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Pressestimmen von Freitag, 02. Juni 2006

Siegfried Scheithauer1. Juni 2006

Bundestag billigt Kongo-Einsatz / Urteil im Prozess um Kindstötung

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Mit deutlicher Mehrheit hat der Bundestag dem Einsatz deutscher Soldaten in der Demokratischen Republik Kongo zugestimmt. Die Leitartikler der deutschen Presse wägen Chancen und Risiken ab.

Die Zeitung DIE WELT fällt ein vernichtendes Urteil:

"Die militärische Führung hatte von einem größeren Einsatz abgeraten. Die Soldaten sind vom Sinn nicht überzeugt. (...) Redner der Regierungsfraktionen redeten die Lage schön und verstiegen sich zu Behauptungen, ein paar hundert Soldaten könnten den Kongo stabilisieren und dort schöne demokratische Zeiten herbeiführen. Das Gegenteil ist richtig. Es handelt sich um eine Show-Veranstaltung, und eine risikoreiche dazu. (...) Weitere Einsätze werden folgen. Aber über die deutsche außenpolitische Strategie wird im Bundestag nicht diskutiert."

Von einer reinen "Show-Veranstaltung" will die KÖLNISCHE RUNDSCHAU keinesfalls sprechen. Sie schreibt:

"Nein, hier zeigt Europa zumindest 'Flagge' bei der beabsichtigten vorsichtigen Demokratisierung des Kongo. Ein derartiges Signal sollte nicht klein geredet werden. (...) Das Problem war, dass sich die deutsche Politik zunächst lange gegen diesen Einsatz stemmte mit der These, es sei allein Sache der ehemaligen Kolonialmächte. (...) Verständlich, dass angesichts der kurzen Vorbereitung manch Betroffener 'Bauchschmerzen' hat."

Auch die LÜBECKER NACHRICHTEN stehen der Kongo-Mission grundsätzlich positiv gegenüber. Wir zitieren:

"Im Irak reichen 160.000 ausländische Soldaten nicht aus, um einen funktionierenden Staat aufzubauen und nun soll ein Hundertstel dieser Truppenstärke in einem Gebiet so groß wie Westeuropa Wahlen absichern? Der Bundestag glaubt daran und hat deshalb seine Zustimmung für einen Bundeswehreinsatz im Kongo gegeben. (...) Aber vielleicht gibt es manchmal nur die Wahl zwischen einem Risiko und einem noch größeren Risiko. Denn was wäre die Alternative zur Wahlschutztruppe? Sollte man lieber das Entstehen einer Art Super- Somalia in Kauf nehmen, das den Auswanderungs- und Fluchtdruck auch Richtung Europa immens erhöhen würde?"

Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER greift weit zurück bis zur Berliner Kongo-Konferenz von 1885 und mahnt:

"Deutschland als 'ehrlicher Makler' - dieser Versuch scheiterte schon unter Bismarck. Heute geht es jedoch um mehr als um einen möglichen Imageverlust. Zahlreiche Abgeordnete der großen Koalition wussten um die Probleme, sehenden Auges haben sie den Profilierungswünschen ihrer Regierung nachgegeben. Sollte die Kongo- Mission im Desaster eines neu aufgeflammten Bürgerkriegs enden, so droht auch der deutschen Demokratie ein Desaster." ---

Und nun ein völlig anders Thema: 15 Jahre Gefängnis für die Mutter der neun getöteten Babys aus Brandenburg - Höchststrafe wegen Totschlags in einem beispiellosen Fall von Kindstötungen. Nach den grausigen Details schlägt jetzt das Urteil hohe Wellen bei der Tagespresse, die - wie Justiz und Psychologen - vor allem Fragen stellt.

Die HEILBRONNER STIMME fasst es so zusammen:

"15 Jahre Gefängnis wegen Totschlags hat Sabine H. bekommen, nicht wegen Mordes. Nach elf Verhandlungstagen hat das Gericht auf viele Fragen keine Antworten gefunden. Auch darauf nicht, welche Mitschuld der Ehemann trägt, der solchen Druck auf seine Frau ausgeübt hat, dass sie keinen anderen Ausweg sah. Und was ist mit den Eltern, Familie, den Nachbarn? Eines ist nach dem Prozess klar: Wirkliche Gerechtigkeit wird es in diesem Fall nicht geben."

Auch die OLDENBURGISCHE VOLKSZEITUNG richtet das Augenmerk ganz auf das gesellschaftliche Umfeld und beklagt eine "Hilflosigkeit der Justiz":

"Wie war es möglich, dass der Ehemann von all den Schwangerschaften und Geburten nichts wusste? Oder die Nachbarn oder die Freunde? Liegt es an der ostdeutschen Sozialisation, so wie Brandenburgs Innenminister Schönbohm behauptet? Oder hat es mit einer allgemeinen Vereinsamung in unserer Gesellschaft zu tun? Das konnten auch die Richter nicht beantworten."

Die BERLINER ZEITUNG klagt den Ehemann der Verurteilten an:

"So eindeutig wie Sabine H. moralisch und juristisch Schuld trägt, so eindeutig ist Oliver H. Mit-Täter. Wenn er nichts wusste: Wie verantwortungslos dürfen Menschen nebeneinander leben, ohne dass man sie am Ende für das Schlimmste Mord oder Totschlag an den eigenen Kindern nicht auch zur Verantwortung ziehen müsste?"

Die NÜRNBERGER NACHRICHTEN scheitern letztendlich mit einem Blick in die Seelenlage der Täterin:

"Die schlimmste Strafe hat sich Sabine H. selbst auferlegt: Ihr Schweigen. Seit 1988 bestimmt und erdrückt dieses Schweigen ihr Leben. Aus Angst vor den Konsequenzen der Wahrheit. Und ohne zu begreifen, dass die Konsequenzen der Heimlichkeit noch viel verheerender sind. (...) Und nun, nach dem Urteil, ist Sabine H. wieder mit ihrem Schweigen allein".

Ganz anders urteilt die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz. Sie spricht empört von einem - so wörtlich - "Schandurteil":

"15 Jahre Haft wegen Totschlags, 15 Jahre, von denen die Täterin, falls das Urteil rechtskräftig wird, womöglich nur zehn Jahre zu verbüßen braucht. Der Verdacht liegt nahe, dass diese Frau abgrundtief böse oder zumindest moralisch völlig verkommen ist. Zehn Jahre Gefängnis sind eine lächerliche Buße für das, was diese Frau getan hat. Eigentlich sind sie gar keine Buße. (..) Es bleibt nur zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof dieses Urteil aufhebt."