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Zauberformel zum Regieren

Janine Albrecht30. November 2013

Der Proporz bestimmt die Minister. Dies soll die Größen der Parteien widerspiegeln, aber auch regionale und gesellschaftliche Verhältnisse berücksichtigen. Fachliche Kompetenz ist dabei kaum gefragt.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (M, CDU) spricht zu Beginn der Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt in Berlin mit Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen (vl, CDU), Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP), Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP, verdeckt), Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU), Staatsminister Eckart von Klaeden und Kultur-Staatsminister Bernd Neumann. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Noch ist es ein gut gehütetes Geheimnis. Bis zum SPD-Mitgliederentscheid über die große Koalition sollen die Namen der neuen Bundesminister nicht genannt werden. Offensichtlich haben die Sozialdemokraten Angst vor dem Votum der Basis, die dem Koalitionsvertrag noch zustimmen muss. Offensichtlich sollen nicht auch noch Personalien für Unruhe in der ohnehin bereits aufgeheizten Stimmung in den Parteiverbänden sorgen. Könnte doch die eine oder andere Besetzung für Unmut sorgen. Denn bei der Auswahl der 14 Bundesminister gilt es vieles zu beachten. Da gibt es etwa die Frau aus Ostdeutschland, die man gerne in Ministerwürden sehen würde. Oder den Protestanten aus Franken, der unbedingt in der Regierung vertreten sein muss. Warum? Weil der Proporz in der Demokratie für Deutschland prägend ist, sagt der Politologe Henrik Gast von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. "Das heißt, dass gleichwertige Stellen, Funktionen und Ämter nach einem gewissen Schlüssel besetzt werden."

Großer Landesverband bringt große Chancen

Bei Ministerposten zählen dazu die Religionszugehörigkeit, das Geschlecht oder die Herkunft, aber auch wo der betreffende Politiker verortet ist. Was nicht immer so einfach ist, wie aktuell die Diskussion um Frank-Walter Steinmeier (SPD) zeigt. Er ist in Nordrhein-Westfalen geboren, begann seine politische Karriere aber in Niedersachen und hat nun sein Mandat in Brandenburg. Doch innerhalb der Parteien ist zunächst einmal entscheidend, welchem Landesverband ein Parlamentarier angehört. Gemessen an der Mitgliederzahl gibt es hierzulande bedeutende und weniger bedeutende Verbände. So ist die SPD traditionell in Nordrhein-Westfalen am Stärksten aufgestellt und daher haben die NRW-Sozialdemokraten größere Rechte, am Kabinettstisch Platz zu nehmen, als etwa ihre Kollegen aus Schleswig-Holstein. Doch auch die innere Parteistruktur will berücksichtigt werden. "Die verschiedenen politischen Flügel müssen ausgeglichen werden", sagt Werner Patzelt. Er leitet den Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich an der Technischen Universität Dresden. Es sei wichtig, dass konservative und fortschrittliche Politiker in einem angemessenen Verhältnis in der Regierung vertreten sind, so Patzelt.

Politisches Talent schlägt Fachkompetenz

Politiker aus den neuen Bundesländern müssen dabei besonders berücksichtigt werden. So wird derzeit die Sozialdemokratin Manuela Schwesig auch wegen ihrer ostdeutschen Herkunft für das Amt der Familienministerin gehandelt. Aber auch ihr Geschlecht ist ein Pluspunkt. Schließlich will sich Mann und Frau auf höchster Ebene gleichberechtigt wiederfinden. Bis hierhin hat die Frage nach der Kompetenz noch keine Rolle gespielt. "Vielfach wird auch überlegt, wer sich in seinem bisherigen parlamentarischen Leben auf einem speziellen Arbeitsfeld hervorgetan hat", sagt der ehemalige Direktor der Akademie für politische Bildung Tutzing, Heinrich Oberreuter. Altkanzler Helmut Kohl berief 1988 in seinem dritten Kabinett die Professorin Ursula Lehr zur Bundesfamilienministerin. "Sie ist in ihre erste Fraktionssitzung gegangen und hat dort einige wenige Sätze zur Einführung gesprochen", erinnert sich Oberreuter. Doch dann habe sie den Abgeordneten gesagt, "ich verweise Sie auf meine publizierten Aufsätze, da können Sie alles Nachlesen, was mir wichtig ist". Für Oberreuter ein gutes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn externe Fachleute in die Politik geholt werden, die "keinerlei politisches Talent, keinerlei politische Verantwortung haben". Immerhin hielt sich Lehr gut zwei Jahre auf ihrem Posten, weil Kohl hinter ihr stand.

