Privat oder staatlich - ecuadorianische Medien sind stark polarisiert. Wäre ein unabhängiger Rundfunk nach deutschem Vorbild eine Lösung des Konfliktes? Hierzu diskutierten Medienexperten aus Ecuador und Deutschland.
V.l.n.r.: Alice Ströver, Nikolaus Brender, Mirjam Gehrke, Carmen Andrade, Hernán Reyes, Ute Schaeffer
Eigene Wege gehen
Die ecuadorianische Medienlandschaft war bis 2007 ausschließlich von privaten TV- und Radiosendern geprägt, die sich in den Händen weniger einflussreicher Finanzunternehmen und Banken befanden. Das habe unter anderem dazu geführt, dass die Bankenkrise Ende der 1990er Jahre von den Medien verschwiegen wurde, bis der Zusammenbruch nicht mehr aufzuhalten war, so Hernán Reyes. Die Finanzkriese führte zu einer massiven Wirtschaftkrise, in deren Zuge über drei Millionen Ecuadorianer/innen als Arbeitsmigranten ins Ausland gingen. Seit Amtsantritt von Präsident Rafael Correa hat die Regierung die Gründung von staatlichen Medien in Angriff genommen. Kritiker werfen diesen Medien vor, Gefälligkeitsjournalismus zu betreiben und als Sprachrohr der Regierung zu handeln. Nach wie vor sind jedoch noch 85 Prozent der Frequenzen im Besitz privater Medien. Könnte ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, wie er in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach britischem Vorbild gegründet wurde, ein Ausweg sein?
"Es ist das beste Modell der Welt, da es nicht über Steuergelder finanziert und somit staatsfern ist", sagte Alice Ströver. Das langjährige Mitglied des RBB-Rundfunkrates findet lobende Worte für die Finanzierung und das System insgesamt, obwohl sie das Übergewicht der Parteien in den Rundfunkräten und somit die Staatsnähe des Kontrollgremiums scharf kritisiert.
Das Modell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland sei weltweit gefragt, so Ute Schaeffer
Auch Ute Schaeffer, Leiterin der Medienentwicklung der DW Akademie, lobte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland: "Über die Gebührenfinanzierung sei die Gesellschaft der Souverän - ein Modell, das weltweit sehr gefragt ist." Auf diese Nachfrage reagiere die DW Akademie mit langfristigen Beratungsprojekten unter anderem in der Ukraine, Republik Moldau oder Mongolei Bei jedem dieser Transformationsprozesse sei offensichtlich, dass der jeweilige staatliche, politische und wirtschaftliche Kontext beachtet werden müsse, sagte Schaeffer und ermutigte die ecuadorianischen Kollegen, das deutsche Modell selbstbewusst an ihre Mediensituation und die Mediennutzung in ihrem Markt anzupassen. In den Entwicklungsländern und Schwellenländern gäbe es die Möglichkeit einige Schritte zu überspringen, mutig neue Verbreitungsformen und Formate zu entwickeln, zum Beispiel um die die junge Generation stärker an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu binden, ihn für jüngere Zielgruppen attraktiv zu gestalten: "Überspringen Sie einige Schritte und stellen Sie Weichen!"
Eine große Herausforderung auch in Deutschland: So gab Nikolaus Brender, ehemaliger Chefredakteur des ZDF, zu, hier eine wichtige Chance vertan zu haben. "Wir haben es versäumt, rechtzeitig auf das Internet und die Kommunikationsformen der Jugend zu reagieren", so Brender. Er halte nichts von der Meinung, dass junge Menschen sich überhaupt nicht mehr für Politik interessieren würden. "Sie benutzen einfach nur eine andere Sprache. Ich habe das damals als Chefredakteur auch nicht verstanden, aber jetzt muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk reagieren – er ist überholt!" Ute Schaeffer pflichtete ihm bei: "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist der Gesellschaft verpflichtet. Wenn er bei den jungen Zielgruppen an Bedeutung verliert und von ihnen nur wenig genutzt wird, dann kommt er seinem partizipativen Auftrag nicht mehr nach und verliert an Legitimität."
Beide Seiten stimmten darin überein, dass das deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunkmodell nicht direkt auf Ecuador übertragbar ist. "Es gibt kein Patentrezept", so Professor Udo Fink, stellvertretender Direktor des Mainzer Medieninstituts. Private Modelle würden sich durch staatliche Unabhängigkeit von auszeichnen, seien aber auch aufgrund der Medienmonopolbildung unzureichend. Öffentlich-rechtliche Medien stünden oft in dem Verdacht der Staatsnähe. "Beide Modelle können sich ausgleichen und daher gut nebeneinander bestehen." Gerade die Koexistenz von öffentlich-rechtlichen und privaten Medien in Deutschland hat Denkanstöße geliefert und innerhalb der ecuadorianischen Delegation einen zukunftsweisenden Dialogprozess angestoßen. Die polarisierte Medienlandschaft und vor allem das angespannte Verhältnis zwischen der Regierung und den privaten Medien hatten einen konstruktiven Dialog bislang verhindert. Der in Berlin begonnene Dialog soll im kommenden Jahr in Ecuador fortgesetzt werden: geplant sind Fachkonferenzen und Podiumsdiskussionen, an denen auch Experten aus Deutschland teilnehmen sollen.