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Somalia

Ludger Schadomsky3. Januar 2007

Obwohl die Regierung nach dem Rückzug der Islamisten jetzt die weitgehende Kontrolle über das Land hat, ist die Zukunft des vom Bürgerkrieg zerrütteten Somalia völlig ungewiss.

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Somalia Einwohner Frau mit Flagge in Kismayu
Somalier feiern die Vertreibung der IslamistenBild: AP

Es muss ein erhebendes Gefühl für Ali Mohamed Gedi sein, wieder in Mogadischu zu sein: Eben dort hatte der 54jährige studierte Tiermediziner in den Jahren vor dem Chaos an der Universität unterrichtet und gelehrt. Als Somalia in den 1990er-Jahren in Anarchie versank, war an Studien nicht mehr zu denken und Gedi engagierte sich in der Politik. Im Zuge der Regierungsbildung 2004 in Kenia wurde der hochgewachsene Gedi, der zum mächtigen Clan der Hawiye zählt, überraschend zum Premierminister der Übergangsregierung gewählt. Doch sein Kabinett, das über 47 Minister und 42 Vizemininister verfügt, bekam Gedi nie in den Griff und in Mogadischu konnte er sich mit dem mehrheitlich aus Kriegsfürsten zusammengesetzten bunten Haufen nie sehen lassen.

Forderungen an Kenia und die Afrikanische Union

Die Töne, die Gedi nun, nach der der Besitznahme der Hauptstadt anschlägt, sind ungewohnt forsch: Wenn die Milizen der Sharia-Gerichtshöfe nicht freiwillig die Waffen abgäben, dann werde man sie gewaltsam einsammeln. Den Nachbarn Kenia rief Gedi auf, die gemeinsame Grenze dicht zu machen, und die Afrikanische Union forderte er auf, nun doch bald die versprochene Friedenstruppe ins Land zu schicken.

Schwer bewaffneter äthiopischer Soldat in Kismayu
Schwer bewaffnet - äthiopischer Soldat in KismayuBild: AP

Der Premier scheint sich wohl zu fühlen in Mogadischu, in das die Regierung nach eigenen Angaben baldmöglichst umzuziehen gedenkt. Doch der Sieg "seiner" Regierung ist in Wahrheit einer von Äthiopiens Gnaden, und die relative Ordnung in Mogadischu könnte schon bald kippen, wenn nämlich der mächtige Nachbar wie angekündigt in wenigen Wochen seine Truppen abzieht. Die Bilder der winkenden Menschen am Straßenrand täuschen: Die Äthiopier sind im Volk verhasst, bleiben sie zu lange, werden aus den Befreiern Besatzer und der Volkszorn ist ihnen und Gedis Regierung sicher.

Bart ab und untergetaucht

Auch an einer anderen Front droht der schwachen, intern tief gespaltenen somalischen Regierung Ungemach: Es mehren sich Berichte, nach denen zahlreiche Islamisten sich schlichtweg den Bart abrasiert haben und in Mogadischu untergetaucht sind. Sollte es Gedi und seiner Mannschaft nicht schnell gelingen, die Herzen und Köpfe der Somalier zu gewinnen, und das bedeutet neben der Herstellung von Ordnung und Sicherheit die Bereitstellung sozialer Dienstleistungen, dann werden die Islamisten keine Mühe haben, Sympathisanten für den angekündigten Guerillakrieg zu finden.

"Der militärische Flügel konnte sich in einem relativ guten Zustand zurückziehen, und seine Anführer sind aller Wahrscheinlichkeit nicht gefasst oder getötet worden," sagt Somalia-Experte Matt Bryden von der International Crisis Group. "Wir müssen davon ausgehen, dass sie ihren Untergrundkampf fortsetzen müssen. Und dann ist da natürlich noch das Fundament der islamistischen Bewegung, aus denen die Gerichte erwachsen sind, und dieses Netzwerk aus Moscheen, Schulen und Hilfswerken besteht nach wie vor. Jetzt, wo die Führungsebene untergetaucht ist, sehen wir das Risiko eines Guerillakrieges und Terrorismus, wie sie dies ja bereits zuvor praktiziert haben." Gegen die äthiopischen Truppen hätten sie in einem konventionellen Krieg keine Chance, meint der Somalia-Experte.

Potenzielle Terroristen mischen sich unter Flüchtlinge

Inwieweit die Islamisten den Terror über die Grenzen nach Äthiopien oder Kenia tragen, hängt in erster Linie von den Sicherheitsvorkehrungen in diesen Ländern ab. Schon am Dienstag (02.01.2007) griffen kenianische Behörden, die von Präsident Mwai Kibaki in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt wurden, acht mutmaßliche Islamisten auf. "Wir haben Personen verhaftet, die wir nicht für Flüchtlinge halten", so Regierungssprecher Alfred Mutua. "Sie haben große Mengen an Bargeld und eritreische und kanadische Pässe bei sich gehabt. Wir ermitteln weiter und können erst dann Schlussfolgerungen ziehen."

Die kenianische Regierung ist aufgrund der nur schwer zu überwachenden, 1500 Kilometer langen Grenze besonders gefährdet, zumal sich potenzielle Terroristen relativ unbemerkt unter die Flüchtlinge mischen können, die seit Wochen nach Kenia strömen. "Wir versuchen, die Flüchtlinge von den Kämpfern zu unterscheiden. Wir haben Truppen und Sicherheitskräfte an der Grenze postiert, um zu verhindern, dass der Konflikt in Somalia auf unser Land übergreift", sagt der kenianische Regierungssprecher Mutua.

Unterstützung aus den USA

Kenia, das nach den Terroranschlägen von Nairobi und Mombasa besonders alarmiert ist, wird dem Vernehmen nach von amerikanischer Luftaufklärung unterstützt. Beide Seiten, Kenia und die USA, sind auf der Suche nach drei auf Washingtons Terrorliste geführten potentiellen Attentätern, die dem Umfeld der Sharia-Gerichte zuzurechnen sind.

Derweil muss sich die somalische Übergangsregierung für den Abzug ähiopischer Truppen rüsten. Dazu gehört die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit und das Vorantreiben wichtiger politischer Prozesse. Somalia-Experte Matt Bryden ist allerdings nicht allzu optimistisch, was den Reformeifer der Regierung angeht: "Die Regierung hat noch etwa zweieinhalb Jahre ihres Mandates zur Verfügung. Bislang hat sie jedoch in keinem der Bereiche, die es zu bewältigen gibt, Fortschritte gemacht, etwa eine neue Verfassung und Wahlen vorzubereiten. Daran muss nun eiligst gearbeitet werden. Das kann aber nur geschehen, wenn es eine Versöhnung mit dem Hawiye-Clan gibt - und vor allem mit der Bevölkerung Süd-Somalias".