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Reformer und kränkelnder Volkstribun - Zum Tod Boris Jelzins

26. April 2007

Boris Jelzin ist tot. Der ehemalige russische Präsident starb an Herzversagen. Als Reformer angetreten, verließ er die Politik als kranker Selbstherrscher. Er brachte Russland die Marktwirtschaft - und Wladimir Putin.

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Abschied von Boris JelzinBild: AP

"Denk daran, in die Politik lass ich Dich nicht rein", soll der letzte Staats- und Parteichef der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, seinem Widersacher Boris Jelzin im Herbst 1987 erklärt haben. So jedenfalls ist es in den Erinnerungen des einstigen Parteirebellen Jelzin nachzulesen. Damals schien Boris Nikolajewitsch, der 1931 als Sohn einer armen Bauernfamilie im Ural geboren wurde, vor dem Ende einer bislang glänzenden Laufbahn zu stehen: Auf Betreiben Gorbatschows musste Jelzin die Leitung der Moskauer Kommunistischen Partei abgeben, aus der bald austrat.

Doch schon im Jahr 1989 zog er mit 89 Prozent der Wählerstimmen im Rücken in den Kongress der Volksdeputierten ein. Zwei Jahre später wurde er von der großen Menge der Bürger zum Präsidenten Russlands gewählt und verhinderte 1991 den Putsch orthodoxer Kommunisten gegen Michail Gorbatschow. Es war der Höhepunkt seiner politischen Karriere und die Bilder des russischen Präsidenten, der auf einem Panzer stehend die Perestroika verteidigte, gingen um die ganze Welt.

Bildgalerie Boris Jelzin vor dem Parlament Weißes Haus in Moskau
Jelzin beim Putsch in Moskau 1991Bild: AP

Kurz darauf triumphierte Jelzin über Gorbatschow: Die Sowjetunion zerfiel und mit Jelzin an der Spitze des Landes trat Russland die diplomatische Nachfolge an. Einen weiteren Putsch des kommunistischen Parlaments ließ Jelzin im Oktober 1993 blutig niederschlagen; über 100 Menschen starben.

Undurchsichtige Macht

Allmählich schmolz die Unterstützung durch die Demokraten, gleichzeitig wuchs der Einfluss der konservativen Staatsbürokratie. Jelzin begann sich auf undurchsichtige Machtapparate wie Militär, Geheimdienst oder mächtige Industrielobbies zu stützen. Seine Entscheidungen waren abrupt und unvorhersehbar. In der Außenpolitik gab Jelzin seine zunächst prowestliche Haltung auf und bekräftigte auf internationaler Ebene immer wieder den Weltmachtsanspruch Russlands.

Obwohl die desolate Wirtschaftslage und der erste Krieg in Tschetschenien von 1994 bis 1996 seine Popularität in der Bevölkerung rapide sinken ließ, gelang ihm im Juli 1996 noch einmal ein Sieg bei den Präsidentschaftswahlen. Doch schon wenige Monate später musste er sich einer komplizierten Herzoperation unterziehen, von der er sich nie richtig erholte. Von nun war er ständig in ärztlicher Behandlung. Der kranke Kreml-Chef wurde Teil der russischen Krise. Besonders kritisiert wurde Jelzin für die andauernde Wirtschaftskrise, die Korruptionsvorwürfe gegen ihn und seine Familie sowie für überraschende Entlassungen von Regierungschefs.

Er trat schließlich die Flucht nach vorn an und machte im Sommer 1999 den ehemaligen Geheimdienstchef Wladimir Putin zum Ministerpräsidenten. Gleichzeitig brachte er ihn als seinen Wunschnachfolger in Position. Ein neuerlicher Krieg in Tschetschnien brachte ihm in Russland ungeahnte Sympathie, doch aus dem Westen hagelte es scharfe Kritik.

Bildgalerie Boris Jelzin und Wladimir Putin
Jelzin mit Nachfolger Putin (2001)Bild: AP

Putin als Wunschnachfolger

Doch auch die Osterweiterung der NATO, Reibereien in der internationalen Jugoslawien- und Kosovo-Politik oder der russisch-amerikanische Disput über die Abrüstung der Nuklearwaffen belasteten die Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen.

Innenpolitisch konnte dennoch kein russisches Staatsoberhaupt bislang auf soviel demokratische Legitimation verweisen wie Boris Jelzin. Er gestattete Privatbesitz, hob die Preisbindung auf und veranlasste den Abzug der letzten sowjetischen Truppen aus Osteuropa. Doch den Nimbus des Reformers verlor er nach und nach. Zwar konnte sich Russland unter seiner Herrschaft von der Sowjetherrschaft befreien, doch das starke und blühende Russland, das Jelzin sich gewünscht hatte, erlebte er nicht mehr.

Bernd Johann

DW-RADIO/Osteuropa, 23.4.2007, Fokus Ost-Südost