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Ramadi und der Anfang vom Ende des IS?

Kersten Knipp22. Dezember 2015

Irakische Truppen haben mit der Rückeroberung von Ramadi begonnen. Die Stadt spielt in der Geschichte des IS eine wichtige Rolle. Ihr Fall wäre von hoher symbolischer Bedeutung - weit über die Grenzen der Stadt hinaus.

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Irakische Soldaten in Ramadi (Foto: picture-alliance/AP Photo)
Bild: picture-alliance/AP Photo

Der irakische Premier Haidar al-Abadi gab sich entschlossen. "Jeden Zentimeter" irakischen Bodens werde man zurückerobern, erklärte er vergangenen Samstag in Bagdad. Irak sehe sich vielen Herausforderungen gegenüber. "Aber wenn wir zusammenarbeiten, werden wir erfolgreich sein", versicherte er seiner Zuhörerschaft.

Gemünzt war das auf die Rückeroberung der Stadt Ramadi, 110 Kilometer westlich von Bagdad. Seit Wochen schon hatten irakische Truppen einen Ring um die Stadt gezogen. Seit Montag stoßen sie in das Zentrum der Stadt vor. "In 72 Stunden wird die Stadt sauber sein", versichert Sabah al-Noman, der Kommandant des Unternehmens, gegenüber irakischen Medien.

Gelingt es, die Stadt zurückzuerobern, wäre das für die irakischen Truppen auch ein großer symbolischer Erfolg. Denn Ramadi ist Hauptstadt der Provinz Anbar - jener Region, in der der sogenannte "Islamische Staat" (IS) bereits vor knapp zwei Jahren Fuß fasste. Dort, im "Sunnitischen Dreieck", hatte er sich Spannungen zwischen der sunnitischen Bevölkerung und der schiitisch dominierten Regierung Nuri al-Maliki zunutze gemacht. Die Sunniten sahen sich von al-Malikis Regierung in ihren Rechten beschränkt. Ihre Proteste wurden von Regierungstruppen bekämpft - teilweise auf sehr brutale Art. Viele sunnitische Regierungsgegner suchten daraufhin die Nähe zum IS.

Der irakische Premier Haidar al-Abadi (Foto: Reuters/K. al-Mousily)
Entschlossene Kampfansage: der irakische Premier Haidar al-AbadiBild: Reuters/K. al-Mousily

Umgang mit Zivilisten entscheidet

Inzwischen hat sich das Verhältnis der Bevölkerung zum IS gründlich gewandelt. Die großen Stämme der Region seien längst auf Distanz zu den Terroristen gegangen, sagt Ali Abi Firas vom US-amerikanischen Forschungs- und Informationsportal IHS im Gespräch mit der DW. Angesichts der revolutionären Vorgeschichte der Stadt komme es nun aber darauf an, welchen Wert die Armee bei der Wiedereroberung der Stadt auf den Schutz der in der Stadt lebenden Zivilisten legt.

Ein Teil der Bevölkerung wird vom IS in der Stadt festgehalten und als menschlicher Schutzschild missbraucht. "Die Art und Weise, wie man auf die Zivilisten achtet, wird die künftigen schiitisch-sunnitischen Beziehungen entscheidend prägen", betont Ali Abi Firas.

Al-Malikis Nachfolger al-Abadi ist es trotz vehementer Anstrengungen nicht gelungen, die Sunniten wieder mit Staat und Regierung zu versöhnen. Zumindest sehen die Sunniten ihrer politischen und gesellschaftlichen Zukunft im Land weiter mit Sorge entgegen.

Wohl auch darum liegt die Leitung des Feldzugs in den Händen des "Iraqi Counter Terrorism Service" (ICTS). Dessen Anfänge gehen auf das Jahr 2003 zurück, als die US-Armee in den Irak einmarschierte und das Regime Saddam Husseins stürzte. Inzwischen hat das ICTS fast den Rang eines eigenen Ministeriums. Überall dort, wo die anderen irakischen Kräfte - allen voran das Militär - im Kampf gegen den IS nicht weiterkamen, sprang das ICTS ein.

