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Kriegsverbrechen Perisic

8. September 2011

Der ranghöchste Militär unter Serbiens Ex-Diktator Milosevic ist zu 27 Jahren Haft verurteilt. Erstmals ist eine direkte Verbindung zwischen Belgrad und dem Bosnien und Kroatien-Krieg nachgewiesen. Doch was folgt daraus?

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Ehemaliger Chef des Generalstabs der jugoslawischen Streitkräfte Momcilo Perisic bei der Urteilsverkündung vor dem UN-Jugoslawientribunal in Den Haag am 6.9.2011 (Foto: dpa)
Milosevics Generalstabschef Momcilo PerisicBild: picture-alliance/dpa

Der ehemalige Chef des jugoslawischen Generalstabs, Momcilo Perisic, wurde am Dienstag (06.09.2011) vom UN-Tribunal in Den Haag zu 27 Jahren Haft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verurteilt. Erstmals musste sich ein hochrangiger serbischer Offizier wegen seiner Verwicklung in die Kriege in Bosnien und Kroatien verantworten. In seiner Funktion habe Perisic sowohl die Truppen der kroatischen als auch der bosnischen Serben mit Soldaten, Waffen und logistischer Hilfe unterstützt, heißt es in der Begründung des UN-Tribunals. Somit habe Perisic die Belagerung Sarajevos von September 1992 bis November 1995 und das Massaker in Srebrenica im Juli 1995 möglich gemacht. Er wurde der Beihilfe an Mord, unmenschlichen Handlungen und Verfolgung aus politischen, rassistischen oder religiösen Gründen für schuldig befunden. In dieser Zeit seien in Bosnien und Kroatien Hunderte Menschen getötet und Tausende verletzt worden, heißt es weiter in der Urteilsbegründung.

Allerdings wurde Perisic der Massenvernichtung als Kriegsverbrechen freigesprochen. Ebenso sei er nicht als direkter Befehlshaber für die in Sarajevo und Srebrenica begangenen Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen. Für schuldig befunden wurde Perisic hingegen, seine Untergebenen nicht bestraft zu haben, die bei den Granatenangriffen auf die kroatische Hauptstadt Zagreb am 2. und 3. Mai 1995 Kriegsverbrechen gegen Zivilisten begangen, sie angegriffen, verletzt oder getötet hatten.

Keine Kontrolle

Militärchef der bosnischen Serben Ratko Mladic in Uniform bei einer Ansprache während des Bosnien-Krieges (Foto: AP)
Der Militärchef der bosnischen Serben Mladic unterstand nicht BelgradBild: AP

Nach Einschätzung des UN-Tribunals versorgte Perisic über die jugoslawische Armee die Streitkräfte der Republika Srpska und der von den kroatischen Serben selbsternannten serbischen Krajina. Diese Truppen wurden in großem Maße mit Infanterie- und Artilleriemunition, Treibstoff, Ersatzteilen sowie in der Ausbildung unterstützt. Perisic sorgte als Generalstabschef ebenfalls dafür, dass Offiziere der Armeen der bosnischen und kroatischen Serben, die aus der jugoslawischen Armee hervorgegangen waren, den Offiziersstatus bei der Jugoslawischen Armee behielten. Dafür gründete er eigens ein Personalzentrum.

Doch auch wenn Perisic mit den Befehlshabern in Bosnien zusammenarbeitete, allen voran mit dem Oberbefehlshaber der bosnischen Serben, Ratko Mladic, habe Perisic keine Kontrolle über die Offiziere der jugoslawischen Streitkräfte gehabt, die in der Armee der Republika Srpska dienten, so der vorsitzende UN-Richter Bakone Moloto. General Mladic steht wegen Kriegsverbrechen in Bosnien ebenfalls in Den Haag vor Gericht.

Chance für Wiederaufnahmeverfahren

Gebäude des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, Niederlande
Neue Klage in Den Haag nicht ausgeschlossenBild: AP

Mit der Verurteilung des ehemaligen Chefs des jugoslawischen Generalsstabs, Momcilo Perisic, wurde erstmals gerichtlich festgehalten, dass Belgrad aktiv in die Kriege in Bosnien und Kroatien verwickelt war. Dieser Nachweis könnte für künftige Klagen von internationalen Gerichten gegen Serbien als Rechtsnachfolger Jugoslawiens relevant sein. Bisherige Versuche Bosniens, Serbien wegen Völkermord in Srebrenica zu Schadenersatz zu verpflichten, sind gescheitert. Nur die Tatsache, dass Völkermord stattgefunden hat, wurde in einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs 2007 festgehalten. Serbien wurde für schuldig erklärt, den Völkermord nicht verhindert zu haben. Kroatien strebt ebenfalls eine Klage wegen Völkermords gegen Serbien an. Der Klage vor dem Internationalen Gerichtshof wurde stattgegeben, ein Verhandlungstermin steht jedoch noch aus.

Dusan Janjic, politischer Analyst aus Belgrad, meint, das UN-Kriegsverbrechertribunal habe die Verantwortung Perisics als Befehlshaber nachgewiesen. Dass die Verantwortung für Srebrenica zum Teil mit einbezogen wird, werfe ein neues Licht auf die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs. Janjic zufolge wird sich im Prozess gegen den Oberbefehlshaber der bosnischen Serben, Ratko Mladic, ergeben, ob es vor der Ermordung der dortigen Muslime direkte Unterredungen mit Belgrad gegeben hat. "Wenn dies tatsächlich der Fall sein sollte, dann hätte es weitreichende Folgen. Dann könnte Bosnien aufgrund der neuen Sachlage beim Internationalen Gerichtshof Widerspruch gegen die zuvor gefällte Entscheidung einlegen", so Janjic.

Widerspruch ausgeschlossen

Der Belgrader Menschenrechtler Vojin Dimitrijevic glaubt hingegen nicht, dass das Urteil die Wiederaufnahme des Verfahrens Bosnien gegen Serbien vor dem Internationalen Gerichtshof zur Folge haben werde. Denn das Urteil habe die Entscheidung des Gerichts aus dem Jahr 2007 bestätigt. Zweifelsohne habe Jugoslawien über seine Streitkräfte sowohl materiell als auch logistisch und personell die Truppen der bosnischen und kroatischen Serben unterstützt. Daraus gehe hervor, dass Perisic als Generalstabschef Mitverantwortung für die Taten dieser Militärs trage, und er es hätte verhindern oder rechtzeitig sanktionieren müssen. Perisic sei unter anderem verurteilt worden wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Allerdings sei der Begriff Vernichtung, wie sie in Srebrenica stattgefunden habe, explizit ausgeschlossen worden. "Demnach hat das UN-Jugoslawien-Tribunal ebenso wie der Internationale Gerichtshof zugrunde gelegt: wenn ein Staat bewaffneten aufständischen Kräften in einem anderen Staat hilft, darf dieser für ihre Taten nicht zur Verantwortung gezogen werden", sagt Dimitrijevic.

Momcilo Perisic war von 1993 bis 1998 Generalstabschef der jugoslawischen Streitkräfte. Am 24. Februar 2005 wurde Anklage gegen ihn erhoben, daraufhin stellte er sich am 7. März dem UN-Strafgerichtshof in Den Haag. Der Prozess gegen Perisic begann am 2. Oktober 2008. Perisic werden über 1000 Tage Untersuchungshaft auf die gesamte Haftstrafe angerechnet. Sowohl die Anklage als auch die Verteidigung haben das Recht auf Berufung.

Autoren: Z. Radoja, D. Maksimovic, M. Dikic (ICTY)
Redaktion: Robert Schwartz