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Pressestimmen von Mittwoch, 9. Oktober 2002

ausgewählt von Siegfried Scheithauer8. Oktober 2002

Schröders Personal- und Steuerpläne/ V-Leute im NPD-Verbotsverfahren/ Auftakt der Frankfurter Buchmesse/

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Der Überraschungscoup von Kanzler Schröder mit Superminister Clement und Spekulationen um die künftige Berliner Führungsmannschaft stehen weiter im Zentrum der Kommentare in der deutschen Tagespresse.

Die BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN sagen voraus:

"Schröder wird weiter entsorgen - wenn nicht bei den Ministern, dann bei den Parlamentarischen Staatssekretären. Ganz oben wackeln Ulla Schmidt und Kurt Bodewig. Einer muss gehen, denn beide stammen aus dem durch Franz Müntefering und Wolfgang Clement in Spitzenjobs überrepräsentierten Nordrhein-Westfalen. Zudem will der Kanzler Strukturen verändern und eingerostete Ministeriumsgrenzen sprengen - das kann auch Forschungsministerin Edelgard Bulmahn treffen. Kanzler Schröder ist noch für so manche Überraschung gut."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG wirft ein Schlaglicht auf die Folgen für die SPD an Rhein und Ruhr:

"Schröder hat mit seinem Coup eine andere Schwäche des größten SPD- Landesverbandes offen gelegt: Dieser wirkt personell ausgezehrt. (...) Auch das ist eine Folge von Dauer-Regentschaft. Die guten, talentierten Leute wandern meistens ab oder verlieren die Motivation, weil alles im selben Trott dahingeht. Zurückbleiben die so genannten bewährten Kräfte, die sich mit dem zufrieden geben, was sie erreichen konnten".

Die NEUE RUHR/NEUE RHEIN-ZEITUNG bilanziert die Ära von Arbeitsminister Riester:

"Als Gewerkschafter war Walter Riester ein Star. Als Politiker ist er so grau geblieben wie die Farbe seiner Anzüge. Dennoch: Riester mit dem Etikett 'zu leicht befunden' versehen als Versager nach Hause zu schicken, wird der vierjährigen Arbeit des IG-Metallers in Berlin nicht gerecht. (...) Der neue Superminister Clement wird schnell spüren, wie kräftig Wind und Gegenwind im Bereich der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik fegen. Seinen Vorgänger haben sie umgeweht."

Die Zeitung DIE WELT beleuchtet des Kanzlers angebliche Steuerpläne:

"Hinter den Kulissen zieht der Regierungschef mächtig Strippen. Vermögende und Erben sollen stärker zur Kasse gebeten, die Steuer vorteile reicher Ehepaare eingeschränkt werden, Kapitalgesellschaften sollen künftig wieder mehr in die öffentlichen Kassen zahlen. (..) Angesichts der konjunkturellen Lage sind Steuererhöhungen genau das falsche Signal. Sie drücken die Investitions- und Konsumbereitschaft, was die Wirtschaft zusätzlich schwächt und dadurch noch mehr Jobs in Gefahr bringt."

Mehrere Blätter haben die nächste Etappe im NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beobachtet:

Der MANNHEIMER MORGEN meint:

"Die «Erörterung» bedeutete in Wirklichkeit eine schallende Ohrfeige für Otto Schily und seinen Kompagnon Günther Beckstein. Karlsruhe ist zu Recht verärgert, dass die Spitzel im braunen Sumpf lange verheimlicht, dann widerwillig und oberflächlich offenbart wurden. Knapp 15 Prozent der Spitzenfunktionäre seien V-Leute - viel mehr erfährt man nicht. Entscheidend dürften indes die übrigen 85 Prozent sein. Da finden sich reichlich Belege, was für ein widerwärtiger, rassistischer und staatsfeindlicher Haufen unter dem Biedermänner-Mantel der NPD-Führung steckt."

Die FRANKENPOST aus Hof sieht es so:

"Dass der Staat die zunehmend radikalere und aggressivere Partei wachsam und durch den Einsatz von V-Leuten im Auge behalten hat, war und bleibt richtig. Dass den Innenministern just diese Wachsamkeit im Verbotsverfahren auf die Füße zu fallen droht, nimmt sich auf den ersten Blick paradox aus, ist aber nur logisch: Hätte die Politik auf die Verfassungsschützer gehört, statt den eigenen und medialen Aufgeregtheiten nach einer Serie rechtsextremistischer Gewalttaten nachzugeben, hätte sie auf den Gang nach Karlsruhe verzichten können - und das Risiko des peinlichen Scheiterns vermieden."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU widmet sich dem Auftakt der weltgrößten Buchmesse in der Mainmetropole und merkt an:

"Nach den wenigen Jahren des Booms und der Euphorie, in denen alles für möglich gehalten wurde, hat sich unter den Gewinnern eine Mentalität herausgebildet, die mit dem Zustand der Trunkenheit verglichen werden muss. Junge Menschen durchschnittlicher Begabung, aber ohne Öffentlichkeits-Scheu, waren die Hoffnungsträger einer medialisierten, event-seligen Buchwelt und wurden mit schwindelerregenden Honoraren bevorschusst; was ihnen im Einzelfall zu gönnen war, andererseits aber einen Realitätsverlust bewirkte, dessen Folgen die Branche heute ausbadet."