Nach dem Rückzug der Amerikaner im Dezember 2011 war das ICTS zunächst zwar logistisch wie auch in der Fähigkeit zur Informationsbeschaffung geschwächt. Inzwischen konnte es dieses Manko aber wieder gutmachen. "Zu Beginn des Jahres 2014 galt das ICTS weiterhin als effektivste Sicherheitseinheit im Irak", heißt es in einer Studie des Think Tanks "Brookings Institution".

Zivilisten verlassen Ramadi (Foto: Reuters)
Bereits im November verließen Zivilisten die Stadt RamadiBild: Reuters/T. Al-Sudani

IS verliert 14 Prozent seines Herrschaftsgebiets

Als solche wird es auch ihre Aufgabe sein, die schiitischen Milizen zu zügeln, die sich, wenn auch in zweiter Reihe, an der Wiedereroberung Ramadis beteiligen. Diese hatten der geschwächten und demoralisierten irakischen Armee in den vergangenen Monaten zur Seite gestanden, waren aber durch ein besonders brutales Vorgehen gegen sunnitische Zivilisten aufgefallen.

Das trug erheblich dazu bei, das Misstrauen der Sunniten gegenüber dem Staat aufrecht zu erhalten. Darum werden nun vor allem sunnitische Milizen die irakischen Sicherheitskräfte unterstützen. Alle zusammen werden flankiert von den US-Amerikanern, die Luftangriffe auf Stützpunkte des IS in Ramadi fliegen.

Würde der IS aus Ramadi vertrieben, würde dies sein ohnehin bereits geschrumpftes Herrschaftsgebiet weiter verkleinern. Im Jahr 2015 habe der IS bereits 14 Prozent seines über die syrisch-irakische Grenze verlaufenden Herrschaftsgebiets verloren, heißt es in einer Studie des Informationsportals IHS.

Der Zerfall des IS könnte sich im Irak fortsetzen. Und das, vermutet Nahostanalyst Abi Ali Firas, hätte weiterreichende Folgen. Denn der IS unterscheide nicht zwischen den spirituellen und säkularen Grundlagen des Staats. "Seine Gebietsherrschaft auszubauen, heißt aus Sicht des IS zugleich, seine Legitimität zu begründen."

Irakische Truppen vor Ramadi (Foto: Reuters)
Langfristige Vorbereitung: Irakische Truppen erreichen Ramadi im NovemberBild: picture-alliance/AP Photo/O. Sami

Anfang vom Ende des IS?

Langfristig könnte es für den IS aber auch anderswo eng werden. Die Vereinten Nationen haben in der vergangenen Woche eine Resolution verabschiedet, die dazu beitragen soll, die Einkünfte des IS zu beschneiden. Die Dschihadisten finanzieren sich aus zahlreichen Quellen. Die Wichtigste ist der Ölhandel. Hinzu kommen Einnahmen aus dem Handel mit Antiquitäten, aus Entführungen, Erpressung, Schmuggel. Gelänge es, diese Quellen trocken zu legen, könnte der IS langfristig weder seine Kämpfer bezahlen, noch den Nachschub an Waffen und Ausrüstung sichern.

Hinzu kommt, dass die Terrororganisation kaum noch Sympathien genießt. 89 Prozent der Araber lehnten den IS und seine Ideologie ab, wie eine jüngst veröffentlichte Studie des "Arab Center for Research & Policy Studies" ergab. Nur drei Prozent hätten eine sehr positive Einstellung zur IS-Ideologie. Die meisten dieser IS-Sympathisanten, hält die Studie weiter fest, stammten aber aus Gegenden, in denen schwere politische Missstände herrschten. Diese Faktoren zusammengerechnet, könnte der Fall von Ramadi der Anfang vom langsamen Ende des IS sein.