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Pressestimmen von Mittwoch, 25. Oktober 2006

Herbert Peckmann24. Oktober 2006

Deutsche Luftüberwachung bleibt vorerst staatlich

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Die geplante Privatisierung der Flugsicherung steht im Mittelpunkt der politischen Diskussion in Deutschland. Die Kommentatoren der Tagespresse bewerten die Entscheidung von Bundespräsident Köhler, das Gesetz zur Teilprivatisierung nicht zu unterzeichnen.

So schreibt die TAGESZEITUNG aus Berlin:

"Gestern hat Horst Köhler die vom Bundestag bereits beschlossene Privatisierung der Flugsicherung gestoppt, weil sie dem Geist des Grundgesetzes widerspricht. Köhler hat damit zu Recht darauf hingewiesen, dass die Frage nach den Aufgaben des Staates im Grundgesetz beantwortet ist. Und es ist gut, dass er interveniert, wenn der Bundestag die Verfassung wie im Fall der Flugsicherung hemdsärmlig missachtet."

Die STUTTGARTER ZEITUNG stellt mit Blick auf die Möglichkeit, die Verfassung zu ändern, fest:

"Eine Zweidrittelmehrheit des Parlaments kann bestimmen, dass die Luftsicherheit künftig eben nicht mehr zu jenem Kernbereich gehört, der offiziell noch immer als 'hoheitliche Aufgabe' bezeichnet wird. Der Bundespräsident hat bereits angedeutet, dass er dann keine Einwände mehr haben würde; und die ersten Signale der Parteipolitiker gehen genau in diese Richtung. Es wäre eine formale, einem Staat, der sich selbst noch ernst nimmt, nicht ganz angemessene Lösung. Das Flugzeugunglück von Überlingen im Jahre 2002 ist ein warnendes Beispiel."

Die Auswirkungen auf die politisch Verantwortlichen werden von den KIELER NACHRICHTEN beleuchtet:

"Das Nein des Präsidenten ist peinlich für den Gesetzgeber. Denn die Ablehnung aus verfassungsrechtlichen Gründen bedeutet ja nichts anderes, als dass dieser schlampig gearbeitet hat. Köhler entwertet seine Mahnung allerdings umgehend dadurch, dass er dem Gesetzgeber eine Änderung des Grundgesetzes nahe legt. Der Präsident sollte der Letzte sein, der zu Basteleien an der Verfassung ermutigt."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG fragt:

"Darf der Striptease der Staatlichkeit bis zur Selbstverstümmelung gehen, so weit, dass der Staat nicht nur Kleider ablegt, sondern sich ein Bein amputiert? Es ist wohl die Frage, die den Bundespräsidenten umtreibt. Er zwingt die Politik, sich mit diesen Grundfragen zu beschäftigen. Diese Aktion ist die bisher bedeutsamste, weil folgenreichste, in seiner Amtszeit."

Der Berliner TAGESSPIEGEL erwartet eine Richtungsentscheidung. Das Blatt meint:

"Wer glaubt, hier ginge es nur um Geld, irrt. An einem Streit wie dem um die Luftsicherheit wird die ganz grundsätzliche Auseinandersetzung erkennbar, wo der Staat künftig noch seine Aufgaben sieht. Zieht er sich, wie es die FDP und Teile der Union gerne hätten, auf Kernbereiche zurück und überlässt möglichst viel der individuellen Initiative? Oder soll es der eher fürsorgliche Staat sein, der Sozialdemokraten und, umfassender, der Linkspartei vorschwebt? Das ist nicht, wie im konkreten Fall, ein Kampf um die Lufthoheit, sondern eine schwerwiegende und generationenübergreifende Richtungsentscheidung. Auf die warten wir."

Die LANDESZEITUNG in Lüneburg kommentiert:

"Obwohl Verkehrspolitiker der Koalition zuvor auf den Ballast verfassungsrechtlicher Bedenken für die hochfliegenden Träume hingewiesen hatten, ließ Schwarz-Rot den Versuchsballon steigen. Jetzt ist er geplatzt. Die Folge: Ein kapitaler Ansehensverlust der Großkoalitionäre."

Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz geht auf den erhofften Verkaufserlös ein:

"Eine Milliarde Euro ist viel Geld.... Vielleicht war es gerade die Aussicht auf gewaltige Extraeinnahmen, die Bundestag und Bundesrat bei der Planung des Verkaufs eines Großteils der bundeseigenen Flugsicherung den Blick für die Verfassungskonformität verstellt hat. Das Nein des Bundespräsidenten ist deshalb eine schallende Ohrfeige für die gewählten Vertreter des Volkes. Sie haben gepfuscht und dafür die Quittung erhalten. Gut so!"

Auch die ESSLINGER ZEITUNG spricht von einer Orfeige für Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat. Weiter heißt es:

"Schließlich hätten alle drei Verfassungsorgane das Gesetz selbst anzweifeln müssen. Rückendeckung erhält Köhler durch einen Gerichtsentscheid vom Juli, als das Landgericht Konstanz die Überwachung des süddeutschen Luftraums durch die Schweizer Skyguide als rechtswidrig einstufte."

Die Berliner Zeitung NEUES DEUTSCHLAND weist ebenfalls auf diesen Aspekt hin:

"Doch nicht nur fiskalisch und verfassungsrechtlich ist solcherart Privatisierung der Flugsicherung höchst riskant. Sie würde, konstatierte der Besitzer der Fluggesellschaft LTU, 'einer Gebührenerhöhung gleichgekommen, da ein Investor ja auch eine Rendite verlangen darf'. Die kann man freilich auch durch Einsparung von Fluglotsen erhöhen, wie bei der - privaten - Skyguide AG in Zürich. Mit vollem Risiko wie beim nächtlichen Crash zweier fehlgeleiteter Flugzeuge am Himmel über dem Bodensee. Für die Entschädigung der Hinterbliebenen musste schon da die Bundesregierung aufkommen."

Schließlich resümiert die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG:

"Der Bundespräsident hat seine Weigerung, dieses Gesetz zu unterzeichnen, mit Argumenten unterfüttert, die bei der Verabschiedung im Bundestag nicht einmal vorgekommen sind. Zum Beispiel, dass der Bund mit seiner verbleibenden Minderheitsbeteiligung nichts dagegen unternehmen könnte, wenn das Unternehmen in zwanzig Jahren seinen Hauptsitz ins Ausland verlegen würde. Der angekündigte 'zweite Durchgang' des Gesetzes wird womöglich solche Webfehler noch beseitigen ... . Dass nur die Linksfraktion sich nicht blenden ließ von glänzenden Privatisierungserlösen, ist eine Blamage für alle anderen."