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Prognose: Weniger Wachstum in Deutschland

13. April 2022

Die fünf führenden Institute für Wirtschaftsforschung in Deutschland erwarten in diesem Jahr deutlich weniger Wachstum und eine anhaltend hohe Inflation. Auch eine "scharfe Rezession" sei möglich.

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Deutschland | Symbolbild | Coronavirus | Wirtschaft
Bild: Florian Gaertner/photothek/imago images

Die deutsche Wirtschaft wird in diesem Jahr nur noch um 2,7 Prozent wachsen, so die fünf Institute in ihrer gemeinsamen Frühjahrsprognose für die Bundesregierung. Im Herbst hatten sie noch ein Plus von 4,8 Prozent vorausgesagt.

"Die Erholung von der Corona-Krise wird infolge des Kriegs in der Ukraine gedämpft, behält aber die Oberhand", sagte der Vizepräsident und Konjunkturchef des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Stefan Kooths. Für 2023 wurde die Vorhersage dagegen von 1,9 auf 3,1 Prozent angehoben.

Grundlage dieser Vorhersage ist eine weiterhin normale Versorgung mit russischer Energie. Düsterer sieht das von den Forschern gezeichnete Bild für den Fall aus, dass die russischen Gaslieferungen abrupt gestoppt werden. Dann dürfte die Wirtschaft in diesem Jahr nur um 1,9 Prozent zulegen, 2023 dann sogar um 2,2 Prozent schrumpfen.

"Bei einem Stopp der Gaslieferungen droht der deutschen Wirtschaft eine scharfe Rezession", warnte Kooths. In beiden Jahren stünden dann insgesamt 220 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung im Feuer.

Gas-Stopp und die Folgen

Das Berliner Forschungsinstitut DIW, das an der Erstellung der Prognose beteiligt ist, hatte erst in der vergangenen Woche eine Studie veröffentlicht, laut der die "Energieversorgung in Deutschland auch ohne Erdgas aus Russland gesichert" ist. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass Deutschland genügend alternative Gaslieferanten findet und gleichzeitig seinen Gasverbrauch reduziert.

DIW-Forscher Martin Gornig sieht daher keinen Widerspruch zwischen den Ergebnissen dieser Studie und dem Gemeinschaftsgutachten, dessen Mitautor er ist. Dafür seien verschiedene Modelle durchgerechnet worden. "In den optimistischen Varianten käme es danach nicht zu Engpässen in der Gasversorgung der Industrie, in pessimistischen dagegen schon", so Gornig in einer Email an die DW.

Letztlich sei in die Prognose eine "mittlere Variante eingegangen, bei der das Angebot etwa 10 Prozent unter der Nachfrage liegt". Allein dies führe zu Produktionseinschränkungen und zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung. 

Höchste Inflation seit 40 Jahren

Für die Verbraucher haben die Ökonomen vorerst keine guten Nachrichten parat. Demnach werden die Preise in diesem Jahr mit durchschnittlich 6,1 Prozent so stark anziehen wie seit 40 Jahren nicht mehr.

"Im Falle eines Lieferstopps für russische Energie würden sogar 7,3 Prozent erreicht, der höchste Wert seit Bestehen der Bundesrepublik", so die Prognose. Auch im kommenden Jahr dürfte die Rate mit 2,8 - oder 5,0 Prozent im Falle eines Lieferstopps - deutlich über dem Durchschnitt seit der Wiedervereinigung liegen.

Angesichts hoher Inflation und eingetrübter Konjunkturaussichten sehen die Institute die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) vor "einem Zielkonflikt zwischen Preis- und Produktionsstabilisierung, wie er in ähnlicher Weise im Zuge der beiden Ölpreisschocks 1973 und 1979 aufgetreten war", heißt es in dem Gutachten.

Die Institute erwarten, dass die Leitzinsen in Europa "zaghafter" angehoben werden als in den USA. Dort werde die US-Notenbank Federal Reserve den Leitzins bis zum Jahresende schrittweise auf 2,75 Prozent erhöhen. Bei der EZB sei dagegen erst im vierten Quartal mit einer ersten Zinserhöhung zu rechnen, die im kommenden Jahr dann bis auf 1,0 Prozent gesteigert werden könne, so die Forscher.

Was passiert mit den Zinsen?

Die EZB entscheidet am Donnerstag (14.04.2022) wieder über den Leitzins. Der liegt derzeit noch auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent, der sogenannte Einlagesatz - eine Art Strafzins für das Horten von Geld bei der EZB - sogar bei minus 0,5 Prozent.

Der EZB-Rat hat angekündigt, "alle seine Instrumente" bei Bedarf anzupassen. Damit will er sicherstellen, dass sich die Inflation mittelfristig bei der Marke von 2,0 Prozent stabilisiert. Zuletzt war die Teuerung mit 7,5 Prozent aber weit über den Zielwert hinausgeschossen.

Robust präsentiert sich laut Frühjahrsgutachten der deutsche Arbeitsmarkt. Demnach wird die Zahl der Arbeitslosen in diesem Jahr um rund 300.000 auf knapp 2,3 Millionen sinken und 2023 auf diesem Niveau verharren. Kommt es zum Gaslieferstopp, wird jedoch mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahl auf fast 2,8 Millionen im nächsten Jahr gerechnet.

Die sogenannte Gemeinschaftsdiagnose der Institute dient der Bundesregierung als Basis für ihre eigenen Projektionen, die wiederum die Grundlage für die Steuerschätzung bilden. Erarbeitet wurde das Gutachten mit dem Titel "Von der Pandemie zur Energiekrise - Wirtschaft und Politik im Dauerstressfeder" führend vom RWI in Essen, vom DIW in Berlin, vom Ifo-Institut in München, vom IfW in Kiel und vom IWH in Halle.

bea/iw (reuters, dpa, afp)