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Regierungskrise in Polen: Taktiert Kaczynski nur?

12. Juli 2007

Nachdem Premier Jaroslaw Kaczynski zwei Minister entlassen hat, könnte die Regierungskoalition zerfallen. Von der radikalen Bauernpartei könnte die Entscheidung über Neuwahlen abhängen. Hubert Wohlan kommentiert.

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Bild: DW

Erlebt Polen gerade eine handfeste Regierungskrise oder eher eine neue Finte des Premierministers und Parteivorsitzenden Jaroslaw Kaczynski? Diese Frage stellen sich heute viele politisch Interessierte an Weichsel und Oder. Der Premier entließ seinen Vize Andrzej Lepper und den Sportminister, die der Korruption verdächtig sind, und beweist somit erneut der Welt, dass er der Saubermann ist.

Partei nach CSU-Muster

Diese Inszenierung ist methodisch vorbereitet. Sie ist ein Teil der allgemeinen Abrechnung mit der postkommunistischen Zeit der Transformation, die nach Meinung der Kaczynski-Brüder von Affären und einer fatalen Schwächung der staatlichen Institutionen begleitet war. Das harte Durchgreifen des Premierministers sollte somit der Welt beweisen, dass heute endlich eine Partei die Regierungsgeschäfte ausübt, der es um den Staat geht. Eine Partei, für die die Bekämpfung der Korruption die höchste Priorität besitzt und deren Name "Recht und Gerechtigkeit" lautet. Der Selbstdarstellung der Kaczynski-Partei glauben heute etwa 28 Prozent der Polen. Das macht die ehrgeizigen Zwillinge nicht glücklich, weil es das Alleinregieren unmöglich macht. Das ambitionierte Ziel der Kaczynski-Brüder ist die Schaffung einer starken konservativen Partei nach dem Muster der bayerischen CSU. In der strategischen Überlegung der Zwillinge dürfte es im rechten politischen Spektrum in Polen keinen Platz für eine andere Partei geben. Sollte dennoch eine entstehen, dann muss sie geschluckt oder vernichtet werden.

Rechtsparteien im Abseits

Ein derartiges Schicksal droht jetzt der national-populistischen Partei "Selbstverteidigung" - 'Samoobrona', deren Vorsitzender vom Posten des Agrarministers und Vizepremiers entlassen wurde. Seine Parteikollegen wollen, aus Angst vor Neuwahlen, die Koalition vorläufig nicht verlassen. Nach den neuesten Umfragen würde diese Partei die Fünf-Prozent-Hürde nicht erreichen. Ähnlich geht es dem zweiten Koalitionspartner, der "Liga der polnischen Familien". Auch die "Liga" verliert Anhänger und rangiert mit drei Prozent am äußersten Ende der Popularitätsskala. Sie fürchtet die Wahlen wie der Teufel das Weihwasser.

Kampf um Anhängerschaft

Die Regierungskoalition in Polen war von Anfang an ein mit Geburtsfehlern versehenes Gebilde. Keiner wollte sie, und es war nur eine Frage der Zeit, dass sie zusammenbricht. Ihre verlängerte Existenz verdankt sie der sich abzeichnenden Stagnation der politischen Landschaft in Polen. Die politische Formation der Kaczynski-Brüder, eine Heimatstätte für Patrioten und Nationalisten, Superkatholiken und für viele Verlierer aus der Zeit der Transformation, kann ihr Wählerpotential nicht steigern und verharrt an der Grenze von 30 Prozent. Die Zwillinge nutzen jede sich bietende Gelegenheit, um spektakulär aufzutrumpfen und hoffen, dass diese Strategie geeignet ist, der Partei mehr Anhängerschaft zu verschaffen. So auch jetzt.

Hubert Wohlan
DW-RADIO/Polnisch, 11.7.2007, Fokus Ost-Südost