Pfadfinder – ein Leben mit der Natur und in Gemeinschaft
Pfadfinderbünde gibt es weltweit. Allen gemeinsam ist, dass sie gerne in Gemeinschaften viel Zeit in der Natur verbringen und von ihr lernen wollen. Deutschland hat historisch bedingt einen Sonderweg eingeschlagen.
Der berühmteste unter ihnen ist wohl der Astronaut Neil Armstrong, der erste Mann auf dem Mond. Aber auch viele andere Prominente waren in ihrer Jugendzeit bei den Pfadfindern*, unter anderen der Fußballer David Beckham und der Mitgründer des Microsoft-Unternehmens Bill Gates. Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Weltweit gibt es heute rund 50 Millionen Pfadfinderinnen und Pfadfinder auf allen Kontinenten. Deutschland kommt auf etwa 500.000 Mitglieder, die sich in verschiedene Bünde Bund, Bünde (m.) hier: ein Verband aufteilen. Die neunjährige Marie, leidenschaftliche Pfadfinderin aus Heiligenhaus in der Nähe von Düsseldorf, zählt drei von ihnen auf:
„Es gibt drei große, so riesige Verbünde. Und dann gibt’s den BDP, dann gibt’s den VCP, dann gibt’s den DPSG.“
Ihre Mutter Silke erklärt, was hinter den Abkürzungen steckt:
„Also der DPSG ist von der katholischen Kirche initiiert, der VCP ist evangelisch und der Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder ist quasi interkonfessionell.“
Traditionell die größten Pfadfindergruppen stellen die katholischen und evangelischen Kirchen: die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) ist der größte katholische Pfadfinderverband, der Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) der größte evangelische. Der dritte Verbund, der BDP, ist interkonfessionell, kirchlich ungebunden. Die Kirchen gaben den Anstoß dazu, initiierten sie. Das liegt daran, dass die Kirchen zur Nachwuchspflege schon immer in der Kinder- und Jugendarbeit tätig waren, über ausreichend Finanzmittel verfügen und durch die Räumlichkeiten in ihren Einrichtungen auch logistische logistisch hier: organisatorisch Vorteile haben. Andere Gruppen müssen sich um Sponsoren Sponsor, -en/Sponsorin, -nen jemand, der jemanden/etwas finanziell unterstützt kümmern, um ihr Vereinsleben und ihre Jugendaktivitäten zu realisieren. Zusammen kommen die drei großen Verbünde auf etwa 220.000 Mitglieder. Das ist aber längst nicht alles, betont Maries Vater Stephan, ebenfalls Pfadfinder:
„Es gibt bundesweit über 300 Pfadfinderbünde, und die Gruppen ordnen sich dann irgendwo einer Gruppe zu oder entwickeln was Eigenes. Das ist ’ne Besonderheit in Deutschland.“
Zwar gibt es unter den Pfadfinderinnen und Pfadfindern viele Christen, Pflicht ist das aber nicht. Ziele und Regeln legen die einzelnen Gruppen selber fest. Silke und Stephan gründeten zusammen mit Freunden 2017 in Heiligenhaus etwas Eigenes, eine eigene interkonfessionelle Pfadfindergruppe: den ‚Stamm Eisvogel Heljens‘. Wie es zu dem Namen und dem Wappen Wappen, - (n.) ein Zeichen, das für etwas/jemanden symbolisch ist tier, dem Eisvogel, einem Vogel mit bunt schillerndem bläulichem Gefieder, kam, erklärt Silke:
„Wir haben hier in Heiligenhaus einen See und da gibt’s tatsächlich ein Brutpaar von Eisvögeln, und da wir ja was mit Natur haben, fand ich die Idee mit dem Eisvogel gut und hab das quasi in unsere Gründungssitzung eingebracht. Dann hab ich gesagt, ‚Eisvogel‘ fänd ich schön. Dann hat jemand gesagt, wir haben ja auch was mit Heiligenhaus zu tun – also ‚Heljens‘ ist der alte Name für ‚Heiligenhaus‘ – und deswegen sollte das rein. Und das Wappen ist im Endeffekt ’n angelehntes Wappen ans Heiligenhausener Wappen. Und so hab ich dann verschiedene Entwürfe quasi gemacht und die haben wir dann ganz basisdemokratisch unter den damaligen Mitgliedern abgestimmt. Und dabei ist das dann rausgekommen.“
Alle haben ein Mitsprachrecht, gemeinsam wird entschieden. Es geht basisdemokratisch zu – von der Namensgebung über Wanderziele bis hin zu dem, was die Kinder spielen wollen. Das ist oft anstrengend, lehrt aber schon früh, die eigene Meinung zu vertreten und mit Misserfolgen umzugehen. Entscheidend bei allen Pfadfindergruppen in Deutschland ist das Prinzip ‚Jugend führt Jugend‘, das heißt, Mitglieder, die älter sind als 25 Jahre, haben nur eine begleitende Funktion als Ratgeber. Den Ton und die Richtung geben die Jüngeren an.
