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Politik

Warum wurde Popasna zum Google-Hit?

Marina Baranovska
8. Mai 2022

Der Ort in der Region Luhansk stand plötzlich in vielen Ländern bei den Google-Suchanfragen ganz oben. Warum wird um die Stadt so erbittert gekämpft und welche Bedeutung hat sie für die Schlacht im Donbass?

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Ukraine-Krieg Popasna | zerstörte Gebäude
Popasna in der Region Luhansk ist praktisch dem Erdboden gleichgemachtBild: Alexander Reka/Tass/dpa/picture alliance

Alles begann mit einem Video, das offenbar von einer Drohne des russischen Militärs über der Stadt Popasna in der Region Luhansk aufgenommen wurde. Es zeigt die entsetzliche Zerstörung, die die kleine Stadt im Donbass durch die ständigen Artillerie- und Raketenangriffe der russischen Armee erlitten hat. Zu sehen ist, dass in der Stadt, wo vor dem Krieg 20.000 Menschen lebten, kein einziges Gebäude mehr erhalten ist.

Seit zwei Wochen wird in Popasna heftig gekämpft. Die russische Armee, die im Donbass mit einer Offensive versucht, auch diese Stadt einzunehmen, schafft es aber lange nicht, die ukrainische Verteidigung zu durchbrechen.

Das Video, das ursprünglich am 3. Mai auf einem russischen propagandistischen Telegram-Account gepostet wurde, kam dort in wenigen Tagen auf fast eine Million Aufrufe. Wenig später erschien auf der Website von CNN ein Artikel über Popasna mit einem Link zu jenem Video. Den Amerikanern gelang es, die Geolokalisierung zu bestimmen und die Echtheit des Videos zu bestätigen, doch es bleibt unklar, wann genau das Video entstand. Nachdem es bei CNN veröffentlicht war, begannen Menschen auf der ganzen Welt in Suchmaschinen nach Informationen über Popasna zu suchen. So gehörte am 4. und 5. Mai der Name der Stadt in vielen Ländern zu den häufigsten Suchanfragen bei Google.

Wichtige Verkehrsknotenpunkte

Doch was passiert in Popasna und welche Bedeutung hat die Stadt im Kampf um den Donbass? Popasna gehört zum sogenannten kleinen Bogen zwischen Isjum und Donezk, den die russische Armee seit mindestens zwei Wochen durchbrechen will. Das sagt Serhij Shurez, Leiter der ukrainischen Informations- und Beratungsagentur "Defense Express".

Ukraine Sergej Zgurets
Militärexperte Serhij ShurezBild: privat

"Dieser ganze Bogen ist sowohl für die russische als auch für die ukrainische Seite von großer Bedeutung. Für die Russen ist er wichtig, weil sie vor allem militärische Erfolge vorweisen wollen, und zweitens, um Richtung Kramatorsk vordringen und Territorium erobern zu können, bis an die Verwaltungsgrenzen der Regionen Donezk und Luhansk", so der Experte. Für die ukrainischen Truppen gehe es vor allem ums Prinzip - die Verteidigung eigenen Territoriums.

Popasna sowie die auf demselben Bogen gelegenen Orte Marjinka, Rubischne und Awdijiwka sind Verkehrsknotenpunkte in der Region und wichtig für Logistikketten. "Wenn die Russen eine dieser Städte einnehmen und dort die Verteidigung der ukrainischen Armee durchbrechen, können sie von dort aus eine Offensive aufbauen. Daher kann jeder dieser Orte zum Ausgangspunkt eines Durchbruchs werden", so der Experte. Dessen seien sich die ukrainischen Streitkräfte bewusst. Sie würden dabei eine Strategie der mobilen Verteidigung verfolgen und auf Reserven setzen. Mit Hilfe von Artillerie solle der Vormarsch der russischen Truppen erstickt werden.

Russen wenden Taktik der "verbrannten Erde" an

Die Russen wiederum würden mit endlosen Artillerie- und Raketenangriffen versuchen, die Verteidigung der ukrainischen Truppen zu durchbrechen. Dadurch werde das kleine Popasna von der russischen Armee dem Erdboden gleichgemacht, wie Mariupol und andere Städte im Donbass, sagt Shurez. Dies bezeichnet er als eine Taktik der "verbrannten Erde". "Das massive Vorgehen Russlands setzt auf ein Zermahlen friedlicher Städte mit Artillerie und Kampfflugzeugen. Das ist eine Taktik, die eine massenhafte Säuberung des Territoriums und eine Vernichtung der ukrainischen Soldaten und Zivilbevölkerung verfolgt", betont er.

Ukraine Krieg l Zerstörung l Situation in Popasnaya, Lugansk Region
Ein bewaffneter prorussischer Separatist inspiziert die Ruinen eines Hauses in PopasnaBild: Alexander Reka/TASS/IMAGO

Aktuell meldet die Nachrichtenagentur Reuters, dass Popasna gefallen sei und bezieht sich auf Angaben des Machthabers der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow. "Kämpfer der tschetschenischen Spezialeinheiten haben den größten Teil von Popasna unter Kontrolle gebracht", schreibt Kadyrow auf Telegram. Die zentralen Bezirke seien geräumt. Die Ukraine meldet hingegen, dass die schweren Kämpfe um die Stadt weiter andauern. "Russische Propagandisten haben freudig berichtet, dass sie die Stadt bereits eingenommen haben, aber das ist nicht ganz richtig. Dies ist die 117. 'Einnahme von Popasna', die sie allein in dieser Woche behauptet haben", teilt ein Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj in den sozialen Medien mit. Die tschetschenischen Truppen würden nicht kämpfen, sondern plündern und Videos aufnehmen. Reuters konnte die Berichte nicht unabhängig überprüfen.    

Welche Taktik verfolgt die ukrainische Armee?

Dass die Ukrainer ihre Stellungen halten könnten, hätten sie in diesem Krieg bereits bewiesen, sagt Shurez. Daher bestehe die Chance, dass sie auch Popasna halten. Aber selbst wenn sich die ukrainischen Soldaten aus der Stadt zurückziehen müssten, wäre dies für den weiteren Verlauf der Schlacht um den Donbass nicht entscheidend. Die ukrainische Armee, so der Experte, wende eine Taktik an, bei der Territorium nur bei gleichzeitiger Vernichtung der feindlichen Kräfte überlassen werde.

Auf eine solche Taktik habe die Ukraine bei den Kämpfen bei Charkiw gesetzt, sagt Shurez. Dort habe zunächst die Lage so ausgesehen, als wäre Charkiw von russischen Truppen eingekreist. Aber im Mai habe die ukrainische Armee den Feind 40 Kilometer von der Stadt zurückgedrängt. Eine ähnliche Strategie könnten die Ukrainer auch in Popasna anwenden, findet der Militärexperte.

"Sollten die Russen zum Beispiel weiter von Popasna in Richtung Slowjansk oder in Richtung Isjum und Donezk vorrücken, könnte die ukrainische Armee versuchen, die russischen Einheiten einzukesseln", so Shurez. Ihm zufolge könnte die ukrainische Armee dabei auf Einheiten zurückgreifen, die bereits in der Region sind, aber noch nicht im Einsatz waren.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk