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Geschlechterklischees in Kinderbüchern

19. Juni 2011

Es war einmal....eine Zeit, da waren stumpfsinnige Rollenzuweisungen und geschlechterspezifische Farben in der Kinderliteratur verpönt. Warum nur erstrahlen die Regale der Buchhandlungen jetzt wieder in rosa und blau?

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Kinderbuch- und Spielzeugladen 'Libelle' (Foto: Ines Borchart)
Kinderbücher in KlischeefarbenBild: Ines Borchart

Etwas reserviert zieht Buchhändlerin Inga Karbstein ein rosafarbenes Buch aus dem Regal. "Bei dieser Reihe war ich wirklich schockiert, weil es so kitschig und dazu noch so trivial illustriert ist." Drei Pferdeköpfe sind auf dem Cover zu sehen, eingerahmt von silberfarbenen Sternen. "Sternenschweif" heißt diese beliebte Pferde-Lektüre, die Inga Karbstein etwas widerwillig im Programm hat. "Es gibt schon viele Mädchen, die diese Reihe lieben. Ich habe es aber bisher noch nicht geschafft, ein Buch davon zu lesen."

Inga Karbstein, Inhaberin des Kinderbuch- und Spielzeugladens 'Libelle' in Berlin-Friedrichshain (Foto: Ines Borchart)
Inga Karbstein, Inhaberin des Kinderbuch- und Spielzeugladens "Libelle" in Berlin-FriedrichshainBild: Ines Borchart

Seit vier Jahren führt Inga Karbstein den Kinder- und Jugendbuchladen "Libelle" in Berlin. Ihre Bücherregale sind liebevoll sortiert, für Kleinkinder nach Altersgruppen, für Kinder ab 8 Jahren gibt es ein Regal für "wilde Mädchen" und eines für "wilde Jungs". Aus letzterem zieht Inga Karbstein ein schwarzes Buch heraus. "Die Bücher für Jungen sind eher in dunklen Farbtönen gehalten und zeigen oft Monster und Fantasy-Gestalten." Das spreche Jungen eher an, da es abenteuerlich aussehe.

Richtig wohl fühlt sich die Buchhändlerin bei diesen Zuschreibungen nicht. Aber so funktioniert der Verkauf nun einmal, wie Inga Karbstein in ihrem Buchladen beobachtet hat. Oft greifen nicht nur die Eltern sondern auch ihre kleinen Kunden gezielt nach rosa- oder schwarzfarbigen Büchern.

Bloß kein rosa für Jungen-Bücher

Die Cover-Gestaltung ist bei Kinderbüchern noch ausschlaggebender als in der Belletristik, sagt Ulrich Störiko-Blume, Leiter des Hanser Kinderbuch-Verlags. Wird im Verlag eine Neuerscheinung besprochen, weist er auf die richtige Farbgebung hin. "Wenn eine Geschichte auch Jungs ansprechen könnte und der Umschlag kommt in lila daher, dann hebe ich alle Hände und sage: Bitte tut es nicht."

Jungen sind eine wichtige Zielgruppe der Verlage. Statistiken zeigen, dass Jungen viel seltener lesen als Mädchen: Nur ein Drittel der jugendlichen Leser sind männlich. Daher gibt es in vielen Kinder- und Jugendbuchverlagen Überlegungen, wie Jungen besser angesprochen werden könnten. "Rosa und lila sind Signalfarben für Mädchen. Ein Junge würde sich sicherlich nicht so gerne mit so einem Buch erwischen lassen."

Außen rosa, innen emanzipiert

Aber auch der Geschmack der Eltern spielt hier eine nicht unerhebliche Rolle, sagt Buchhändlerin Karbstein. "Wir hatten auch schon Jungen, die gerne typische Mädchensachen wollten. Da waren dann aber die Eltern dagegen." Sie habe den Eindruck, dass Jungen es noch einmal schwerer hätten, eine Auswahl zu treffen. "Das ist wie bei Kleidung: Ganz viele kleine Jungen hätten gerne rosa Glitzerschuhe, kriegen die aber nicht."

Madonna posiert vor dem Buchcover von 'The English Roses' (Foto: AP)
Auch Madonne setzte auf die Signalwirkung von Rosa bei ihrem Kinderbuch "The English Roses"Bild: AP

Inga Karbstein kann es manchmal selbst kaum glauben, wie stark die geschlechtsspezifische Rollenverteilung im Buchkauf verankert ist. Sie selbst hat sich viel mit Geschlechterfragen beschäftigt, daher war sie zunächst etwas irritiert, als ihre eigene Tochter zu Prinzessinnenbüchern griff. Zum Glück sei bei vielen Büchern oft nur das Cover rosafarben, "der Inhalt und die Geschichte aber ziemlich überzeugend".

Kinderbuchverlage haben Klischees nicht nötig

Deswegen kann Regina Pantos vom Arbeitskreis für Jugendliteratur gar nicht verstehen, warum die Verlage wieder auf die Signalfarben setzen. "Das finde ich wirklich entsetzlich, das ist doch völlig überholt." Besonders fragwürdig findet sie, dass diese Unterscheidung schon im Vorlesealter von 12 Monaten beginne.

"Ich halte es wirklich für einen Trugschluss der Verlage, dass man mit allen Mitteln dem Bedürfnis nach geschlechtsspezifischer Ausrichtung nachkommen muss, um ein Geschäft zu machen. Es ging einmal anders, es würde auch anders wieder gehen. Aber wenn ein Verlag Erfolg mit einer rosa Mädchenserie hat, dann machen es alle anderen nach."

Dabei haben das die Kinder- und Jugendbuchverlage gar nicht nötig. Die Literatur für kleine Leser ist im deutschen Buchmarkt ein sehr stabiles Segment. Über 15 Prozent des Gesamtumsatzes machen Kinder- und Jugendbücher aus – und das würde sicherlich auch dann so bleiben, wenn die Verlage sich trauen, auf einfallslose Klischees zu verzichten.

Autorin: Nadine Wojcik
Redaktion: Gabriela Schaaf