zeigen, kann Rosenthal kaum an sich halten: "Ja, der Uli Hoeneß, das war sehr schwer für mich. Der Schnee und auch sein Tempo." Auch wenn er seinen damaligen Gegenspieler auf dem ersten Schnee seines Lebens nicht in den Griff bekam, geht er auf in der Erinnerung: "Das ist 43 Jahre her? Unglaublich, am liebsten würde ich selbst noch mal spielen. Noch mal die Zeit zurückdrehen und diese Atmosphäre erleben."

Bundesliga Borussia Mönchengladbach Uli Hoeneß Shmuel Rosenthal (Foto: Copyright: imago/WEREK)
Rosenthal im Zweikampf mit Uli Hoeneß von Bayern MünchenBild: Imago/Werek

Heimweh nach Israel

Dabei war das Jahr in Deutschland keine einfache Zeit. Mit dem Anschlag auf die israelischen Sportler bei den Olympischen Spielen im Spätsommer 1972 wurde auch Shmuel Rosenthals Gastspiel in Deutschland zunehmend schwieriger. "Ich war ja berühmt damals, und es gab weiterhin Terroristen. Deshalb gab mir die Botschaft einen Bodyguard." Mitspieler hatten auf einmal Angst, zusammen mit Shmuel zu reisen. Der erste Israeli in der Bundesliga verlor ein bisschen den Anschluss an die Truppe und auch seine Form. Und das Heimweh wurde stärker. Nach nur einer Saison ging er zurück nach Israel.

"Beste Zeit des Lebens"

Shmuel Rosenthal hat sich mehr als einmal neu erfunden: Er spielt als Profi in den USA, feierte ausgelassen auf den Dächern Tel Avivs. Er bekam Ärger mit den Behörden, musste für mehr als ein Jahrzehnt ins Gefängnis. Heute ist er Yogalehrer. Mit Stolz zeigte er uns das Bild vom Besuch mit seiner Frau beim Dalai Lama. Doch gleich um die Ecke, nur wenige Meter entfernt, hängt ein anderes Bild, das ihm lieb und teuer ist: Das Gladbacher Mannschaftsfoto von 1972. Als ich ihn vor sechs Wochen anrief und ihn fragte, ob er zur Kinopremiere unseres Films erstmals seit 43 Jahren nach Deutschland kommen wolle, zögerte er keinen Moment: "Das war die beste Zeit in meinem Leben."

Der Film "90 Minuten Deutschland - Israel" läuft am Sonntag, den 20.3. um 18 Uhr in Anwesenheit von Shmuel Rosenthal beim 11mm Fußball-Filmfestival in Berlin. Am Tag darauf wird Shmuel Rosenthal nach Mönchengladbach fahren, wo ihn gegen 12 Uhr sein alter Teamkollege Rainer Bonhof empfangen und das Gladbach von heute zeigen wird. Am Donnerstag, den 24.3. läuft bei der DW ein Kick off! Special zum 11mm Fußball-Filmfestival mit einer Reportage über den Deutschlandbesuch von Shmuel Rosenthal.