Mitglieder einer Pfadfindergruppe treffen sich regelmäßig jede Woche, am liebsten natürlich draußen, wenn es das Wetter erlaubt. Vor allem die Kinder und Jugendlichen lernen, wie man sich in der Natur mit einfachen Mitteln zurechtfindet, improvisiert. Auch wie man Hindernisse überwindet und Kameradschaft praktiziert, füreinander da ist und weiß, wie man sich in der Gemeinschaft so verhält, dass alle davon profitieren. Außerdem werden regelmäßig Ausflüge unternommen, zu Fuß oder mit dem Kanu Kanu, -s (n.) ein leichtes Boot mit einem Paddel, einer Stange mit einem dünnen Holzbrett an einem oder an beiden Enden , geschlafen wird in speziellen Zelten, in denen man auch Feuer machen und im Winter übernachten kann. Am Lagerfeuer Lagerfeuer, - (n.) das offene Feuer im Freien, das man anzündet, z. B. um zu grillen werden Lieder gesungen und Geschichten erzählt, eine Gitarre ist fast immer dabei. Im Zentrum steht das Gemeinschaftserlebnis in der Natur. Neben dem Abenteuer im Freien übt gerade dieses Miteinander auf viele Kinder eine besondere Anziehungskraft aus, wie der 13-jährige Tobias deutlich macht:
„Also ich war beim ‚40 Jahre BdP‘ dabei, das ist so ’ne Art Zeltlager, wo halt 40 Jahre Bestehen des BDPs gefeiert wurden. Und mir [hat] das da so viel Spaß gemacht mit den ganzen Pfadfindern so, und ich fand halt die Kameradschaft so toll. Deshalb, als dann der Papa vorgeschlagen hat, hier ’n Stamm aufzumachen, war ich dann halt begeistert und hab dann halt mitgemacht.“
In der Gruppe trägt jeder einen Spitznamen Spitzname, -n (m.) Name für eine Sache oder Person, der eine besondere Eigenschaft der Sache/Person beschreibt und auch sonst gibt es viele ganz spezielle Pfadfinderbegriffe. Kinder von sieben bis elf Jahren heißen ‚Wölflinge‘, zusammen bilden sie eine ‚Meute‘. Die 11- bis 15-Jährigen sind die eigentlichen Pfadfinder. Gemeinsam sind sie eine ‚Sippe‘. Ab 16 Jahren kann man ein ‚Ranger Rover‘ werden. Und alle Mitglieder einer Gruppe zusammen bilden einen Stamm – so wie der ‚Eisvogel Heljens‘. Mit Besinnung auf die alten Germanen hat das nichts zu tun, erklärt Stephan, der den Spitznamen „Pfau Pfau, -e[n] hier: der männliche Vogel, dessen aufgerichtete Schwanzfedern sich durch augenähnliche Flecken kennzeichnen “ trägt:
„Der Begriff ‚Sippe‘ und ‚Stamm‘, was ja sehr indianisch klingt, kommt tatsächlich – also wieder ’ne Besonderheit in Deutschland, das gibt’s nur in Deutschland und ein bisschen in Österreich – aus der Reformpädagogik, der ‚Woodcraft-Bewegung‘ in Amerika, schwappte das in der Gründerzeit der Pfadfinderei nach Deutschland. Das fanden die damaligen Pfadfinder ganz entspannend, um sich ’n bisschen von dem damals noch eher militärischen Stil der Pfadfinder abzugrenzen, und da hat eben die Sippe, der Stamm von dieser ‚Woodcraft-Bewegung‘ aus Amerika, die auch sehr wald- und naturorientiert war, die Idee übernommen von der Namensgebung her.“
Mit den Ureinwohnern Amerikas, den Indianern, haben die Begriffe nichts zu tun, sondern mit einer Bewegung, die in den USA entstand: Woodcraft. Sie orientierte sich an der Reformpädagogik, einer „Erziehung vom Kind her“. Es wurde Wert gelegt auf eine größere Eigenständigkeit der Kinder, Erwachsene sollten eher Förderer und Begleiter sein. Der US-Amerikaner Ernest Thompson Seton übertrug dieses Konzept, indem er zur Basis seiner Bewegung das direkte Erleben der Natur in Zeltlagern machte, ergänzt durch das Erlernen handwerklicher Fertigkeiten. Diese Bewegung schwappte später auch nach Deutschland, übertrug sich.
