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Pressestimmen von Freitag, 15. September 2006

Christoph Schmidt14. September 2006

Der Papst in Deutschland / Merkel trifft Wen Jiabao

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Sechs Tage lang stand Bayern im Zeichen des Papstbesuches - mit begeisterten Menschenmassen, wo immer der Bayer Benedikt XVI. Station machte. Ein weiterer Deutschlandbesuch - der des chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao - ist das zweite Thema dieser Presseschau.

Die KIELER NACHRICHTEN schreiben zur Bayernreise des Papstes:

"Der Besuch Benedikt XVI. in seiner Heimat verlief derart harmonisch, dass es dem Rest der Republik schon fast langweilig wurde. Hinweise auf die innerkirchlichen Reformen blieben aus, und das Kirchenoberhaupt tat nicht einmal seinen grundsätzlichen Kritikern den Gefallen, mit polarisierenden Thesen für Aufregung zu sorgen. Doch es wäre auch eine Sensation gewesen, wenn der deutsche Papst den Besuch in seiner Heimat für kirchenpolitische Signale genutzt hätte. Entscheidungen von derartiger Tragweite werden, wenn überhaupt, in Rom getroffen und verkündet, nicht aber den Landsleuten nebenbei als Gastgeschenk präsentiert."

Die THÜRINGER ALLGEMEINE aus Erfurt befasst sich mit dem großen öffentlichen Interesse an der Visite des Kirchenoberhaupts:

"Dem WM- folgte das Papstevent. Der Besuch aus Rom war weniger eine Hinwendung zu neuem Glauben als das offensichtliche Bedürfnis vieler Menschen, an einem medialen Großereignis teilhaben zu dürfen. Und wenn selbst im verweltlichten Osten mit einer gewissen Neugier die Wege des Benedikt XVI. durch Bayern verfolgt wurden, so hat dies vor allem mit einer gewachsenen Toleranz innerhalb der Gesellschaft zu tun. Dem entsprechend blieb auch die Polemik zu Themen wie Ökumene, Frauenbild oder Verhütung auffallend leise."

DER TAGESSPIEGEL beurteilt Benedikts Botschaft kritisch:

"Dieser Papst nimmt die Globalisierung an und weitet den Wettbewerb auf die Religion aus. Dieser Papst will vorstoßen, überall, zum freien Missionsgebiet, er will die Christianisierung vorantreiben, lässt liberale Theologie nicht gelten und auch keine andere des 20. Jahrhunderts. Relativismus ist kein Wort für ihn. Er muss wissen, dass er mit seiner Haltung die Gläubigen anderer Religionen vor den Kopf stößt."

Demgegenüber sieht der KÖLNER STADT-ANZEIGER ein anderes Motto des deutschen Papstes:

"Keine Angst vorm weißen Mann! In Bayern ist der Papst der bisherigen Linie seines Pontifikates treu geblieben: Seelenbalsam statt Moralpredigt; Immer noch verblüfft es, wie Joseph Ratzinger, die «graue Eminenz» des Vatikans, so problemlos zur Lichtgestalt mutieren konnte. Wenn er heute herausstellt, die christliche Botschaft sei keine Ansammlung von Verboten, was wird dann eigentlich aus dem Berg von Restriktionen, mit denen Rom die Weltkirche überzogen hat? Landen sie im großen Schredder, auf dem das Motto von Benedikts Enzyklika steht, «Gott ist die Liebe»?"


Themenwechsel: Am zweiten Tag seines Deutschlandbesuches traf der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen. Neben einigen mahnenden Worten beim Thema Menschenrechte setzen Deutschland und Europa vor allem auf enge Zusammenarbeit mit dem künftigen Wirtschaftsriesen China. In der deutschen Presse sieht man das kritisch.

Die LÜBECKER NACHRICHTEN kommentieren:

"Der Westen, vor allem die seit Jahren ökonomisch malade Bundesrepublik, erhofft sich wirtschaftliche Impulse aus dem Reich der Mitte, in dem in jedem Monat mehr Brücken und Gebäude und Verkehrswege gebaut werden als im gesamten restlichen Asien. Da lechzt jeder nach fetten Aufträgen. Verständlich. Aber ein bisschen wirken die Europäer so, als verkauften sie einem Scharfrichter fröhlich alles, was der zum Errichten eines Schafotts so braucht, auf dem die Lieferanten dann nach und nach ökonomisch einen Kopf kürzer gemacht werden."

Die BERLINER ZEITUNG hält das Urteilsvermögen in Berlin und Peking für realistischer:

"Hinter den diplomatischen Ritualen steht auf deutscher Seite die Erkenntnis, dass die Politik längst nicht mehr in der Lage ist, Chinas wirtschaftlichen Aufschwung in die Bahnen zu lenken, die den eigenen Interessen entsprechen. Merkel und ihre außenpolitischen Berater machen sich keine Illusionen darüber, dass hinter Chinas Produktpiraterie Pekings Kalkül steht, den chinesischen Unternehmen bei der Modernisierung zu helfen. Wen Jiabao weiß andererseits, dass er in Berlin zwar als Freund empfangen, aber keineswegs als Freund gesehen wurde. Mit Sorge verfolgt Peking, wie die öffentliche Meinung im Westen Chinas Aufschwung zunehmend zum Sündenbock für die eigenen Probleme macht."

Die Rostocker OSTSEE-ZEITUNG meint zur eingeschränkten Meinungsfreiheit in China:

"Na super! «Ich hasse vorgefertigte Reden. Ich spreche lieber frei, weil dann auch mein Herz spricht.» So äußerte sich der chinesische Regierungschef bei seinem Deutschlandbesuch. Der Mann muss doch verstehen, wie dem Westen zumute ist, wenn «freie Rede» etwa durch Pressezensur eingeschränkt wird. In China wurde sie gerade verschärft. Wen Jiabao versprach persönlichen Einsatz für eine freie Presseberichterstattung daheim. Schmeichelei eines Betonkopfs?"

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG blickt auf Chinas Rolle im Atomstreit mit dem Iran:

"Im Konflikt mit Iran steht China nach außen weiter auf der Bremse. Von Sanktionen will Wen Jiabao nicht gerne sprechen. Aber er hat doch eine für chinesische Verhältnisse ziemlich deutliche Warnung an Teheran ausgesprochen. Vieles wäre freilich einfacher, wenn sich China etwas konkreter darüber äußerte, was es unter einer «diplomatischen Lösung» versteht. Hier muß offenbar noch viel diplomatisches Geschick aufgewendet werden. Der Weg wird schwierig."