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Rosa von Praunheim: "Es gibt noch viel zu tun"

Das Gespräch führte Oliver Samson12. Februar 2006

In diesem Jahr wird auf der Berlinale der 20. Teddy-Award für den schwul-lesbischen Film groß gefeiert. Anlass genug, um im Gespräch mit dem Regisseur Rosa von Praunheim zurück und nach vorne zu schauen.

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Rosa von PraunheimBild: picture-alliance/dpa

DW-WORLD: Herr von Praunheim, Sie haben 1971 den ersten schwulen, politischen Film auf der Berlinale gezeigt. Für "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" hagelte es damals heftige Kritik. Trotzdem gilt er als einer der Initialzündungen der Schwulenbewegung. 2006 feiert man bei der Berlinale nun schon den 20. Teddy-Award, den eigenen Preis für schwul-lesbischen Filme. Grund zur Zufriedenheit, Grund auch für persönlichen Stolz?

Rosa von Praunheim: Beides, ja. Natürlich ist man sehr froh, wenn wir hier in Berlin, in Hamburg und in anderen europäischen Städten einen schwulen Bürgermeister haben. Aber man darf nicht vergessen, dass in vielen Ländern und Kontinenten Schwule und Lesben erheblich unterdrückt werden. In islamischen Ländern gibt es noch die Todesstrafe, in Afrika und Asien werden Schwule und Lesben immer noch diskriminiert, drangsaliert oder einfach ignoriert.

Sie betonen immer wieder, dass man auch hier im Westen sich nicht auf dem Erreichten ausruhen dürfe, die Emanzipation könnte auch wieder zurückgenommen werden. Wie könnte denn solch ein Rückschlag aussehen, wenn selbst in konservativen Kreisen Homosexualität nicht mehr als großes Problem erscheint?

Das hat man sich in den 1920er Jahren auch gefragt, als die Liberalisierung eintrat. Der Reichstag hätte beinahe den Paragraphen 175 gekippt, der Homosexualität unter Strafe stellte. Es gab über 100 schwul-lesbische Lokale in Berlin, mehr als 30 schwul-lesbische Zeitschriften - und dann kam Hitler. Heute haben wir religiösen Fanatismus nicht nur im Islam, sondern auch in den USA bei den religiösen Rechten. Es ist immer möglich, dass das Pendel zurückschlägt.

Der politische schwule Film hatte bisher große Themen abzuarbeiten: Der Kampf gegen Diskriminierung, schließlich AIDS. Was steht nun auf der Agenda?

Viele haben vergessen, dass es einmal Utopien, Ideale und Träume gab, um die Gesellschaft zu verändern. Um auch die Sexualität so zu verändern, dass nicht mehr nur die Kleinfamilie das Großartigste ist, sondern dass es auch Familien in unterschiedlichster Form geben kann. Sexualität wird sich sicher in der Zukunft verändern. Wir wissen zum Beispiel nicht, was in der Gen-Technik passiert. Da wird sich viel in der Forschung tun und somit auch in der Sexualität. Da gibt es unheimliche Gefahren, aber wir können es ja auch beeinflussen, dass es in die progressive Richtung geht. Ich finde es generell schade, dass die Leute keine Träume mehr haben, sondern sich einfach damit abfinden, das zu tun, was die anderen tun und nichts Eigenes für sich beanspruchen.

Zynisch könnte man sagen, die Träume gehen eben in eine andere Richtung: von der Politik zum reinen Hedonismus.

Jeder Mensch will Spaß haben. Ganz allgemein ist natürlich der Trend zum Unpolitischen da. Man kämpft nicht, sondern genießt die Freiheit. Man regt sich zwar auf, aber nicht genug, um etwas zu verändern. Das wird dann doch dem Staat überlassen. Das wird sicher anders, wenn wir bedroht werden, wenn die soziale Situation wieder schlechter wird. Dann gehen Leute auch wieder auf die Straße und fordern neue Lebensformen.

Tut es weh, dass die Zeiten so unpolitisch sind?

Ja und nein. Arrogante und eindimensionale Ideologien, die sich als das Absolute sehen, sind einfach gerade nicht angesagt - mal abgesehen von den Religiösen. Jetzt leben wir in einer Medienwelt voller Zwischentöne, wo sehr viele Möglichkeiten des Denkens und Handelns angeboten werden. Das ist mir sympathisch. Auf der anderen Seite ist es hier im Westen eine sehr verwöhnte Gesellschaft - ich sehe das ja an meinen Studenten, die oft nicht an sozialen Themen interessiert sind, weil es ihnen zu gut geht. Das wird sich erst wieder ändern, wenn sich die soziale Situation weiter verschärft.

Sie selbst haben sich nach eigenen Worten aus der politischen Arbeit hinauskatapultiert. Warum?