Unterscheiden wollte sie sich vom eher militärisch orientierten Pfadfindertum des englischen Generals Robert Baden-Powell, der 1907 mit 20 Jungen auf eine Insel im Ärmelkanal Ärmelkanal (m., nur Singular) die enge Stelle des Meeres (des Atlantiks) zwischen Großbritannien und dem europäischen Festland gefahren war, und ihnen beibrachte, sich in der freien Natur selbst zurechtzufinden. In Deutschland gab es Anfang des 20. Jahrhunderts bereits andere Jugendbünde mit deutlicher Naturliebe, vor allem die „Wandervogel-Bewegung“. Nach 1933 wurden diese Gruppen fast alle im Rahmen der sogenannten ‚Gleichschaltung Gleichschaltung (f., nur Singular) die Reorganisation aller Bereiche von Politik, Gesellschaft und Kultur nach der Vorstellung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 ‘ verboten. Übrig blieb nur die Hitlerjugend Hitlerjugend (f., nur Singular) die Jugendorganisation während der Zeit des Nationalsozialismus . Nach dem Zweiten Weltkrieg erwachten die Pfadfinder in Deutschland zu neuem Leben.
Wer sich dafür entscheidet, Pfadfinder zu werden, hat Gelegenheit, sich zunächst mal einzugewöhnen. Den Abschluss bildet ein Aufnahmeritual, das Pfadfinderversprechen, das auch Marie abgelegt hat:
„Ich will ein guter Freund sein und unsere Regeln achten. Ein Wölfling nimmt Rücksicht auf andere, ein Wölfling hilft, wo er kann.“
Zueinander stehen, sich für die Gesellschaft einsetzen und kritisch und zuverlässig sein, das ist gewissermaßen eine demokratische Grundausbildung – eine Ausbildung, die allen Spaß macht.
Pfadfinder – ein Leben mit der Natur und in Gemeinschaft
Bund, Bünde (m.) — hier: ein Verband
logistisch — hier: organisatorisch
Sponsor, -en/Sponsorin, -nen — jemand, der jemanden/etwas finanziell unterstützt
Wappen, - (n.) — ein Zeichen, das für etwas/jemanden symbolisch ist
Kanu, -s (n.) — ein leichtes Boot mit einem Paddel, einer Stange mit einem dünnen Holzbrett an einem oder an beiden Enden
Lagerfeuer, - (n.) — das offene Feuer im Freien, das man anzündet, z. B. um zu grillen
Spitzname, -n (m.) — Name für eine Sache oder Person, der eine besondere Eigenschaft der Sache/Person beschreibt
Pfau, -e[n] — hier: der männliche Vogel, dessen aufgerichtete Schwanzfedern sich durch augenähnliche Flecken kennzeichnen
Ärmelkanal (m., nur Singular) — die enge Stelle des Meeres (des Atlantiks) zwischen Großbritannien und dem europäischen Festland
Gleichschaltung (f., nur Singular) — die Reorganisation aller Bereiche von Politik, Gesellschaft und Kultur nach der Vorstellung der Nationalsozialisten im Jahr 1933
Hitlerjugend (f., nur Singular) — die Jugendorganisation während der Zeit des Nationalsozialismus