Manuela Schwesig (SPD) Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales in Mecklenburg-Vorpommern spricht auf dem Weg zu den Koalitionsverhandlungen vor der CDU-Zentrale in Berlin mit Journalisten. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)
Ostdeutsch und weiblich - Manuela Schwesig (SPD) erfüllt gleich zwei ProporzpunkteBild: picture-alliance/dpa

Dass Sachkenntnis bei der Ministerauswahl keine bedeutende Rolle spielt, findet auch der Politologe Gast. Wichtiger sei, dass auf der Regierungsbank Akteure sitzen, die für die Partei wichtig sind. "Der Proporz ermöglicht ein reibungsloses Funktionieren der Regierung mitsamt den Fraktionen."

Westfälischer Frieden als Basis für den Proporz

Die Wurzeln der Proporz-Demokratie reichen weit in die deutsche Geschichte zurück. Bis zum Westfälischen Frieden, der 1648 den 30-jährigen Krieg beendete. Unter anderem wurden in dem Friedensvertrag die protestantische und katholische Konfession gleichgestellt. "Darauf begründet sich auch, dass Protestanten und Katholiken später im Reichstag gleichermaßen vertreten waren", sagt Gast. Im Prinzip habe Deutschland damit eine Strategie zur Konfliktlösung gefunden, die auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragen wurde. Auch andere westeuropäische Demokratien nutzen den Proporz als Mittel zur Integration unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen. "In der Schweiz spielt der Proporz zwischen den sprachlichen Regionen - also der deutschsprachigen, der italienischsprachigen und französischsprachigen - aber auch zwischen den Religionen und Parteien eine große Rolle", sagt Gast. Dies sei das Resultat eines langen Integrationsprozesses.

Der Friedensschwur von Muenster/ Terborch Westfaelischer Friede 1648.
In Münster wurde 1648 der Westfälische Frieden geschlossen. Wissenschaftler sehen darin die Wiege des ProporzBild: picture-alliance/akg-images

Rivalen an einen Tisch holen

Wer in Berlin in welches Ministerium einzieht, unterliegt ungeschriebenen Regeln. Bekommt die eine Seite etwa das Außenministerium, erhält im Gegenzug die andere Seite das Verteidigungsministerium. Auch die Paare Finanz- und Wirtschaftsministerium sowie Innen- und Justizressort werden entsprechend vergeben. Auch hierbei spielen natürlich die jeweiligen Interessen der Parteien eine Rolle. Denn die Verteilung ist durchaus verhandelbar. "Die CSU hat immer wieder Wert darauf gelegt, das Landwirtschaftsministerium zu besetzen", sagt der Dresdner Politikwissenschaftler Patzelt. Immerhin sind viele Stammwähler der CSU in Bayern Landwirte. Denn dies sei für die innerparteiliche und innerbayerische Rolle der CSU-Führung besonders wichtig. Die Sozialdemokraten legten als Arbeiterpartei bisher immer Wert auf das Arbeits- und Sozialministerium. "Das Innenministerium wird man keinem Politiker anvertrauen, der als besonders liberal gilt, während bei der Vergabe des Justizministeriums genau das zum Kriterium macht", erläutert Patzelt. Doch grundsätzlich sind die Fraktionen frei in ihrer eigenen Entscheidung, welchen Politiker sie mit welchem Ministerium betrauen. "Doch natürlich wird darüber geredet, wer in Frage käme und ein Kanzler wird, wenn es auf eine Person hinausläuft, die er überhaupt nicht will, rechtzeitig signalisieren, dass man hier Ärger bekäme", räumt Patzelt ein. Solche Konflikte seien allerdings selten. Vielmehr hole sich der Regierungschef lieber die wichtigsten parlamentarischen Rivalen ins Kabinett, anstatt sie an der Fraktionsspitze zu belassen.

Das Kanzleramt abends in Berlin. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)
Noch liegt es im Dunkeln, wer Minister wird. Doch hinter den Türen des Kanzleramtes weiß man dies wohl schonBild: picture-alliance/dpa

Wie viele Posten jede Partei in der großen Koalition besetzen wird, ist noch nicht offiziell bestätigt, aber es sieht so aus, dass die SPD sechs Minister stellen wird, die CDU fünf und die CSU drei. Mitte Dezember soll dann Schluss sein mit der Geheimniskrämerei und das neue Kabinett vorgestellt werden.