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"Moldau braucht Druck von außen"

Robert Schwartz 18. November 2015

Nachdem Ende Oktober das Parlament in Chisinau die EU-freundliche Regierung abgesetzt hat, stellt sich die Bildung einer neuen Regierung als sehr schwierig dar. Einer der möglichen Kandidaten ist Iurie Leancă.

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Republik Moldau, Parlament (Foto: EPA/DUMITRU DORU +++(c) dpa - Bildfunk)
Parlament in Chisinau, der Hauptstadt der Republik MoldauBild: picture-alliance/dpa/D. Doru

Deutsche Welle: Herr Leancă, die Republik Moldau steckt in einer tiefen politischen Krise. Der ehemalige Musterschüler der Östlichen Partnerschaft der Europäischen Union ist zu einem Staat im Würgegriff korrupter Oligarchen geworden. Sie waren von 2013 bis 2014 Ministerpräsident einer Koalition der pro-europäischen Parteien, jetzt werden Sie erneut als Regierungschef gehandelt. Welches Programm haben Sie zu bieten?

Iurie Leancă: Gleich zu Beginn muss gesagt werden, dass wir noch weit davon entfernt sind, über eine neue Regierung und einen Premierminister zu sprechen. Noch gibt es die nötigen Voraussetzungen dazu nicht. Ohne eine engagierte Koalition, ohne einen konkreten Reformplan in den Kernbereichen unserer Gesellschaft ist es verfrüht, darüber zu reden. Unsere gesamte politische Energie muss sich jetzt darauf konzentrieren, ob wir eine Koalition zusammen bekommen, die völlig anders agiert als die bisherigen. Ich bin der Überzeugung, dass wir vom Ergebnis der Parlamentswahlen vom 30. November 2014 ausgehen müssen. Damals wurden 55 Abgeordnete (von insgesamt 101) der pro-europäischen Plattform ins Parlament gewählt. Auf dieser Basis können wir die wichtigsten Vorhaben angehen: die Modernisierung der staatlichen Institutionen, etwa der Justiz, ihre Befreiung aus dem Würgegriff (der Oligarchen), die Respektierung der Gesetze, also des Rechtsstaats in der Republik Moldau.

Glauben Sie tatsächlich, dass die kompromittierten Strukturen in den pro-europäischen Parteien europäischen Werten zugetan sind und die Republik Moldau in die EU führen können?

Niemand kann behaupten, dass es zur Zeit einen Konsens innerhalb dieser Parteien, innerhalb der 55 Abgeordneten gibt, um das Land zu modernisieren, die Korruption zu bekämpfen, die Justiz zu reformieren. Es fehlt der politische Wille dazu. Aus meiner Sicht braucht die Republik Moldau einen politischen Willen, der nur mit internem und externem Druck herbeigeführt werden kann.

Iurie Leanca (Foto: Vadim Denisov/TASS)
Iurie LeancăBild: picture-alliance/dpa/V. Denisov

Mitten in der politischen und finanziellen Krise hat Ihr Land ein knallhartes Signal aus Rumänien bekommen: Präsident Klaus Iohannis hat die Überprüfung eines versprochenen Darlehens in Höhe von 150 Millionen Euro gefordert mit der Begründung, in der Republik Moldau gebe es ”keine Gewissheit dafür, dass der Reformprozess fortgeführt würde”. Braucht die politische Klasse in der Moldau mehrere solcher Zeichen aus Bukarest, Berlin oder Brüssel, um sich an die vereinbarten Hausaufgaben zu machen?

Ein kategorisches Ja! Leider muss ich zugeben, dass wir alleine nicht die Fähigkeit hatten, die Lage in unserem Land kritisch zu analysieren. Wir brauchen diese Unterstützung! Aus den Erfahrungen anderer mittel- und osteuropäischer Länder können wir erkennen, dass die europäische Integration einer gemeinsamen Anstrengung bedarf, um die Mentalität und die Reflexe einer Gesellschaft zu verändern. Ab sofort kann niemand mehr in Chisinau auf finanzielle und politische Unterstützung allein wegen der geopolitischen Lage in der Region hoffen. Nur wenn wir unsere Hausaufgaben erledigen, wird man uns helfen - auch finanziell. Der Druck wird uns helfen, uns auch im Bereich der Justizreform anders aufzustellen als bisher. Wir können nicht länger mit Absichtserklärungen auf die Unterstützung unserer Partner hoffen. Jetzt müssen wir uns an die Arbeit machen.

