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Pressestimmen von Freitag, 19. Januar 2007

Stephan Stickelmann18. Januar 2007

Der Amtsverzicht Stoibers

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Der angekündigte Rücktritt Edmund Stoibers als bayerischer Regierungschef und CSU-Vorsitzender ist das herausragende Kommentarthema der deutschen Tagespresse.

Die OFFENBACH-Post notiert:

"So einen quälenden Abgang beobachtet man oft in der Politik. Hoch gefeiert, dankbar Posten und Pöstchen verteilt, vom Erfolg verwöhnt, über allem schwebend. Und dann trübt die Süße der Macht den Blick für die Wahrheit, bis sie alle, die Ge- und Beförderten beiseite treten, um den freien Fall nicht zu behindern."

Die STUTTGARTER ZEITUNG konstatiert:

"Für die CSU mag es ein Ende mit Schrecken sein. Das ist bekanntlich aber immer besser als ein Schrecken ohne Ende. Hätte Stoiber weitergekämpft, hätte er die Partei gespalten, ihr den Nimbus der Geschlossenheit geraubt und die Chancen der CSU bei der nächsten Landtagswahl womöglich ernsthaft gefährdet. Diesen Albtraum hat Edmund Stoiber seinen Freunden erspart ein Befreiungsschlag, der Respekt verdient."

Die in Rostock erscheinende OSTSEE-ZEITUNG sieht es so:

"Der bespöttelte Quertreiber Edmund Stoiber hat sich das letzte Wort nicht nehmen lassen und sagt nach fast 14 Jahren als Landesvater leise Servus. Mit diesem Anflug von staatsmännischer Größe gelingt ihm, was viele schon bezweifelte hatten: Stoiber schrammt nach all den Chaostagen an Putsch und Demontage vorbei und bleibt in der politischen Ahnengalerie der Christsozialen als zuletzt umstrittener, aber verdienstvoller Chef präsent."

Kritischer sieht der WIESBADENER KURIER Stoibers Verhalten - Zitat:

"Das Herz und den Kopf in München, mit einem Bein in Berlin - je weniger er selbst damit zurecht kam, desto mehr Kritik schlug ihm von der Basis entgegen. Für Bayern war Edmund Stoiber ein erfolgreicher Ministerpräsident, für immer mehr CSU-Mitglieder und Landsleute zuletzt trotz aller Verdienste ein sturer Machtpolitiker. Wer so schnell politisch Karriere machte, sich so lange an der Spitze eines Landes und einer Partei hielt wie der Jurist aus Wolfratshausen, kennt die Mechanismen der Macht und verkennt oftmals den richtigen Zeitpunkt loszulassen."

Ähnlich argumentiert die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg:

"Was als Anstiftung zur Politikverdrossenheit begann, endet als Lehrstück: Demokratie und eine offene Gesellschaft haben die Kraft, eine Überdehnung der auf Zeit verliehenen Macht zu beenden. Edmund Stoiber endet als tragische Figur. Seine Fallhöhe ist beträchtlich, weil er nicht fünf vor, sondern erst fünf nach Zwölf den Ausgang suchte."

Die TAGESZEITUNG (TAZ) aus Berlin stellt fest:

"Treueschwüre, die nur ein paar Stunden halten, Kämpferposen, die zur Karikatur geraten, und Pläne, die schon in dem Moment veraltet sind, in dem sie verkündet werden: Was die CSU vorführt, erinnert an die chaotische Dramaturgie der letzten Tage der SED unter Egon Krenz, nicht an einen geordneten Rückzug. Dieses Chaos ist auch ein Ergebnis der autoritären Parteikultur der CSU, in der der Chef immer Recht hat und Kritik stets unter Verratsverdacht steht. Stoiber hat diese autoritäre Struktur nicht geschaffen, aber forciert. Nun hat er die Quittung dafür bekommen. Denn seit er 2005 plötzlich doch keine Lust mehr hatte, Minister in Berlin zu werden, und nach München zurückkehrte, gärte es in der CSU."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG wagt einen Ausblick auf die kommenden Monate und führt aus:

"Ende September wird es Stoibers Abschied mit viel Tschingdarassabumm und Loisachaler Böllerschützen geben. Vorher wird man weitere Einblicke in dass Seelenleben einer Partei gewinnen, die zur Zeit einem Psychotherapeuten nötiger hätte als einen neuen Vorsitzenden. Dass Günther Beckstein Ministerpräsident wird, ist relativ wahrscheinlich. Trotz aller aktuellen Verwerfungen hat die CSU auch 2008 in Bayern wieder gute Chancen, die Wahl zu gewinnen - und sei es als größte Partei in einer Koalition."

Der in Berlin erscheinende TAGESSPIEGEL beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Stoibers Amtsverzicht auf die Bundespolitik:

"In Berlin wird sich die Schwester freuen. Mit dem Beckstein kann man reden, sagt Wolfgang Schäuble immer, sagt aber auch die SPD, und witziger als Stoiber ist er außerdem. Huber wiederum wird als so gut angesehen und in seinem Humor verkannt, dass ihn die heutige Kanzlerin als Chef im Kanzleramt haben wollte. Den Horst Seehofer wollte sie nie, nirgendwo; dass der nicht aufstecken will, wird nicht nur ihr querkommen. Nun, Huber wollte damals nicht, nicht nach Berlin, weil er sich in München etwas ausrechnete. Und Chef der CSU zu sein, das ist schon was. Darin sind Seehofer und er einer Meinung. Ein nahezu historischer Job, in Bayern, für Bayern. Besser ist es, frei nach Franz Müntefering, nur noch als Papst. Der, nicht zu vergessen, auch aus Bayern kommt."

Und in der FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG heißt es:

"Für die Zeit bis September kann sich die Union in Berlin zunächst auf Unübersichtlichkeiten einstellen: Wer wird in der Übergangszeit die Linie der CSU bei den verabredeten Reformen fixieren und begründen? Vom Herbst an werden dann dem neuen bayerischen Ministerpräsidenten und dem neuen CSU-Vorsitzenden ausschließlich die nahenden bayerischen Wahlen vor Augen stehen. Frau Merkel hat es als Parteivorsitzende und als Kanzlerin nicht einfach gehabt mit Edmund Stoiber. Ohne ihn wird es noch schwieriger werden."