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Pressestimmen von Donnerstag, 9. März 2006

Thomas Grimmer 8. März 2006

ANTRITTSBESUCH VON LECH KACZYNSKI / WASG UND LINKSPARTEI IN BERLIN

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Die ausgewählten Kommentare der deutschen Tageszeitungen beschäftigen sich mit dem Antrittsbesuch des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski in Deutschland und dem Votum des Berliner Landesverbands der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerichtigkeit (WASG), bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus gegen die Linkspartei antreten zu wollen.

Zunächst zum Besuch des polnischen Staatschefs. Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt meint zu den Hauptproblemen, die die bilateralen Beziehungen momentan belasten:

"Eine kleine Annäherung scheint es beim 'Zentrum gegen Vertreibungen' gegeben zu haben, das vielen Polen ein Dorn im Auge ist. (...) Geblieben sind die Differenzen um die deutsch-russische Gas-Pipeline durch die Ostsee, auch wenn jetzt eine Stichleitung nach Polen im Gespräch ist. In Warschau sollte man begreifen, dass dieses Projekt für Deutschland ein strategisches ist. Weitere Attacken sind trotzdem zu erwarten."

Zur Ostsee-Pipeline äußert sich auch die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock:

"In vier Jahren soll sie erst fertig sein. Und doch belastet sie das deutsch-polnische Verhältnis schon heute: Die Ostsee-Pipeline. Es geht um Energie, um Geld, um Sicherheitsinteressen und politischen Einfluss. Die deutsch-russische Gastrasse wirft ein fahles Licht auf den Zustand Europas als globaler Energie-Akteur. So wichtig und unumstößlich die Ostsee-Pipeline für Deutschland ist - sie ist kein Kind einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik. Diese wird es aber geben müssen, wollen Europas Staaten nicht gegenüber ihren Lieferanten politisch erpressbar werden. Insofern ist Polens Unbehagen über das Ostsee-Projekt ein Warnsignal."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG fällt ein hartes Urteil über die Qualität der polnischen Führung:

"Die Bundesregierung macht das Vernünftigste, was sie derzeit für das deutsch-polnischer Verhältnis tun kann: Sie wartet ab - um den Polen Zeit zu geben, um Dinge persönlich in Augenschein zu nehmen, die sie bisher nur vom Hörensagen kannten. Denn die neue nationalkonservative Führung um die Zwillingsbrüder Kaczynski verkörpert eine Provinzialität und - im wörtlichen Sinne - Weltfremdheit, die in der Europäischen Union einzigartig ist."

Auch der MÜNCHNER MERKUR äußert sich vorwurfsvoll:

"Merkel sieht die deutsch-polnischen Beziehungen am Beginn einer neuen Etappe. Fragt sich nur: Etappe wohin? (...) Egal ob Vertriebenenzentrum, Ostsee-Pipeline oder EU-Verfassung: Keines der Probleme ist mit diesem Staatsbesuch einer Lösung nähergerückt. Schon das lange Zögern des mit anti-deutschen Gefühlen jonglierenden Kaczynski war eine diplomatische Ohrfeige für Berlin: Merkel machte den Polen bereits zehn Tage nach ihrer Wahl ihre Aufwartung, Kaczynski ließ sich dafür fast drei Monate Zeit - nicht ohne zu höhnen, dass er von Deutschland ja den Flughafen Frankfurt kenne. Das genüge. Fragt sich nur, ob das aus Warschauer Sicht der passende Umgang mit dem größten Finanzier in der EU ist."


Damit zum nächsten Thema, der Konkurrenz von WASG und Linkspartei in Berlin.

Im Bonner GENERAL-ANZEIGER ist zu lesen:

"Jede Partei hat ihre Problemzone. Im Falle von Linkspartei und WASG ist diese klar geortet: Berlin. Die dortigen Landesverbände beider Organisationen waren sich noch nie besonders grün oder, je nach Blickwinkel, nicht tiefrot genug. Jetzt will die WASG bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus in Konkurrenz zur Linkspartei antreten. Das politische Signal dieser Urabstimmung ist für die angepeilte Fusion zur vereinigten gesamtdeutschen Linken verheerend. Und es könnte noch dicker kommen. Sogar der Fraktionsstatus der Linkspartei im Bundestag steht auf dem Spiel. Laut Geschäftsordnung dürfen Parteien einer Fraktion in keinem Bundesland miteinander im Wettbewerb stehen. Ja, wenn die Genossen die Signale nicht hören wollen."

Der Leitartikler der Zeitung NEUES DEUTSCHLAND aus Berlin sieht dies gelassener:

"In Berlin wird man im Herbst zwischen WASG und Linkspartei wählen können. Das ist parlamentarische Normalität. Manche Linke haben nun Probleme mit der Interpretation und einige sahen schon vorher den Ernstfall drohen. Sicher: Den Wahlkämpfern im Südwesten und in Sachsen-Anhalt mag das Echo, das der Streit um den Berliner Solo-Antritt ausgelöst hat, geschadet haben - angesichts des Eindrucks etwa, es herrsche bei Linken ohnehin nur Tohuwabohu. Ob der Fall Berlin aber das Zusammengehen von Linkspartei und WASG ganz gefährdet, steht auf einem anderen Blatt."

Das OFFENBURGER TAGEBLATT sieht die geplante Fusion der beiden Parteien als gescheitert an:

"Das bei der Bundestagswahl mit 8,7 Prozent so furios gestartete Bündnis aus Linkspartei (PDS) und WASG liegt bereits nach nur wenigen Monaten in den letzten Zügen. Alt-Kommunisten sowie Sozialisten von der PDS und ehemalige Sozialdemokraten passen nicht zusammen. Beiden geht es zwar um soziale Gerechtigkeit, aber die gegenseitige Abneigung sitzt sehr tief, weil jeder glaubt, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben."

Einen wohl nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag macht schließlich der Kommentator des Berliner TAGESSPIEGEL:

"Es gibt zwei gegensätzliche Meinungen zu der Frage, ob im Bundestag Fraktion bleiben darf, was in Landtagswahlkämpfen gegeneinander streitet. Womöglich wird die linke Bundestagsfraktion Gegenstand einer juristischen Auseinandersetzung. Wunderbare Aussichten für die Demagogen Oskar Lafontaine und Gregor Gysi. Die Berliner WASG aber sollte sich, um ihre Zukunft zu sichern, vom Senat als Religionsgemeinschaft anerkennen lassen."