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Poker um Notkabinett in Athen

9. November 2011

Unter dem Druck der internationalen Kapitalmärkte wird in Griechenland um eine neue Regierung gerungen, die den Sparkurs durchsetzen soll. Premier könnte der frühere EZB-Vizepräsident Lucas Papademos werden.

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Papademos (Foto: dpa)
Immer noch Favorit: Ex-EZB-Chef Lucas PapademosBild: picture-alliance/dpa

Seit Tagen feilschen und pokern die Spitzen von Sozialisten und Konservativen in Athen um Macht, Eitelkeiten, Prestige und Positionen in einer neuen Regierung. Offenbar sind sie sich näher gekommen: Griechenland will an diesem Mittwoch (09.11.2011) die Zusammensetzung der neuen Übergangsregierung bekanntgeben, die das Land vor dem drohenden Staatsbankrott bewahren soll.

Der noch amtierende sozialistische Regierungschef Giorgos Papandreou werde am Mittag Staatspräsident Karolos Papoulias aufsuchen. Papoulias werde dann ein Treffen von führenden Vertretern der Parteien leiten. Anschließend würden die Namen der Mitglieder der neuen Regierung bekannt gegeben, hieß es.

Papademos neuer Premier?

Griechen vor Zeitungsständen (Foto: dapd)
Leidgeplagte Griechen verfolgen den Machtkampf in den MedienBild: dapd

Für die Nachfolge des Ministerpräsident Papandreou gilt der frühere Vizepräsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Lucas Papademos, als aussichtsreichster Kandidat. Der renommierte Wirtschaftsprofessor soll dem Vernehmen nach aber äußerst umstrittene Bedingungen für ein Notkabinett gestellt haben, was Personal und Dauer der Regierungszeit angeht.

Aber auch der ehemalige EU-Bürgerbeauftragte Nikiforos Diamantouros werde immer wieder genannt, verlautete aus Teilnehmerkreisen in Athen. Ein weiterer Name im Verhandlungs-Poker: Panagiotis Roumeliotis, der Vertreter Griechenlands beim Internationalen Währungsfonds (IWF).

Kabinett der radikalen und schnellen Sanierung

Erwartet wird von der neuen Regierung der "nationalen Rettung und der nationalen Verantwortung", wie sie von den Sozialisten gerne betitelt wird, vor allem, einen drastischen Sparkurs durchzupeitschen, Entlassungen im öffentlichen Sektor umzusetzen und Staatsunternehmen möglichst günstig zu verkaufen. Dazu sollen schnell breite Mehrheiten im Parlament her.

Papandreou, Papoulias und Samaras (v.l.n.r.) an glänzendem Tisch im Präsidentenpalast (Foto: dapd)
Die zentralen Figuren in Athen brauchen lange, um reinen Tisch zu machen und eine neue Regierung zu installieren: Ex-Premier Papandreou (l.), Präsident Papoulias (M.) und Oppositionschef SamarasBild: dapd

Doch die konservative Nea Dimokratia zögerte, eigene Politiker in das Krisenkabinett zu entsenden, ganz offensichtlich aus wahltaktischen Erwägungen. Es wurde befürchtet, dass alle Minister dieser kurzfristigen Zweckgemeinschaft schon schnell als "verbrannt" gelten könnten: Wegen der zu verantwortenden radikalen Sparpolitik wären sie für die Wähler kaum noch attraktiv, und mit ihnen auch ihre Partei.

Die 100-Tage-Übergangsregierung soll bis zur Parlamentsneuwahl am 19. Februar dafür sorgen, dass Athen die von EU und Internationalem Währungsfonds Ende Oktober zugesagten Kreditzahlungen von insgesamt 130 Milliarden Euro erhält. Auch als Reaktion auf die Turbulenzen der vergangenen Tage hatte die EU erst einmal ihre Überweisung der nächsten Rate von acht Milliarden Euro auf Eis gelegt.

EU verlangt schriftliche Verpflichtung auf Sparkurs

Olli Rehn vor blauem Transparent (Foto: dpa)
EU-Kommissar Rehn will den Druck auf Griechenland aufrechterhaltenBild: picture alliance / dpa

Vor der Überweisung der nächsten Notkredite verlangte EU-Finanzkommissar Olli Rehn eine schriftliche, parteiübergreifende Verpflichtung auf die Sparbeschlüsse vom Oktober-Gipfel sowie den tatsächlichen Beginn der Umsetzung. Notwendig seien die Unterschriften der neuen Regierung und der Chefs der beiden großen Parteien, der sozialistischen PASOK und der konservativen Nea Dimokratia, so Rehn beim Finanzminister-Treffen der EU am Montag in Brüssel.

Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder hatten Ende Oktober einen radikalen Schuldenschnitt für Griechenland und ein gigantisches Hilfspaket für Krisenstaaten beschlossen, um den Euro vor dem Scheitern zu bewahren. Einem Übergreifen der Krise auf andere Staaten soll damit Einhalt geboten werden.

Ohne weitere Mittel aus dem Rettungsfonds drohen Griechenland noch vor Weihnachten Zahlungsunfähigkeit und der Staatsbankrott. Die Staatspleite könnte nach extremsten Befürchtungen von Experten das europäische Bankensystem ins Wanken bringen und die Weltwirtschaft in eine Rezession stürzen.

Autor: Siegfried Scheithauer (dapd, rtre, dpa, afpf)
Redaktion: Dirk Eckert / Julia Elvers-Guyot