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Kritik an Armee

Das Gespräch führte Klaudia Prevezanos31. Januar 2008

Israels Ex-Botschafter Primor hätte härtere Kritik an Israels Premier Olmert im Libanon-Krieg erwartet. Das Militär ist für ihn nur noch eine Besatzungspolizei. Mit vorgezogenen Neuwahlen rechnet Primor in einem Jahr.

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Hält die Besatzung für den eigentlichen Fehler: Avi Primor (Foto: dpa)
Hält die Besatzung für den eigentlichen Fehler: Avi PrimorBild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

DW-WORLD-DE: Am 30. Januar 2008 hat die Winograd-Kommission ihren Abschlussbericht zu Fehlern im Libanon-Krieg 2006 vorgelegt. Hat Sie die harte Kritik an Israels Militär und Regierung überrascht?

Avi Primor: Nein, das war zu erwarten. Man hätte sogar mit einer noch harscheren Kritik an Regierungschef Ehud Olmert rechnen können. Auch wenn er sehr, sehr scharf als unfähiger Regierungschef kritisiert wurde, der keinen Krieg führen kann, wurde er in zweierlei Weise entlastet: Die Untersuchungskommission geht davon aus, dass er nicht aus persönlichen Gründen für seine politische Karriere so gehandelt hat, sondern wirklich für sein Land. Zudem belastet die Kommission sehr stark die Armee und diejenigen, die die Streitkräfte in den sieben Jahren zuvor geführt haben. Das sind alles politische Gegner von Olmert, der selber kurz vor dem Krieg die Regierung übernommen hat und daran nicht schuldig war.

Halten Sie einen Rücktritt von Ministerpräsident Olmert angesichts des Berichtsergebnisses für angemessen?

Olmert hätte vielleicht direkt nach dem Krieg zurücktreten müssen nach allen Fehlern, die er und seine Regierung gemacht haben. In den eineinhalb Jahren seit dem Krieg hat Olmert aber einiges erreicht: Der Wirtschaft geht es sehr gut, politisch hat er die Verhandlungen mit den Palästinensern aufgenommen. Wirklich entscheident ist aber, ob die Abgeordneten der Koalition ihn stürzen wollen oder nicht. Ich gehe davon aus, dass sie das nicht tun werden. Es sei denn, es gäbe einen unerträglichen Druck aus der Bevölkerung. Den sehe ich aber nicht. Denn wenn die Abgeordneten von Olmerts Kadima-Partei und dem Koalitionspartner Arbeitspartei ihn stürzen würden, bedeutete das vorgezogene Wahlen. Die würden aber nicht nur Olmert, sondern auch beide Parteien verlieren. Dann käme Benjamin Netanjahu von der Likud-Partei an die Macht und das wollen die alle nicht.

Welche Konsequenzen sollte der Bericht nun in Militär und Politik haben?

Die Streitkräfte haben versagt, weil sie - abgesehen von der Luftwaffe - die Armee in eine Besatzungspolizei verwandelt hat. Wegen der Besatzung und den jüdischen Siedlungen, die man in den besetzten Gebieten verteidigen muss. Solange die Armee eine Besatzungspolizei ist, wird sie große Schwierigkeiten haben, sich auf einen echten Krieg vorzubereiten. Sie versucht das jetzt zu ändern, aber die eigentliche Krankheit, die Besatzung und die Siedlungen, sind ja da. Das ist der große Fehler. Politisch glaube ich, dass die Regierung nur noch ein Jahr an der Macht bleiben kann, dann wird sie zerfallen und es gibt Neuwahlen. Aber bis dahin könnte Olmert eine Trumpfkarte haben: Heute ist er sehr unbeliebt, aber wenn er innerhalb eines Jahres einen Friedensentwurf mit den Palästinensern erreicht, dann hat er der Bevölkerung etwas zu bieten und bessere Chancen, doch noch Neuwahlen zu gewinnen. Heute nicht.

Der Libanon-Krieg 2006 war für die israelische Armee kein Erfolg. Wie wirkt sich das bis heute aus?

Verglichen mit dem, was von der Armee erwartet wurde, war es eine sehr, sehr große Enttäuschung: Dass sie gegen eine Miliz den Krieg nicht total gewinnen konnte, dass sie die Hisbollah-Miliz nicht total beseitigen konnte, dass sie die verschleppten Soldaten nicht gefunden und zurück gebracht hat, das war die große Enttäuschung. Darum gäbe es heute eine andere Regierung, wenn Neuwahlen wären. Nicht, weil die Bevölkerung Netanjahu wirklich will, sondern nur, weil der Winograd-Bericht sagt, die jetzige Regierung kann keinen Krieg führen. Und für ein Land wie Israel, das im Kriegszustand lebt, ist das natürlich eine gravierende Überlegung.

Spielt das Schicksal der beiden noch immer entführten israelischen Soldaten aus dem Libanon-Krieg in der Öffentlichkeit noch eine Rolle?

Wenn es aus der Bevölkerung Druck gegen Olmert gibt, dann auch wegen des Schmerzes der Bevölkerung, die die entführten Soldaten wiederhaben will. Auch den verschleppten Soldaten im Gazastreifen. Diese Unzufriedenheit spielt eine große Rolle. Ob sie entscheidend sein wird, glaube ich heute nicht mehr.

Avi Primor war von 1993 bis 1999 Israels Botschafter in Deutschland. Heute leitet er das Zentrum für europäische Studien an der Privatuniversität in Herzliya.