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Rassismus: Viel erreicht, viel zu tun

Felix Tamsut
18. März 2020

Im Kampf gegen Rassismus in deutschen Fußballstadien hat es deutliche Fortschritte gegeben. Aber mehrere Vorfälle der jüngsten Zeit und die mangelnde Vielfalt in Führungsetagen lassen die Experten weiter wachsam sein.

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Hertha BSC Berlin TORUNARIGHA Jordan
Bild: picture-alliance/L. Perenyi

Immer wenn man gedacht hatte, die Sache sei ausgestanden, kam der nächste Vorfall. Die Imitation von Affenlauten beim DFB-Pokalspiel zwischen Schalke und Hertha gegen den Berliner Jordan Torunarigha (Artikelbild) war nur eine der unrühmlichen Episoden. Diskriminierung in den Stadien? Unterhält man sich mit Fachleuten, die mit deutschen Fans arbeiten, hört man: In den letzten 30 Jahren ist die Bundesliga ein gutes Stück vorangekommen im Kampf für Integration und gegen Rassismus. Auch wenn die Situation bei weitem nicht perfekt ist.

Die Fortschritte sind auf eine Art deutsche "Erfindung" zurückzuführen: die "Fanprojekte", in denen professionelle Sozialarbeiter eng mit jungen Fußballanhängern zusammenarbeiten - und die auch die Interessen der Anhänger gegen Behörden und Vereinen vertreten.

Die Projekte werden zu 50 Prozent vom Staat und zu 50 Prozent vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) und der Deutschen Fußball Liga (DFL) finanziert. Sie agieren jedoch unabhängig und sind in der Regel ausschließlich auf die jungen Fans und deren Interessen ausgerichtet.

Bei den Anhängern, die Woche für Woche ins Stadion strömen, genießen die Fan-Projekte ein hohes Maß an Reputation - auch und gerade bei den Hardcore-Ultra-Gruppen. Dieses Vertrauen erst hat es möglich gemacht, eine Diskussion über Diskriminierung und Rassismus auf den Rängen zu starten.

"Nazis raus!"

Ein gutes Beispiel: Als ein Zuschauer rassistische Verleumdungen gegen den ghanaischen Fußballspieler Leroy Kwadwo rief, reagierten andere Fans auf korrekte Art. Sie alarmierten den Sicherheitsdienst, der den Mann hinausbegleitete. Als dann die gegnerischen Spieler Kwadwo umarmten, stand das gesamte Stadion und rief: "Nazis raus!"

Michael Gabriel ist Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS), der Dachorganisation, die die Arbeit der lokalen Initiativen an rund 60 Standorten in Deutschland koordiniert. Die 1993 gegründete KOS hält den Kontakt zu den Sozialarbeitern, steuert Aufklärungskampagnen und bietet professionellen Beratung an.

30 Jahre Fortschritt

Im Gespräch mit der DW erinnert Gabriel an eine ganz andere Atmosphäre in den deutschen Stadion - zu der Zeit, als die Projekte ihre Arbeit aufnahmen. "Die Fankultur in Deutschland war in den achtziger Jahren nicht nur von Gewalt, sondern auch von Rassismus, Nationalismus und Chauvinismus geprägt. Wenn wir es nun aus der Makroperspektive betrachten, können wir feststellen, dass sich die Situation deutlich verbessert hat", sagt Gabriel.

Woran man das erkennt? Die Zuschauer, die den rassistischen Übergriff auf Leroy Kwadwo von den Würzburger Kickers unterbunden haben, die hätten nach Überzeugung von Gabriel in den achtziger Jahren niemals diese Aufmerksamkeit bekommen. Nicht von den anderen Fans im ganzen Land, aber auch nicht von den Medien. "Das zeigt das Maß an Sensibilität, dass wir in den vergangenen 30 Jahren erreicht haben", argumentiert Gabriel.

Grundvoraussetzung der Fan-Arbeit ist die Annahme, dass es eben diese zahlenden Zuschauer sind, die die deutsche Fußballkultur prägen. Es liegt an ihnen, eigene Ideale zu entwickeln. Die Projekte stellen sicher, dass die Anhänger organisiert und diskussionsfähig sind - etwa durch die Gründung von eigenen Kommunikationsorganen, den "Fanzines". In der Folge ergab sich ein Gefühl der Selbstverantwortung und die Bereitschaft, über eine "integrativere" Fankultur nachzudenken. Viele der deutschen Fan- und Ultragruppen erkannten, dass rassistische Tendenzen kontraproduktiv sind, wenn es darum geht, populärer zu werden.

Fall Hopp "alarmierend"

KOS - Michael Gabriel
Michael Gabriel von der Koordinationsstelle KOSBild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenhorst

Wenn man in europäische Stadien blickt, dann ist die Situation in Deutschland vergleichsweise fortschrittlich. Das  bedeutet aber nicht, dass alles schon perfekt wäre.

Das FARE-Netzwerk verfolgt seit mehr als 20 Jahren rassistische Vorfälle im europäischen Fußball. Pavel Klymenko, der für politische Angelegenheiten zuständige FARE-Projektleiter, betont gegenüber der DW, dass Vorfälle der jüngsten Zeit keinen Anlass bieten, sich zurückzulehnen.

Klymenko nennt als Beispiel das Einschreiten bei den persönlichen Beleidigungen gegen den Hoffenheim-Eigentümer Dietmar Hopp. Dies sei "ziemlich alarmierend". Klymenko sieht als einen Grund, dass es auf der Führungsebene im deutschen Fußball immer noch ein Mangel an Diversivität gebe. Beispiel gefällig? Im März 2020 gehören dem DFB-Präsidium 18 Männer an. Und eine Frau.

Diese mangelnde Vielfalt wirkt sich auf die tägliche Entscheidungsfindung aus. "Wer je in seinem Leben unter Diskriminierung gelitten hat, kann sich besser mit Opfern rassistischer Übergriffe identifizieren und entsprechend mitfühlend handeln", sagt Klymenko. Und: "Im Allgemeinen treffen diverse Vorstandsetagen bessere Entscheidungen."

Zwar seien die zahlreichen Anti-Rassismus-Kampagnen von DFB und DFL ein  positives Zeichen, aber Taten seien besser als Worte. "Verbände müssen sich selbst analysieren und fragen, wie vielfältig ihre Strukturen sind. Der Fußball muss so strukturiert werden, dass er diejenigen unterstützt, die unter Rassismus leiden."

Herausforderungen durch die Rechten

Deutschland Immunität von Alexander Gauland aufgehoben
AfD-Fraktionschef Alexander GaulandBild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Gabriel und Klymenko sind in einem Punkt einig: Der Aufstieg der Rechten bringt auch für ihre Arbeit neue Herausforderungen mit sich. "Heute werden Dinge gesagt, die in früheren Zeiten politische Karrieren beendet hätten", sagt Gabriel. "Es ist kein Zufall, dass die rassistischen Vorfälle in letzter Zeit eher von den Sitzplätzen als von den Stehrängen ausgingen. Das ist der beste Beweis dafür, dass Rassismus nicht nur in rechtsextremen Kreisen existiert, sondern in der Mitte der Gesellschaft."