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Pressestimmen von Donnerstag, 28. Juli 2005

zusammengestellt von Bernhard Kuemmerling27. Juli 2005

BVG-Urteil/Telefonüberwachung

https://p.dw.com/p/6y5U

Zentrales Thema in den Kommentaren der deutschen Tagespresse an diesem Donnerstag ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur vorbeugenden Telefonüberwachung.


Dazu schreibt DER TAGESSPIEGEL aus Berlin:

"Das Gericht hat ein grundsätzlicheres Urteil gefällt, als es
scheint. Es hat Grenzen gezogen zwischen Strafverfolgung und Straftatenverhütung auf der einen und polizeilicher Gefahrenabwehr auf der anderen Seite. Es hat die Präventionslogik als Unsinn enttarnt, nach der möglichst alle Behörden alle Kompetenzen haben müssen, um das Land sicher zu machen. Es hat daran erinnert, dass kein Unverdächtiger überwacht werden darf. Und es hat unterstrichen, was ein Verdacht ist: Mehr als die bloße Annahme, irgendjemand könnte irgendwann irgendein Verbrechen begehen. Das ist viel für einen Tag Arbeit an den Bürgerrechten."


In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG heißt es:


"Bedeutet es den Verzicht auf eine wirksame Abwehr der zur Zeit größten Gefahr? Wenn das die Folge wäre, dann hätte der Grundrechte- Senat den Grundrechten letztlich einen Bärendienst erwiesen. Das Abhören von Telefonen ist ebenso wie die Wohnraumüberwachung ein notwendiges Mittel des Rechtsstaats zur Bekämpfung schwerer Kriminalität. Diese Maßnahmen müssen erst recht erlaubt sein, wenn es um den Schutz vor unberechenbaren Terroristen geht, die sich
womöglich selbst in tödliche Waffen verwandeln. Doch das kann geregelt werden - auch nach Karlsruher Maßstäben."


Der Kommentator der Münchener ABENDZEITUNG meint:


"Vielleicht nutzen die Scharfmacher in den politischen Parteien ja ihren Sommerurlaub dazu, einmal gründlich über diese Rechtsprechung nachzudenken. Vielleicht hängen sie sich den Satz, mit dem der erfolgreich klagende Richter das Urteil kommentiert hat, gerahmt über den Schreibtisch: 'Wir schützen die Freiheit nicht, indem wir sie beseitigen.' Allzu viel Hoffnung auf die Einsicht der Sicherheitsfreaks im heißlaufenden politischen Betrieb besteht aber nicht. Zumindest nicht in Zeiten grassierender Angst vor Terror und
in Zeiten des Wahlkampfs."


DIE WELT aus Berlin bemerkt:


"Das beanstandete Gesetz aus Niedersachsen räumt der Polizei das Recht ein, Privatgespräche auch bis dato Unbescholtener abzuhören, ohne dass gegenüber einer unabhängigen Instanz vorab ein Verdacht zu belegen ist. Wer eine solche fürsorgliche Belagerung dem Staat nicht ohne weiteres gestatten will, ist nicht automatisch einer, der die
Augen vor dem weltweit grassierenden Terrorismus verschließt der sich natürlich jederzeit auch Deutschland zum Ziel nehmen könnte. Ein Verfassungsgericht bleibt in der Pflicht, zwischen dem Schutzauftrag des Staates und den Bürgerrechten des einzelnen immer wieder abzuwägen."

Im GENERAL-ANZEIGER aus Bonn lesen wir:

"'Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich', lautet Absatz 1 im Artikel 10 des Grundgesetzes. Das klingt eindeutig, war es aber in Niedersachsen nicht. Dort durften Telefone ohne konkreten Tatverdacht überwacht werden. Diese präventive Lauscherei stoppte gestern das Bundesverfassungsgericht.
Der Spruch aus Karlsruhe hinterlässt kein Wenn und Aber und schlägt sich im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit erfreulich klar auf die Seite der Freiheit. Das Urteil hat bundesweite Wirkung, weil es auch in anderen Ländern derartige Regelungen gibt oder sie geplant sind."


Zum Schluß noch ein Blick in die in Lüneburg erscheinende LANDESZEITUNG:

"Deftiger konnte die höchstrichterliche Ohrfeige für die
niedersächsische Landesregierung nicht ausfallen: Sie habe gar nicht das Recht, eine vorbeugende Telefonüberwachung ins polizeiliche Arsenal zu nehmen, entschied Karlsruhe. Allzu nebulös sei geregelt, was 'Straftaten von erheblicher Bedeutung' seien, die man verhindern wolle. Nicht zulässig sei auch, dass sogar 'Kontakt- und Begleitpersonen' am Telefon belauscht werden dürften. Damit hat das Bundesverfassungsgericht den Rechtsstaat vor einer gefährlichen Schieflage bewahrt. Gesinnungsschnüffelei darf nicht die Antwort einer Demokratie auf die Bedrohung durch Terroristen sein."