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Prozessauftakt in Brasília

Marcio Damasceno / Mariana Santos2. August 2012

In Brasilien müssen sich 38 Angeklagte in einer Bestechungsaffäre im Parlament vor dem Obersten Bundesgericht verantworten. Die Presse spricht vom "Prozess des Jahrhunderts".

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Nachtaufnahme vom Obersten Gerichtshof Brasiliens in Brasilia (Foto: Evaristo SA/AFP/Getty Images)
Bild: EVARISTO SA/AFP/Getty Images

Es ist eine der größten Korruptionsskandale seit Wiederherstellung der Demokratie 1986. Diesen Donnerstag (02.08.2012), sieben Jahre nach Beginn der Affäre, beginnt in Brasília der Prozess. Auf der Anklagebank des Obersten Bundesgerichts (Supremo Tribunal Federal STF) sitzen 38 Personen - Parlamentarier und hochrangige Politiker - die mit Bestechungsgeldern für Abgeordnete in Verbindung stehen sollen. Der Skandal erschütterte 2005 die erste Legislaturperiode von Luiz Inácio "Lula" da Silva.

Die Öffentlichkeit erfand das Wort "Mensalão" in Anlehnung an die monatliche (mensal) Zahlung von 30.000 Real (damals rund 9000 Euro), die in die Taschen von Bundesabgeordneten geflossen sein sollen, damit sie in Abstimmungen für die Vorschläge der Regierung stimmten. Laut Anklage finanzierten sich die Bestechungsgelder aus den Werbebudgets staatlicher Unternehmen. Einer der involvierten Parlamentarier ließ das Korruptionsnetz im Juni 2005 auffliegen.

Die Anklagepunkte lauten auf Korruption, Geldwäsche, Devisenschmuggel, Unterschlagung und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Voraussichtlich werden die Bundesrichter jeden Angeklagten einzeln verurteilen - angefangen beim damaligen Kabinettchef José Dirceu, der als Kopf des Systems gilt.

Lula da Silva spricht mit José Dirceu (r.) (Foto: Ricardo Stuckert/PR)
Ex-Präsident Lula da Silva mit seinem ehemaligen Kabinettchef José Dirceu (r.), der als Kopf des Korruptionsnetzes gilt.Bild: Ricardo Stuckert/PR

Aktuelle Bedeutung des Prozesses

"Der Mensalão-Prozess wird zeigen, dass die parlamentarische Immunität ihre Grenzen hat und dass der STF den Mut hat, Korruptionsprozesse zu führen", meint David Fleischer, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität Brasília: "Das dürfte den Politikern ein Warnzeichen sein, künftig gewissenhafter mit ihrer Verantwortung umzugehen."

Vor allem der Ruf des heute 66-jährigen Lula könnte leiden. Sollte im Zuge der Verhandlungen ein direkter Bezug zum Ex-Präsidenten hergestellt werden, dürfte das deutliche Spuren an seinem bisher ausgezeichneten Ansehen hinterlassen. Lula hatte die Präsidentschaft nach zwei Legislaturperioden verfassungskonform abgegeben - mit zuletzt 80 Prozent Zustimmung in der brasilianischen Bevölkerung.

"Offenbar ist Lula sehr um sein Ansehen besorgt. Immerhin hat er versucht Bundesrichter zu beeinflussen, damit sie den Prozess auf November verschieben", sagt der Politikwissenschaftler Fleischer im Hinblick auf die Kommunalwahlen im Oktober und berichtet, dass bereits einige Mitwisser drohten, Einzelheiten über die mögliche Verstrickungen des damaligen Staatschefs preiszugeben.

"Lula hat immer betont, er habe nichts von alledem gewusst und erst aus der Presse davon erfahren. Die Bevölkerung hat es ihm abgenommen und ihn 2006 wiedergewählt ", berichtet Fleischer. Er vermutet: "Nun geht es ihm auch um das historisches Ansehen."

Einfluss auf Wahlen

Der "Prozess des Jahrhunderts", wie ihn die brasilianische Presse auch nennt, dürfte mindestens einen Monat dauern und fällt so mitten in den Wahlkampf zu den Kommunalwahlen im Oktober. Damit könnten sich die politischen Verhältnisse verschieben, vor deren Hintergrund dann 2014 der Präsidentschaftswahlkampf beginnt.

Politikwissenschaftler Tim Wegenast von der Universität Konstanz teilt zwar die Einschätzung, dass Lulas Ansehen auch im Ausland Schaden nehmen könnte, sollte der Prozess in den Fokus internationaler Medien rücken.

Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff, Ex-Präsident Lula da Silva und Ex-Kabinett-chef Dirceu. (Foto: Ricardo Stuckert/PR)
Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff mit dem damaligen Präsidenten Lula und ihrem Vorgänger Dirceu bei ihrem Amtsantritt als Kabinettschefin 2005 infolge der Mensalão-Affäre.Bild: Ricardo Stuckert/PR

Mit Blick auf die anstehenden Wahlen glaubt er aber, dass die Affäre die aktuelle Präsidentin Dilma Rousseff nicht belasten werde, obwohl sie Lulas Parteigenossin in der Arbeiterpartei (PT) und politisches Ziehkind ist. Im Gegenteil meint Wegenast: "Der Prozess könnte Dilmas Stellung sogar stärken - zumindest innerhalb der Partei. Es gibt nämlich einen PT-Flügel, der Lula gerne als Kandidaten für 2014 aufstellen würde", so der Politologe. "Dilma hat ein sehr starkes Image von Erneuerung, Integrität und strahlt mehr Seriosität aus als Lula."

Am Ende, meint Wegenast, müsse man auch bedenken, dass die "Mensalão-Affäre" Rousseffs politische Karriere erst beflügelte. Sie war es nämlich, die an die Stelle des angeklagten Kabinettchefs Dirceu rückte.