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Angst vor Hotspots

29. Februar 2012

Viele Japaner haben Angst vor radioaktiven Hotspots – verstrahlten Orten in ansonsten unbelasteten Gebieten. Weil sie offiziellen Informationen misstrauen, sammeln sie selbst Daten und stellen sie ins Netz.

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Ein Mobiltelefon mit einer Karte von Safecast, auf der die radioaktiven Hotspots in Japan vermerkt sind. (Foto: DW/ Alexander Freund) das Foto hat Herr Freund am 21.02.2012 in Bonn aufgenommen
Bild: DW

Das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den Betreibern von Atomkraftwerken und den staatlichen Institutionen in Japan ist seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima groß. Die Behörden haben immer wieder beteuert, dass außerhalb der gesperrten 30-Kilometer-Zone um die Unglücksreaktoren keine Gefahr für die Bevölkerung bestünde.

Aber nicht alle Menschen wollen sich auf diese Beteuerungen verlassen. Viele erinnern sich noch an Iitate, eine Kleinstadt mit etwa 6.000 Einwohnern, die 45 Kilometer nordwestlich der japanischen Unglücksmeiler liegt und trotzdem stark verstrahlt wurde. Erst gut zwei Monate nach der Katastrophe wurden die Menschen von dort evakuiert.

Angestellte der Präfektur prüfen die Radioaktivität in Iitate (AP Photo/Yomiuri Shimbun, Kanji Tada)
In Iitate wurden erhöhte Cäsium-Werte gemessenBild: dapd

Der radioaktive Niederschlag hat sich seit dem Unglück am 11.03.2011 nicht gleichmäßig über das Land verteilt. Messungen zeigen, dass Flecken mit sehr hoher Radioaktivität durchaus in Gebieten vorkommen können, die ansonsten kaum stärker belastet sind, als durch natürliche Radioaktivität. Zum Teil kann es schon reichen, eine Straße zu überqueren, um einer sehr viel höheren oder geringeren Strahlungsbelastung ausgesetzt zu sein.

Diffuse Angst vor der unsichtbaren Gefahr

Weil Radioaktivität unsichtbar ist, erzeugt der Gedanke an solche gesundheitsbedrohenden, radioaktiven Hotspots eine diffuse Angst: Wo kann ich mich als Bürger überhaupt noch sicher fühlen, wenn ich den Beteuerungen der Behörden nicht trauen kann?

Damit die Menschen mit dieser Angst nicht allein bleiben, hatten sich einige Wissenschaftler und Umweltaktivisten schon in den ersten Tagen nach der Atomkatastrophe zusammengeschlossen und eine Initiative gegründet, mit der sie sich zunächst selbst einen Überblick über die tatsächliche Strahlenbelastung verschaffen wollten.

Die Initiatoren des Projektes waren knapp ein Dutzend Ingenieure, Forscher und Computer-Programmierer aus Japan und verschiedenen Städten in den USA. Sie fanden zunächst aus einem Bekanntenkreis zusammen, der dann aber schnell anwuchs. In den Wochen nach der Nuklearkatastrophe hielten sie regelmäßige Internet-Telefonkonferenzen ab. Daraus entwickelte sich schon bald ein virtueller Krisenstab im Cyberspace.

Screenshot http://gamma.tar.bz/maps/main/
Safecast stellt seine Daten auf detailierten Karten der Öffentlichkeit zur VerfügungBild: gamma.tar.bz

Geigerzähler für den Hausgebrauch

Zu ihnen stieß auch ein Hersteller von Hochpräzisions-Geigerzählern aus Hawaii sowie der Betreiber einer Webseite in Portland, die es sich zum Ziel gemacht hatte, eine interaktive Karte mit Radioaktivitäts-Daten zu entwickeln. Daraus entstand das Projekt "Safecast", bei dem Bürger auf eigene Faust mit einheitlichen Messgeräten losziehen, die Strahlendosis an bestimmten Orten messen und diese online in Karten oder auf Google-Maps verzeichnen.

Eine Hürde, die die Initiatoren anfangs zu überwinden hatten war es, die beteiligten Aktivisten mit geeigneten Messgeräten auszustatten, die vergleichbare und einheitliche Daten liefern konnten. Deshalb begannen sie im April 2011 mit der Entwicklung eines technisch simplen Geigerzählers für den Hausgebrauch, namens bGeigie, der die Daten mit einem industriellen aber hochsensiblen Standard-Sensor misst. Um Fehler zu vermeiden und die Daten zu verifizieren, nutzen die Safecast-Aktivisten immer zwei separate Messgeräte.

Hotspots hunderte Kliometer entfernt

Alleine in Tokio, das fast 260 Kilometer von Fukushima entfernt liegt, fanden die Aktivisten bis Oktober 2011 etwa zwanzig Hotspots, an denen die Konzentration von radioaktivem Cäsium so hoch war, dass eine Gesundheitsgefährdung nicht ausgeschlossen werden kann. Vergleichbare systematische und kleinteilige Bodenmessungen der Behörden gibt es bislang nicht. Die Regierung hat anstelle dessen vor allem Luftmessungen von Flugzeugen aus durchgeführt.

Ein Mitglied von greepeace mißt mit einem Geigerzähler die Strahlung in Iitate (Foto: EPA/CHRISTIAN ASLUND/GREENPEACE)
Nicht jeder Geigerzähler erfüllt die hohen Ansprüche der AktivistenBild: picture alliance/dpa

Bei Messungen in Bodennähe erheben die Behörden ihre Daten häufig in einer Höhe von etwa zehn Metern über der Erde, also dort, wo sich Menschen nicht aufhalten. Auch führen Behörden Messungen oft nur an einem Ort durch und verallgemeinern diese für eine ganze Stadt. Safecast hingegen führt alle Messungen in einer Höhe von 1,50 Metern durch, also in etwa dort, wo Menschen Luft atmen. Auch legen die Aktivisten viel genauere Raster an.

Die stärkste Belastung geht bei den Hotspots vom Cäsium Isotop 137 aus, welches eine Halbwertszeit von rund 30 Jahren hat und damit noch lange messbar sein wird. Aber auch Cäsium 134, welches bereits nach zwei Jahren die Hälfte seiner Strahlungsintensität verliert, wird noch in einigen Jahren nachweisbar sein.

Diese Stoffe sind Beta-Strahler. Das bedeutet, die Strahlung, die sie verursachen, dringt durch ein Stück Papier, oder durch Kleidung praktisch nicht durch. Gefährlich ist Cäsium trotzdem. Seine Radiotoxizität entfaltet das Material, wenn Menschen die Cäsium-Partikel einatmen oder über Speisen und Getränke aufnehmen. Obwohl Safecast-Aktivisten auch einzelne Proben nach den gefährlicheren Isotopen von Plutonium, Strontium und Iridium untersucht haben, konnten sie bislang diese Stoffe nicht finden. Andere Organisationen hatten allerdings vereinzelt auch diese Isotope nach der Atomkratastrophe von Fukushima gemessen.

Autor: Fabian Schmidt
Redaktion: Judith Hartl