Schlicht ein Akt der Erschöpfung. Ich habe von Mitte der 1980er an zehn Jahre lang sehr intensiv in der AIDS-Bewegung gearbeitet. Schon 1983, als AIDS groß in der Presse war, haben wir die erste Aktionsgruppe gegründet - noch vor den AIDS-Hilfen. Ich habe fünf Filme darüber gemacht, Hörspiele, sehr viel Öffentlichkeitsarbeit, Fernsehauftritte. Da wurde ich scharf angegriffen, weil ich immer sehr militant war und sagte: Wir müssen uns schützen, wir brauchen Safer Sex. Da gab es auch ganz andere Meinungen, wonach man die Sexualität nicht einschränken dürfe. Zum Teil wurde ich dann boykottiert, weil ich den AIDS-Hilfen vorgeworfen habe, zu wenig für die Prävention zu tun. Als die Mauer aufging, war es mir dann wichtig, dass die Menschen, die einfach nicht so viel über die Medien von AIDS wussten, nicht in der vorgeblichen großen Freiheit im Westen in ihr Unglück laufen. Anfang der 1990er Jahre habe ich meine Outing-Kampagne gestartet, wo ich Schwule und Lesben aus dem Show-Geschäft und der Politik outete - das letzte Mittel, Menschen mit Einfluss, Macht und Verantwortung herauszufordern, sich um Probleme zu kümmern und sich nicht zu verstecken. Sehr, sehr viele Freunde von mir waren zu diesem Zeitpunkt schon gestorben, gerade auch in Amerika, wo ich ja auch lange politisch gearbeitet habe. Ich konnte nicht mehr.

Jetzt steigt die Zahl der Neuinfektionen wieder dramatisch an. Teile der jüngeren Generation scheinen nicht viel Wert darauf zu legen, sich zu schützen. Auf den schwulen "Bareback-Partys" legt es eine gewisse Szene scheinbar darauf an, infiziert zu werden.

Man sollte das Phänomen "Bareback" nicht zu hoch hängen. Erschreckender ist viel mehr, wenn junge Menschen, die ihre ersten Erfahrungen machen, an die falschen Leute kommen. Junge Menschen müssen immer wieder aufgeklärt werden. Wenn man Sexualität entdeckt, hat man romantische Vorstellungen und denkt nicht zuerst an AIDS, Tod und Endlichkeit. Das ist bei Homos und Heteros genauso. Schwule und Junkies sind immer noch die Hauptgruppe der Infizierten - hier liegt die Verantwortung von schwulen Prominenten und der AIDS-Hilfe. Bei jeder Generation, immer wieder neu. Das liegt heute immer noch im Argen. Es gibt zu wenige, die vom Herzen aus etwas tun und eine Menge AIDS-Beamte, Sozialarbeiter, Psychologen und so weiter, die irgendwo eine feste Stelle im AIDS-Bereich haben. Ich habe mich da rausgezogen, das muss nun von neuen Leuten einer neuen Bewegung kommen. Wir haben damals ja Programme gerade in der schwulen Sub-Kultur entwickelt, die über irgendwelche Zettel und Fernsehspots hinausgehen. Da muss man sich einfach mehr einfallen lassen.

Zum Beispiel Filme machen?

Die gibt es ja. Auf der Berlinale läuft immerhin ein Kurzfilm über die Berliner Polittunte "Ovo", die sich immer sehr in der AIDS-Arbeit engagierte und die vor kurzem gestorben ist. Solche Sachen entstehen weltweit - aber Film ist ja nur ein Mittel von vielen.

Von einem Aufschrei gegen die steigende Zahl der Infektionen kann aber keine Rede sein - gerade wenn man dies mit dem Kampf gegen AIDS in den 1980er und 1990er Jahren vergleicht.

Auch wieder eine Sache der Zeit. Momentan sind durch die Medikamente, die ja auch wirklich viele Menschen retten können, viele leichtsinnig geworden - wobei wir nicht wissen, wie sich die medizinische Seite entwickelt. Es sind wieder Bekannte von mir gestorben. Bilden sich vielleicht Resistenzen? Man weiß es nicht.

Der schwule Cowboy-Film "Brokeback Mountain" ist der große Favorit auf den Oscar, auf der Berlinale läuft ein Film über einen schwulen Fußballer. Western und Fußball - die letzten Hetero-Festungen scheinen gestürmt, der schwule Film ist im Mainstream angekommen. Wie wird sich der schwule Film weiter entwickeln?

Na, wie der Hetero-Film. Schauen Sie doch mal, wie viele Liebesfilme es gibt. Themen gehen nie aus. Es geht eben um Menschen und Beziehungen, das wird immer spannend bleiben. Es ist immer wieder wichtig und spannend, Leute zu zeigen, die unterdrückt werden, die nicht das Glück haben, dass man ihnen so viel Toleranz entgegenbringt. Sich selbst eine Freiheit zu nehmen, das zu tun, was man für richtig hält, dieses Selbstbewusstsein zu bekommen - auch das ist ein Thema.

Ist der Triumph im Mainstream aber vielleicht das Ende des schwulen politischen Films?

Nein. Dafür ist weltweit zu viel im Argen. Es ist wichtig, dass nicht nur etwas aus Hollywood kommt, sondern auch aus dem Osten, wo die Kirche noch großen Einfluss ausübt, aus Afrika und Asien, wo die Sexual-Unterdrückung ganz allgemein stark ist. Es geht ja nun wirklich nicht nur um die Rechte von Schwulen, Lesben und Transgender, sondern auch um Frauen. Es gibt noch viel zu tun.

Rosa von Praunheim, 64, ist Regisseur, Darsteller, Produzent, Künstler und Mitbegründer der politischen Schwulenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland. International bekannt wurde von Praunheim durch seinen Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" (1970). Seitdem umfangreiches Werk an Filmen, Theaterstücken, Hörspielen. Großes Aufsehen erregte Rosa von Praunheim 1991 durch die von ihm in Deutschland losgetretene Outing-Debatte, als er unter anderem den Moderator Alfred Biolek und den Komiker Hape Kerkeling öffentlich als schwul bezeichnete. Rosa von Praunheim unterrichtet Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg.