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Polizei in Köln nicht Herr der Lage?

7. Januar 2016

Ein interner Bericht der Bundespolizei gibt Einblick in die chaotische Situation während der sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht in Köln. Auch Kanzlerin Merkel denkt über eine strengere Abschiebepraxis nach.

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Silvesterabend in Köln: das Areal zwischen Dom und Hauptbahnhof (Foto: Getty Images/AFP/M. Böhm)
Bild: Getty Images/AFP/M. Böhm

Die Kölner Polizei gerät nach den Übergriffen eines Mobs auf Frauen in der Silvesternacht immer stärker unter Druck. Aus dem nun bekanntgewordenen Einsatzprotokoll eines leitenden Bundespolizisten geht hervor, dass sie frühzeitig über Ausmaß und Dramatik in der Kölner Silvesternacht informiert gewesen sein muss. In einer Mitteilung hatte die Polizei die Stimmung am Morgen nach dem Chaos am Bahnhof dagegen als "friedlich" bezeichnet und erst zwei Tage später über die Übergriffe informiert. Der Bundespolizist will nach eigenen Angaben angesichts der angespannten Lage dagegen befürchtet haben, dass das "Chaos noch zu erheblichen Verletzungen wenn nicht sogar zu Toten führen würde".

In der Silvesternacht hatten sich am Kölner Hauptbahnhof aus einer Menge von rund 1000 Männern heraus kleinere Gruppen gelöst, die vor allem Frauen umzingelt, begrapscht und bestohlen haben sollen. Während der Ausschreitungen hätten Frauen Schutz bei der Polizei gesucht, heißt es im internen Einsatzbericht des Bundespolizisten. Über die Zeit vor Mitternacht schreibt der Mann, der eine an dem Einsatz beteiligten Hundertschaft leitet, Frauen "mit Begleitung und ohne" hätten einen Spießrutenlauf erlebt "durch die stark alkoholisierten Männermassen, wie man es nicht beschreiben kann". Viele weinende und schockierte Frauen und Mädchen hätten den Beamten von sexuellen Übergriffen berichtet. Auffällig sei die "sehr hohe Anzahl an Migranten innerhalb der polizeilichen Maßnahmen" gewesen. Da die Polizei "nicht jedem Opfer einer Straftat helfen und den Täter dingfest machen konnte, kamen die eingesetzten Beamten an die Grenze zur Frustration", heißt es zudem in dem Bericht.

Der Polizist beklagt auch eine viel zu geringe Zahl eingesetzter Beamter. Alle eingesetzten Polizisten seien "ziemlich schnell an die Leistungsgrenze gekommen". Wegen der zahlreichen Vorfälle hätten sich die Beamten "auf die Lagebereinigung mit den notwendigsten Maßnahmen" beschränkt. Aber: "Maßnahmen der Kräfte begegneten einer Respektlosigkeit, wie ich sie in 29 Dienstjahren noch nicht erlebt habe." Die Situation sei "chaotisch und beschämend" gewesen.

Kölner Polizisten widersprechen offizieller Polizei-Darstellung

Mehrere Kölner Polizisten widersprachen unterdessen der offiziellen Polizeimitteilung, wonach die Neujahrsnacht weitgehend friedlich verlief. Sie hätten durchaus zahlreiche Personen kontrolliert und teils festgenommen. sagten Polizisten der "Welt am Sonntag". Dabei sei klar geworden, dass es sich bei den Gruppen am Hauptbahnhof zu einem großen Teil um Syrer und nur bei einer kleinen Minderheit um Nordafrikaner gehandelt habe. Unter den Kontrollierten seien meist "frisch eingereiste Asylbewerber" gewesen.

Laut dem polizeilichen Einsatzbericht wurden in der Neujahrsnacht zwischen 22 und fünf Uhr 71 Personalien festgestellt, elf Menschen festgenommen sowie 32 Strafanzeigen gestellt.

Die Beamten korrigierten zudem die bisherige Darstellung der Kölner Polizei, dass es den Tätern vor allem darum gegangen sei, Passanten zu bestehlen. Vielmehr hätten sie es vor allem darauf abgesehen, sich an Frauen zu vergreifen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto: Reuters/H. Hanschke)
Von der Kanzlerin kommen deutliche Worte zu den schlimmen Vorfällen in der SilvesternachtBild: Reuters/H. Hanschke

Merkel: Auch für mich persönlich unerträglich

Bundeskanzlerin Angela Merkel erwägt als Reaktion auf die Übergriffe in der Domstadt eine striktere Abschiebungspolitik: Es müsse "immer wieder überprüft werden, ob wir, was Ausreisenotwendigkeiten anbelangt oder Ausweisungen aus Deutschland schon alles getan haben, was notwendig ist", sagte sie nach einem Treffen mit Rumäniens Ministerpräsidenten Dacian Ciolos in Berlin. Es gehe darum, "hier auch klare Zeichen zu setzen an diejenigen, die nicht gewillt sind, unsere Rechtsordnung einzuhalten.

Was in Köln geschehen sei, sei "auch für mich persönlich unerträglich", so die Kanzlerin weiter. Es sei gut, dass es sehr viele Anzeigen gebe, und die Polizei müsse all diesen Dingen nachgehen. Es ergäben sich auch "sehr ernsthafte Fragen, die über Köln hinausgehen", fügte Merkel hinzu. "Gibt es in Teilen von Gruppen auch so etwas wie Frauenverachtung? Wir müssen dem in aller Entschiedenheit entgegentreten. Und ich glaube nicht, das es nur Einzelfälle sind." Die Politik habe die Pflicht, Antworten darauf zu geben.

16 Verdächtige, 121 Strafanzeigen

Auf der Suche nach Schuldigen für die Übergriffe kommt die Kölner Polizei nur langsam voran: Es seien inzwischen 16 Verdächtige ausfindig gemacht worden. "Wir prüfen nun, ob sie tatsächlich in Zusammenhang mit den Taten stehen", sagte ein Sprecher. Bislang wurden 121 Strafanzeigen gestellt. Bei etwa drei Viertel der angezeigten Taten hätten die Opfer angegeben, sexuell bedrängt worden zu sein. In 50 dieser Fälle seien die Frauen zudem bestohlen worden. Bislang wurden zwei Vergewaltigungen angezeigt.

Die meisten bisher ausfindig gemachten Verdächtigen seien noch nicht namentlich bekannt, aber auf Bild- oder Videoaufnahmen klar erkennbar, teilte der Polizeisprecher weiter mit. Einige Verdächtige - alle nordafrikanischer Herkunft - seien vorübergehend festgenommen worden - jedoch vor allem wegen Diebstählen.

sti/SC (dpa, Der Spiegel, "Bild"-Zeitung)