1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rückzug aus der ersten Reihe

Wolfgang Dick27. September 2013

Die SPD tastet sich an eine Große Koalition heran. Dort würde Peer Steinbrück jedoch keine Rolle mehr spielen: der unterlegene Kanzlerkandidat kündigte ein "geordnetes Ende" seiner Karriere an.

https://p.dw.com/p/19pjK
Peer Steinbrück (Foto: Johannes Eisele/AFP/Getty Images)
Bild: Johannes Eisele/AFP/Getty Images

Ein SPD-Parteikonvent hat grünes Licht für Gespräche mit den Unionsparteien gegeben. Ob diese Sondierungen dann aber auch in eine Große Koalition münden, ließen die 200 Sozialdemokraten im Berliner Willy-Brandt-Haus ausdrücklich offen. Der unterlegene Kanzlerkandidat Peer Steinbrück verkündete als Konsequenz aus dem Wahlergebnis seinen Rückzug aus der ersten Reihe der Politik: Er strebe kein Amt mehr in Partei und Bundestagsfraktion an, sagte der 66-Jährige am Freitagabend (27.09.2013).

Im Wahlkampf hatte es für ihn persönlich nur eine Option gegeben. Eine Koalition der SPD mit den Grünen mit ihm als Bundeskanzler. Die für ihn ungünstigen Umfragen ignorierte der 66-jährige Diplom-Volkswirt Steinbrück im Wahlkampf hartnäckig. Er machte einfach weiter. Auch als ihm viele Fehler und vermeintlich negative Eigenschaften vorgeworfen wurden. Steinbrück zeigte schon früher, dass man nie aufgeben darf. Als Schüler hatte er noch schlechte Noten im Fach Mathematik und musste sogar zwei Schuljahre bis zum Abitur wiederholen. Dennoch arbeitete er sich ganz nach oben. Vom Hilfsreferenten im Kanzleramt über verschiedene Positionen in Ministerien bis zum Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und schließlich zum anerkannten, viel gefragten Finanzexperten und Bundesfinanzminister in der großen Koalition aus CDU und SPD (2005-2009).

Angela Merkel und Peer Steinbrück (Foto: Reuters)
Einst Partner dann Konkurrenten: Merkel und Steinbrück beim TV-Rede-DuellBild: Reuters

Die Chemie zwischen Steinbrück und Merkel

In dieser Rolle kämpfte Steinbrück in enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Kanzlerin Angela Merkel gegen die Finanzkrise. Beide schätzten sich. Und beide hielten über Parteigrenzen hinweg zusammen.

Als sich die Finanzkrise im Jahr 2009 zuspitzte, drohten Sparer die Banken in Deutschland zu stürmen, um ihr Geld von den Konten zu räumen. Bei einem beherzten gemeinsamen öffentlichen Auftritt sicherten Steinbrück und Merkel zu, dass alle Sparguthaben auf Banken in Deutschland sicher seien und verhinderten Panik. Ob die Erfahrungen aus der Zweckgemeinschaft von damals auch künftig wieder tragen können? Peer Steinbrück hat im Wahlkampf deutlich gesagt: "Ich möchte das nicht mehr. Wir sind doch nicht nur der nützliche Idiot für andere."

Peer Steinbrück (Foto: DW/W. Dick)
Peer Steinbrück mangelt es nicht an SelbstbewusstseinBild: DW/W. Dick

Steinbrücks politische Handicaps

Steinbrücks Politikstil gilt als ruppig, belehrend und wenig diplomatisch. Er sagt direkt, was er denkt. Wegbegleiter beschreiben den ausgewiesenen Macher zudem als äußerst ungeduldig. Als es darum ging, die Steuerflucht einzudämmen, die Schweiz als beliebter Ort für Schwarzgelder aber einen Datenaustausch verweigert, drohte Steinbrück Zwangsmaßnahmen an. Seine kraftvolle Formulierung "die Kavallerie gegen die Schweiz marschieren zu lassen" sorgte für erhebliche diplomatische Verstimmung.

Steinbrück könnte als konservativer Sozialdemokrat bezeichnet werden. Schon zu Zeiten als Landesfinanzminister und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hatte Peer Steinbrück die so genannte "Agenda 2010" unterstützt. Mit den drastischen Reformen wollte der ehemalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder den Arbeitsmarkt umbauen und die damals hohe Arbeitslosigkeit verringern. Die Idee, die damals schon und auch heute von der CDU gelobt wird, fand Steinbrück gut. Es entstand tatsächlich eine Art Jobwunder. Allerdings: Viele Regelungen wurden von Arbeitgebern ausgenutzt. Heute verdienen rund zwanzig Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland Löhne, von denen sie ihr Leben kaum bestreiten können.

Peer Steinbrück räumte im Wahlkampf ein: "Da ist etwas ganz entscheidend falsch gelaufen. Die Gesellschaft droht auseinander zu driften". Dem wollte er politisch begegnen. Steinbrück warb für eine soziale Marktwirtschaft, die das Gemeinwohl wieder in den Vordergrund stellen sollte. Kritiker bezeichneten jedoch die politische Kehrtwende des Peer Steinbrück als unglaubwürdig.

Peer Steinbrück (Foto: picture-alliance/dpa)
Peer Steinbrück liebt klare Worte und gibt sich kämpferischBild: picture-alliance/dpa

Kein ausgesprochen Linker

Der Sohn aus einer gut gestellten Hamburger Kaufmannsfamilie hatte die Vorzüge des Kapitalismus bereits in vielen Schülerjobs ausgekostet. In kürzester Zeit hatte er sich vom Parkplatzwächter für Fahrräder bis zur Aufsicht über Autostellplätze verbessert. Bereits mit 20 Jahren entschied Steinbrück sich für die SPD. Sein Vorbild: Willy Brandt. Dessen Ostpolitik und die Bemühungen, einen Wandel in den Beziehungen zur damaligen Sowjetunion über Annäherung zu vollziehen, hatten Steinbrück beeindruckt. Bis heute halte er es für all seine politische Arbeit mit einem Satz von Willy Brandt: "Du musst für alles kämpfen. Nichts ist selbstverständlich".

Als die Sozialdemokraten im Jahr 2009 die Bundestagswahl verlieren, schien Peer Steinbrück allerdings das Kämpfen ein wenig aufgegeben zu haben. Er wurde ganz normaler Abgeordneter und erklärte seinen Rückzug aus der Spitzenpolitik. Stattdessen schrieb er ein Buch ("Unterm Strich") über seine Regierungszeit, übernahm Honorarprofessuren an Universitäten und wurde hoch bezahlter Vortragsreisender. Noch im Jahr 2010 glaubte Steinbrück nicht, dass er noch einmal ein hohes politisches Amt bekleiden würde. Doch dann kam alles ganz anders: Er wurde der Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl am 22. September 2013.