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Kurs auf Berlin

16. Juli 2009

Fast 230.000 Deutsche wählten bei der Europawahl im Mai die Piratenpartei. Und die Erfolgsgeschichte scheint weiterzugehen. Mit stolzer Brust nehmen die Piraten nun Kurs auf Berlin.

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Piraten-Bundesparteitag Anfang Juli in Hamburg (Foto: dpa)
Hoffen auf den Einzug in den Bundestag: die PiratenBild: DPA

Der Kleine Saal im Bürgerzentrum des Kölner Stadtteils Ehrenfeld ist brechend voll. Immer wieder werden neue Tische geschoben und Stühle organisiert, damit auch alle Platz finden. Vor zwei Wochen waren es noch eine handvoll Piraten, die den lokalen Stammtisch aus der Taufe hoben. Diesmal kommen fast 40 Interessierte zu dem Treffen der Partei. Viele sehen sich zum ersten Mal, manche kennen sich bereits aus dem Internet. Sie schreiben die Pseudonyme auf ihre Namensschilder, mit denen sie sich auch durchs Netz bewegen: fukami, 00sleepy, midnight.iry.

Neu-Piratin Daniela (Foto: DW)
Neu-Piratin Daniela (28) will Plakate entwerfen und aufhängenBild: DW

Christian Seifert sagt, für ihn sei der 18. Juni 2009 sein "Erweckungserlebnis" gewesen. Damals beschloss der Bundestag das "Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen". Für den 30-jährigen war das der Höhepunkt einer langen Entwicklung in Deutschland. Der Entwicklung zu staatlicher Zensur. Fast alle Piraten im Raum nicken zustimmend.

Nach drei Wochen im Bundesvorstand

"Von allen werden Profile erfasst. Das geht mir zu sehr an die Bürgerrechte, das muss gestoppt werden", sagt Frank Weiler, Sprecher der Kölner Gruppe. Zum ersten Mal in seinem Leben engagiere er sich politisch, sagt der 39-jähirge. Wortgewandt, mit Hemd und ohne Krawatte moderiert er die Kölner Runde. Die Rolle des Politikers steht ihm gut. Ein großes Thema bei dem Kölner Treffen ist der Bundesparteitag, der Anfang Juli in Hamburg stattfand.

Frank Weiler (Foto: DW)
Frank Weiler: Sprecher einer Kölner Ortsgruppe der PiratenparteiBild: DW

Frank Weiler war einer von 300 Delegierten. Gemeinsam entwickelten sie hier das Programm für die Bundestagwahlen. "Wir sind sehr demokratisch aufgestellt. Jeder kann sofort einsteigen und aktiv werden." Im Bundesvorstand sitzt seit dem Parteitag ein Pirat, der erst drei Wochen vorher zur Partei gestoßen sei, sagt der Neu-Politiker und grinst. Und das sei gut so.

"Kommen lassen, wir sind halt Piraten"

Auch an diesem Abend werden verschiedene Ideen diskutiert: Warum bei der Bundestagwahl nicht mit Kandidaten antreten? Wie genau geht man eigentlich mit Spenden um? Auf viele Fragen hat bei dem Kölner Treffen eine Juristin, die ihren Namen nicht öffentlich genannt sehen will, eine Antwort. Sie ist eine der wenigen Frauen unter den zahlreichen männlichen IT-Arbeitern, die sich bei den Piraten engagieren. Die noch offenen Fragen werden später im Internet geklärt. In Foren oder im Piratenwiki, der deutschlandweiten Informations- und Koordinationsplattform der Partei. Von hier aus verbreiten die Piraten ihre Botschaft: Das Internet bietet Chancen, die Gesellschaft besser zu machen. Nutzt sie, statt garantierte Rechte einzuschränken.

Aber macht eine Botschaft bereits eine Bundestagswahl? Frank Weiler ist vorsichtig optimistisch. Der Kölner, der erst seit einem Monat Politik macht, träumt bereits von großen Erfolgen im September. "Falls wir es schaffen sollten, die fünf Prozent zu knacken und wir in Koalitionsgesprächen gefragt werden - keine Ahnung, was dann passiert? Kommen lassen, wir sind Piraten." Für andere Inhalte sei erst dann die Zeit gekommen, egal ob im Bundestag oder nicht. Immerhin: Bei den Europawahlen holten die Piraten bereits ihr erstes Mandat, in Schweden. Die Bewegung hat inzwischen Anhänger in Ländern auf der ganzen Welt, von Polen bis Peru. Schweden ist das Ursprungsland der Partei.

Man muss manchmal auch an Land kämpfen

Erlebt man die Piraten an diesem Abend, werden Erinnerungen an die Grünen und ihre Anfänge in den 1980er Jahren wach. Die Partei begeistere Menschen, die sich von CDU, SPD und Co nicht mehr vertreten fühle, sagt Frank Weiler. "Und nicht nur Studenten." Das sind auch Politiker wie Jörg Tauss, die bei den Piraten ihre neue Heimat suchen. Der Bundestagsabgeordnete hatte die SPD verlassen, nachdem gegen ihn wegen Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften ermittelt wurde. Oder Bodo Thiesen, ein Parteimitglied, das intern und außerhalb der Partei wegen seiner unscharfen Haltung zum Holocaust kritisiert wird. Probleme werde es immer geben, glaubt Frank Weiler - und dass die Partei sie in den Griff bekommen wird.

Bei den Piraten ist die Partei der Star, nicht einzelne Personen, das wird auch im Bürgerzentrum Ehrenfeld deutlich. Der Abend ist lang und hat manche Länge - am Ende sind dennoch die meisten so enthusiastisch wie zu Beginn. Fast alle haben sich für eine Projektgruppe entschieden, wollen Plakate oder andere Werbestrategien entwickeln. Man muss manchmal auch an Land kämpfen, das wissen auch Piraten - insbesondere, wenn es darum geht, eine Wahl zu gewinnen.

Autor: Michael Borgers

Redaktion: Manfred Götzke