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"Proletarier" wird Präsident

31. Oktober 2002

Brasilien hat zum ersten Mal einen Sozialisten zum Staatspräsidenten gewählt. Der frühere Gewerkschaftsführer Luiz Inácio Lula da Silva erreichte bei der Stichwahl mehr als 61 Prozent der Stimmen.

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Luiz Inácio Lula da Silva - endlich am ZielBild: AP

Lula, der 57-jährige Kandidat der Arbeiterpartei, lag weit vor dem Regierungskandidaten Jose Serra, für den 38 Prozent der Wähler stimmten. Die Stichwahl war nötig geworden, weil in der ersten Wahl-Runde am 6. Oktober kein Kandidat die absolute Mehrheit erreicht hatte. Es war der vierte Anlauf des ehemaligen Schlossers auf die Präsidentschaft. Brasilianische Medien bezeichneten den Wahlausgang als "historisch".

In einer landesweit vom Fernsehen übertragenen Ansprache erklärte Lula, er werde ab Januar "Präsident aller 175 Millionen Brasilianer" sein. Er wolle die ganze Gesellschaft auffordern, beim Bau eines "gerechteren, brüderlichen und solidarischen Landes" mitzumachen. Zur Außenpolitik sagte Lula, Brasilien wolle "einen entscheidenden Beitrag zum Frieden weltweit leisten".

Hoffnung und Skepsis

Die US-Regierung gratulierte dem Wahlsieger. Präsident George W. Bush freue sich auf eine produktive Zusammenarbeit, sagte sein Sprecher Ari Fleischer.

In Brasilien, aber auch in den Nachbarländern Argentinien und Uruguay, feierten vor allem Anhänger linker Parteien den Sieg Lulas. Angesichts der Misserfolge vieler neoliberaler Gesellschaftsmodelle in Lateinamerika verbinden sich große Hoffnungen mit dem künftigen sozialistischen Präsidenten des wirtschaftlich und politisch wichtigsten Landes Südamerikas. Vor allem für die arme Bevölkerung gilt der neue Präsident als Hoffnungsträger. "Ich will zeigen, dass ein Schlosser das Land besser regieren kann, als das die Elite in mehr als 100 Jahren gemacht hat", versprach er mehrfach. Der unaufhaltsame Aufstieg des einstigen Bürgerschrecks wurde aber erst möglich, nachdem Lula seine Kritik gegen Kapitalismus und internationale Finanzorganisationen gemäßigt hatte.

Radikale Änderungen nicht zu erwarten

Erstmals genießt Lula auch die Unterstützung vieler Unternehmen. Die Finanzmärkte der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas schienen sich zuletzt mit einem Sieg Lulas abgefunden zu haben. Die Landeswährung Real und die Aktienkurse zogen nach monatelanger Talfahrt teils kräftig an. Radikale Änderungen in der Wirtschaftspolitik sind auch schon deshalb wohl nicht zu erwarten, weil Lulas Arbeiterpartei im Parlament keine Mehrheit hat.

Der neue Präsident übernimmt sein Amt Anfang Januar. Es wird erst das zweite Mal in der 113-jährigen Republikgeschichte Brasiliens sein, dass ein verfassungsmäßiger Präsident einem demokratisch gewählten Nachfolger die Amtsschärpe umlegt.

Autor: Wim Abbink
Redaktion: Klaudia Prevezanos