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Pressestimmen von Dienstag, 22. August 2006

Siegfried Scheithauer 21. August 2006

Merkel nach der Sommerpause

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Die Popularitätswerte der großen Koalition sanken immer weiter, innerhalb der CDU flammte der Richtungsstreit wieder auf, der Kanzlerin wurde Entscheidungsschwäche vorgeworfen: Der erste Auftritt Angela Merkels vor den Berliner Journalisten nach der Sommerpause ist das Kommentarthema Nummer 1 der deutschen Tagespresse.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hat es so gesehen:

"Als ginge es darum, noch einmal die Stiefel für eine fröhliche Bergwanderung zu schnüren, verkündete Merkel munter den Beginn der 'zweiten Etappe' ihrer Reformpolitik. Die Kanzlerin festigt ihre Autorität nicht mit Machtworten, sondern mit Einlassungen, die einerseits von Offenheit für Argumente zeugen, andererseits aber auch den Eindruck vermitteln, dass sie auf festem Boden eigener Überzeugungen steht. Dennoch wirkte es irritierend, wie kompromisslos Frau Merkel bei aller Diskussionsbereitschaft im allgemeinen die Mehrwertsteuererhöhung und den Gesundheitsfonds verteidigte," meint die FAZ.

Auch das MAIN-ECHO aus Aschaffenburg hat kein Machtwort der Kanzlerin gehört:

"Angela Merkel hält zwar unbestritten die Zügel in der Regierung wie in der eigenen Partei in der Hand, denkt aber gar nicht daran, sie anzuziehen. Kein Wort der Kritik an Kabinettskollegen oder Parteifreunden, jedenfalls nicht öffentlich. Im Gegenteil. Da gibt es noch einmal unerwartetes Lob für Amtsvorgänger Gerhard Schröder und dessen Agenda 2010, demonstrative Komplimente für den neuen SPD-Chef Kurt Beck sowie ein klares Bekenntnis zur Koalition mit der SPD, deren Erfolg sie will."

Für die STUTTGARTER NACHRICHTEN bleiben nach dem Merkel-Auftritt hauptsächlich Fragen:

"Was hat uns die Kanzlerin bloß sagen wollen? Dass die Sommerpause nun beendet ist und in Berlin tapfer weiterregiert wird? Von Schröder lernen heißt siegen lernen? Auch SPD-Chef Kurt Beck darf sich artig freuen, hält Merkel ihn doch für verlässlich - mehr jedenfalls als Jürgen Rüttgers, ihren CDU-Vize, darf man vermuten. Und noch eines hat Merkel wohl verkünden wollen - dass sie den sprudelnden Steuerquellen nicht traut, die Wende zum Besseren gleichwohl für geschafft hält. Ob sie damit nur die Wirtschaft oder auch ihre Regierungsarbeit gemeint hat - im Ungefähren bleibt auch das."

Auch die BERLINER ZEITUNG zieht ein eher nüchternes Fazit:

"Es gibt viele, die fordern, Angela Merkel müsse endlich klar sagen, wie sie Deutschland reformieren wolle. Dabei zeigt sich längst überdeutlich, warum sie nicht für Klarheit sorgt, nicht für Klarheit sorgen kann. (...) Sie weiß, dass ihre Machtbasis in der Union viel zu schmal ist, dass die ehrgeizigen Ministerpräsidenten ihrer Partei sie sonst öffentlich in die Schranken weisen könnten. Deshalb gibt die Kanzlerin Pressekonferenzen wie die gestrige, nach denen man nur eines sicher weiß: ihr Sommerurlaub ist jetzt vorbei."

Die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND sieht eine gut erholte Regierungschefin vor großen Aufgaben:

"Der Bundeskanzlerin geht es nicht anders als anderen deutschen Arbeitnehmern: Wieder einmal hat niemand nach der Abreise in den Urlaub die auf dem Schreibtisch liegen gebliebenen Probleme abgeräumt. Die Partei murrt, die Gesundheitsreform ist dringend reparaturbedürftig, die Mehrwertsteuererhöhung strittig, das Wahlvolk nörgelig und zu alldem sitzt am Tisch noch derselbe Mitbewohner, den man schon vor Wochen lieber rausgeschmissen hätte. Einen Unterschied zu vor dem Urlaub allerdings gibt es: Angela Merkel ist entschlossen, den Haussegen in der schwarz-roten Lebensabschnittsgemeinschaft gerade zu rücken."

Die KÖLNISCHE RUNDSCHAU versucht, hinter die Kulissen zu schauen:

"Und doch hat die alles in allem langweilige Pressekonferenz mehr von der Machtstatik innerhalb der Regierung verraten, als es der Kanzlerin Recht sein kann. Nach einer in der Sommerpause laut aber ziellos verlaufenen politischen Debatte, zudem in einer Phase unklar gewordener Zielsetzungen, hätten ihre Amtsvorgänger Helmut Kohl und Gerhard Schröder alle Kreuz- und Querdenker sehr unmissverständlich zur Ordnung gerufen und deutlich ihren Führungsanspruch angemeldet. Das ist nicht Merkels Stil. Aber vor allem ist sie nicht in einer vergleichbaren Position. (...) In einer großen Koalition funktioniert das nicht."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU bemüht Vergleiche aus der jüngeren Historie:

"Helmut Kohl, bei dem Merkel das Regierungshandwerk gelernt hat, erhob das Lavieren in den Stand der hohen Kunst. Entscheidend sei eben, so Kohl, was hinten rauskommt. Seine politische Tochter Angela formuliert es so: Das Ergebnis zählt. (...) Die Kanzlerin und CDU- Vorsitzende legt sich persönlich nicht fest, geschweige denn ihr Kabinett oder ihre Partei. So kann es auf Dauer nicht gut gehen, nicht in der Regierung und schon gar nicht in der CDU, die soeben darangeht, sich ein neues Grundsatzprogramm zu geben. Das erfordert nicht nur geschickte Kompromisse, sondern auch Überzeugungen und Grundsätze."

Auch die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock sieht die Kanzlerin nach wie vor im Zugzwang:

"Der Vertrauensvorschuss der Wähler für die Koalition scheint nahezu aufgebraucht. SPD-Chef Kurt Beck selbst hat gerade kritisiert, dass die Wirtschaft in Deutschland wieder Erfolge feiere, aber eine große Zahl von Menschen davon ausgeschlossen bleibe. Das deckt sich mit dem lauter werdenden Ruf in der Union, das ökonomisch Richtige mit dem sozial Notwendigen zu verbinden. Es gibt also durchaus Korrekturbedarf am Koalitionskurs."