Aus Ihren Antworten höre ich eine gewisse Selbstkritik bezüglich der Zeit, in der Sie Premierminister in Chisinau waren. In diesem Kontext sollten wir über den inzwischen berühmt gewordenen Raub von umgerechnet einer Milliarde Dollar aus dem moldauischen Bankensystem sprechen, einem wesentlichen Auslöser der jetzigen Krise. Als Regierungschef haben Sie eine Garantie für die Nationalbank unterzeichnet. Jetzt soll das Ganze in eine öffentliche Schuld umgewandelt, also auf den Steuerzahler abgewälzt werden. Bereuen Sie es, die Garantie unterzeichnet zu haben? Wurde Druck in dieser Transaktion auf Sie ausgeübt?

Wir sprechen hier über unterschiedliche Aspekte. Einerseits ist die Rede von einem Bankbetrug, der sich nicht über Nacht ereignete. Der Raub begann weit vor 2009 durch unverantwortliche, kriminelle Aktionen des Managements der Bank – mit politischer Unterstützung. Als ich Premierminister wurde, war das Loch schon beträchtlich. Ich werfe den Institutionen der Republik Moldau - vor allem der Nationalbank - vor, nicht rechtzeitig eingegriffen zu haben, um den Betrug aufzudecken und zu stoppen, damit sich dieses System nicht ausweitet. Ich habe jene Garantie für die Nationalbank auf deren ausdrückliches Verlangen unterzeichnet, nachdem ich auch mit den internationalen Finanzinstitutionen gesprochen habe. Diese sagten uns, es gebe keine andere Möglichkeit, um einen drohenden Kollaps des gesamten Bankensystems der Moldau zu verhindern. Es war kurz vor den Parlamentswahlen und es wäre zu Hysterie, zu Panik gekommen. Deshalb bereue ich es nicht - ich hatte keine andere Wahl. Allerdings tut es mir leid, dass wir in diese Lage geraten sind - ich habe versucht, mich dagegen zu stemmen, aber meine Möglichkeiten, die Möglichkeiten der Regierung waren begrenzt. Die Garantie musste unterzeichnet werden, es gab keine Alternative dazu. Hunderttausende Bürger hätten über Nacht ihr mühsam Erspartes verloren, das gesamte Bankensystem wäre zusammengebrochen.

Andererseits war ich der erste Politiker, der eine internationale Untersuchung der Vorfälle gefordert hat. Ich hoffe sehr, dass Licht in die Affäre gebracht wird und ein guter Teil des Geldes wieder auftaucht. Ich befürchte nur, dass inzwischen wertvolle Spuren getilgt wurden. Diejenigen, die durch Ramschkredite hohe Summen ergaunert haben, leben in der Republik Moldau. Inzwischen sind mehrere Geschäftsleute festgenommen worden und ich hoffe, dass zumindest ein Teil der Summe eingetrieben wird. Wir brauchen einen klaren Aktionsplan, der öffentlich gemacht wird.

Die Republik Moldau hat zwar einen klaren europäischen Kurs eingeschlagen, den die pro-europäischen Parteien zusammen mit der EU festgelegt haben. In den jüngsten Umfragen liegen allerdings die pro-russischen Parteien vorn. Wie groß ist die Gefahr, dass das europäische Projekt eingefroren wird und sich Ihr Land stärker an Moskau annähert?

Die Republik Moldau braucht gute, vorhersehbare Beziehungen auf der Basis des gegenseitigen Respekts mit allen Staaten. Doch unser Ausgangspunkt ist klar: nur durch die europäische Integration können wir unseren Staat modernisieren. Das gilt auch für andere Länder, die der EU beigetreten sind. Wenn allerdings das Vertrauen in die staatlichen Institutionen, in die Politiker verloren geht, wenn dazu die Verarmung der Bevölkerung fortschreitet und die internationale Finanzierung blockiert wird, dann orientieren sich die Menschen in Richtung Opposition. Schade nur, dass die Opposition die einzige Möglichkeit zur Modernisierung der Republik Moldau missachtet. Noch scheint nicht alles verloren. Wir brauchen eine ehrliche, offene Kommunikation mit den Bürgern. Wir brauchen klare und nachvollziehbare Ziele, um das Vertrauen der Moldauer wieder zu erlangen.

Iurie Leancă war von 2013 bis 2015 Regierungschef der Republik Moldau und zuvor Außenminister des Landes. Hinter dem verlorenen Misstrauensvotum im Februar 2015 vermuten die Beobachter einflussreiche Oligarchen, die die von Leancă angekündigte Reformpolitik zur Bekämpfung der grassierenden Korruption im Land verhindern wollten.

Das Gespräch führte Robert Schwartz.