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Politik

Juan Manuel Santos: Vom Saulus zum Paulus

10. Dezember 2016

Krieg oder Frieden? Tod oder Leben? Versöhnung oder Vergeltung? Für Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos, der an diesem Samstag den Friedensnobelpreis bekommt, geht es um die großen existenziellen Fragen. Ein Porträt.

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Kolumbien - Präsident Juan Manuel Santos bei Demonstration
Bild: Reuters/Handout/Colombian Presidency

Juan Manuel Santos ist kein Friedensapostel. Als Verteidigungsminister (2006 bis 2009) machte er Jagd auf FARC-Rebellen. Im Kugelhagel des kolumbianischen Militärs starben mehrere FARC-Rebellen-Chefs, darunter 2008 Raúl Reyes. Unter seiner Regie befreite die Armee die kolumbianische Politikerin Ingrid Betancourt nach sechs Jahren Geiselhaft.

Unter Santos trug sich auch der Skandal der sogenannten "falsos positivos" zu. Damals gab es in der kolumbianischen Armee für jeden toten Guerilla-Kämpfer eine "Prämie". Die Folge waren zahlreiche Ermordungen an Zivilisten, die von den Militärangehörigen als gefallene Guerilleros präsentiert wurden. Der Skandal führte zu 67 Verurteilungen und 400 Festnahmen innerhalb der kolumbianischen Streitkräfte.

Santos, der Präsident des Friedens

Zehn Jahre später - im Jahr 2016 - ist er der Mann, der als Präsident des Friedens in die kolumbianische Geschichte eingehen wird. Auch wenn dieser Frieden alles andere als perfekt ist, gelang es Juan Manuel Santos als erstem kolumbianischen Präsidenten - nach 52 Jahren Bürgerkrieg mit 220.000 Todesopfern und mehr als sieben Millionen Vertriebenen - ein Friedensabkommen mit den revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC), der größten Guerilla im Land, zu schließen.

Seit dem Beginn der Verhandlungen zwischen Kolumbiens Regierung und der FARC 2012 bestimmt Adrenalin den Alltag des 65-jährigen Staatsoberhauptes. In der Zeit vom 26. September bis zum 30. November dieses Jahres ging Santos durch ein politisches Fegefeuer.

Kolumbien Verteidigungsminister Santos PK zu Befreiung von Geiseln
Triumph: Am 2.7.2008 verkündete Verteidigungsminister Santos die Befreiung von elf FARC-GeiselnBild: picture-alliance/dpa/G. Legaria

Es begann vielversprechend mit der Unterzeichnung des historischen Friedensvertrages am 26. September 2016 auf Havanna. Doch Santos freute sich zu früh: Nur eine Woche später verweigerte ihm die kolumbianische Bevölkerung beim Volksentscheid über das Abkommen am 2. Oktober die Gefolgschaft.

Auf die innenpolitische Kreuzigung folgte die internationale Wiederauferstehung: Am 7. Oktober wurde Juan Manuel Santos der Friedensnobelpreis zugesprochen. Der Preis feuerte ihn an, er suchte das Gespräch mit den Kritikern, besserte nach und unterzeichnete am 24. November ein neues Friedensabkommen, das vom kolumbianischen Kongress gebilligt wurde.

Santos, der Guerilla-Versteher

Doch was machte Santos vom Saulus zum Paulus? Wie verwandelte sich der Hardliner aus dem Kabinett von Ex-Präsident Alvaro Uribe (2002 bis 2010) in einen Guerilla-Versteher? Und wie wurden die ehemaligen politischen Verbündeten Santos und Uribe (2002 bis 2010) zu erbitterten Gegenspielern?

"Santos hat die FARC militärisch besiegt. Er hat gemerkt, dass die neue Führungsriege militärisch schwach und daher offen für eine politische Lösung war", meint Ingrid Betancourt, die 2002 von der FARC entführt worden war. "Santos hat diese Gelegenheit erkannt und ergriffen."

Kolumbiens langer Weg zum Frieden - Interview mit Ingrid Betancourt

Santos, der Mann aus der Oberschicht

Je länger Santos verhandelte, desto mehr entfernte er sich aus seiner bisherigen Welt. Es ist die Welt der hauchdünnen kolumbianischen Oberschicht, in die er als Sohn des Zeitungsverlegers Enrique Santos 1951 in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá hineingeboren wurde.

Es ist die Welt der Absolventen internationaler Elite-Universitäten wie der Harvard University und der London School of Economics, an denen er studierte. Es ist die Welt gut unterrichteter Kreise, die er als Mitherausgeber und Kolumnist der größten kolumbianischen Tageszeitung "El Tiempo" jahrelang mitprägte. Es ist die Welt der globalen Vernetzung, in die er Ende der 70er-Jahre als Chef des kolumbianischen Kaffeeverbandes vordrang.

Durch die langjährigen Friedensverhandlungen mit der FARC lernte Santos eine andere Welt kennen. Er ist eingetaucht in die Welt der Rebellen, die im Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit zu den Waffen greifen. In das traurige Universum aus Armut, Gewalt, Drogen und Korruption, in dem die Mehrheit der kolumbianischen Bevölkerung lebt.

Santos, der Mann der Versöhnung

Er drang vor zu den Leidensgeschichten der Millionen Opfer, die der Bürgerkrieg in 52 Jahren produziert hat, und der menschlichen Größe, die sich inmitten von Verzweiflung immer wieder Bahn bricht.

Kolumbien Bogota Reaktion Bevölkerung auf Friedensabkommen
Schluss mit er Gewalt: Kolumbianische Frauen feiern das neue Friedensabkommen mit der FARCBild: picture-alliance/dpa/L. Munoz

"Meine größte Lebenslektion ist die Haltung der Opfer", erklärte er gegenüber der lokalen Presse." "Ich dachte, sie wären hart und verbittert. Doch das Gegenteil ist der Fall. Sie waren die ersten, die zur Vergebung bereit waren."

Nach dieser "Lebenslektion" sieht Santos die kolumbianische Elite und insbesondere die Anhänger von Ex-Präsident Uribe mit anderen Augen. "Ich verstehe nicht, wie meine Freunde so falsch informiert über die Vorteile des Friedens sein können", erklärte er nach dem gescheiterten Referendum. 

Dabei hatte er das Ergebnis kommen sehen. "Ich bin sicher, dass die Mehrheit der Kolumbianer härtere Strafen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewollt hätte", räumt er am 4. September in einem Interview mit der spanischen Tageszeitung "El País" ein.

Um des Friedens willens blieb dieser Wunsch unerfüllt. "Unser Ziel war es, ein Maximum an Gerechtigkeit zu erreichen, ohne den Frieden zu gefährden. Eine perfekte Rechtssprechung erlaubt keinen Frieden", sagte Santos damals. Nun hofft er darauf, dass der Frieden im zweiten Anlauf gelingt - auch wenn er alles andere als perfekt ist.