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Pressestimmen von Donnerstag, 8. Juni 2006

Gerd Winkelmann7. Juni 2006

Die neue Zentralrats-Präsidentin / Vorwürfe in der CIA-Affäre

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An der Spitze des Zentralrates der Juden in Deutschland steht erstmals eine Frau. Die 73-jährige Charlotte Knobloch wurde einstimmig zur Präsidentin des Gremiums gewählt, das die mehr als 100.000 Menschen jüdischen Glaubens in der Bundesrepublik vertritt. Die Kommentatoren der deutschen Tagespresse beleuchten an diesem Donnerstag ihre kommenden Aufgaben.

Die HESSISCHE/NIEDERSÄCHSISCHE ALLGEMEINE schreibt:

'Charlotte Knobloch tritt ein schweres Erbe an. Sie steht in der Nachfolge von Heinz Galinski, der uns unerbittlich den moralischen Spiegel vorhielt; von Ignatz Bubis, der rastlos für Versöhnung warb und am Ende doch enttäuscht feststellte, er habe kaum etwas bewirkt; und von Paul Spiegel, der unermütlich vor dem Wiederaufleben des Antisemitismus warnte. Auch Charlotte Knobloch wird ihre Stimme erheben. Und sie muss nach innen in die jüdischen Gemeinden wirken, etwa wenn es um die Integration von Einwanderern aus der Ex-UdSSR geht. Durch sie hat sich die Zahl der in Deutschland lebenden Juden auf rund 100 000 erhöht. Vor 1933 waren es 600 000, nach 1945 15 000. Diese Zahlen beschreiben, warum Charlotte Knobloch Erfolg bei ihrer Arbeit zu wünschen ist.'

In der HEILBRONNER STIMME lesen wir:

'Charlotte Knobloch ist eine Frau, deren Lebenslauf und Lebenswerk Respekt abverlangt. Ihre Wahl zur Zentralratsvorsitzenden der Juden ist auch eine Ehrung für geleistete Aufarbeitung und Aufbauarbeit. Zwar ist erstmals eine Frau höchste Repräsentantin der mehr als 100 000 Mitglieder in Deutschland. Dennoch ist die Entscheidung eine für Kontinuität. In den jüdischen Gemeinden verschieben sich derweil die Gewichte von der Vergangenheit, die nie abgehakt sein kann, zur Gegenwart und Zukunft. Über 80 Prozent aller Mitglieder kommen mittlerweile aus der ehemaligen Sowjetunion, sie können oft weder Deutsch noch kennen sie die Grundlagen ihres Glaubens.'

Das HANDELSBLATT aus Düsseldorf urteilt wie folgt:

'Knoblochs erste Äußerungen zeigen, wie wichtig eine authentische Stimme nicht nur für die in Deutschland lebenden Juden ist, sondern für die deutsche Öffentlichkeit insgesamt. Die neue Präsidentin spricht noch immer als Betroffene. Wenn sie sagt, dass sie die Koffer weggepackt habe, und damit meint, dass sie sich vorstellen kann, wieder in Deutschland zu leben, so muss das für jeden Deutschen auch heute noch eine besondere Bedeutung haben.'

Und hier noch ein Blick in die FRANKFURTER RUNDSCHAU:

'Der Zentralrat der Juden und an seiner Spitze jetzt Charlotte Knobloch markieren nicht allein Grenzen, die für eine religiöse Minderheit in diesem Land nicht überschritten werden dürfen. Es geht bei der politischen Entschiedenheit, die das Auftreten gegen Ahmadinedschad ungeachtet ökonomischer Interessen braucht, vielmehr um die Sache der Demokraten in diesem Land, nein, in dieser Republik.'


Themenwechsel: Deutschland und 13 weitere Länder sollen in der Affäre um geheime CIA-Flüge mit US-Geheimdiensten zusammengearbeitet und bei Entführungen geholfen haben. Zu diesem Ergebnis kommt der Europaratsabgeordnete Dick Marty in einer Untersuchung. Die Bundesregierung reagierte zurückhaltend. Für die deutsche Tagespresse stellt sich die Lage klarer da:

Die NEUE WESTFÄLISCHE aus Bielefeld schreibt:

'Jeder von Marty aufgeführte Entführungsfall ist ein Bruch der Menschenrechtscharta und ein Verstoß gegen die unveräußerlichen Grundrechte. Jetzt ist es an der Bundesregierung, endlich alle Fakten und Akten offen zu legen. Nicht vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium, sondern vor der Öffentlichkeit. Das sollten uns Grundgesetz und Menschenrechte schon wert sein.'

In der BERLINER MORGENPOST lesen wir:

'Es gibt mannigfaltige Hinweise darauf, dass die Ermittler auf der richtigen Spur sind. Es liegt nahe zu vermuten, dass viele Staaten aus falschem Verständnis für Amerikas Kampf gegen den Terror Einsätze und Aktionen auf ihrem Terrain zugelassen haben, die vor dem 11. September 2001 undenkbar gewesen wären. Doch solche Kompromisse darf es beim Schutz grundlegender Menschenrechte nicht geben. Denn es ist gefährlich, wenn Regierungen mit zweierlei Maß messen. Das schwächt die Fähigkeit der internationalen Gemeinschaft, Menschenrechtsverletzungen beizukommen.'

Die MÄRKISCHE ALLGEMEINE aus Potsdam hat dazu folgende Meinung:

'Es handelt sich um Flüge spezieller Airlines, die bekanntermaßen von US-Geheimdiensten benutzt werden und von der europäischen Luftüberwachung ganz normal registriert wurden. Deshalb konnte der Ermittler des Europarates sie nachträglich überhaupt erst zählen. Was sich in den Flugzeugen befand, registriert die Luftüberwachung nicht. Welcher dieser Flüge illegal war, weiß also bislang wohl nur die CIA. Die bisherige Debatte nach dem Muster: Amerika tritt das Recht mit Füßen, Europa ist empört, ist aber auch deshalb unehrlich, weil die transatlantische Kooperation von Diensten und Antiterror-Ermittlern auch in Zeiten der Irak-Krise nie abgerissen ist. Im Klartext: Man kann davon ausgehen, dass die Europäer wussten, was Washington tat, und sie profitierten von den Erkenntnissen.'

Hier noch ein Blick in den WIESBADENER KURIER:

'In Deutschland geht es nur um geheimdienstliche Kooperation, die Nutzung unter Druck erzielter Geständnisse und die Abwicklung von CIA-Flügen über deutschem Gebiet, wobei Wissen und Verantwortung der Regierung noch zu klären ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Deutschland traditionell den Amerikanern weitgehend freie Hand lässt bei Aktivitäten auf ihren Luftwaffenbasen. Wegsehen mit Methode. Der Europarats-Bericht baut weiteren Druck auf, dass nun doch genauer hingeschaut wird.'