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Pandoras Büchse - geöffnet

Rolf Wenkel30. Oktober 2015

Das EU-Parlament lässt sich als Retter der Netzneutralität feiern – niemand dürfe sich im Netz Vorfahrt erkaufen, heißt es. Doch Telekom-Chef Tim Höttges liest etwas ganz anderes in den neuen Regelungen.

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Tim Höttges Telekom
Bild: picture-alliance/dpa

Kaum hat das EU-Parlament die schwammigen Regelungen zur Netzneutralität verabschiedet, die Tinte ist sozusagen noch nicht richtig trocken, schon macht die Deutsche Telekom klar, wie sie diese Regelungen interpretiert. Startups zum Beispiel sollten sich gegen eine Umsatzbeteiligung Spezialdienste sichern, um mit Google & Co. mithalten zu können. "Ein paar Prozent vom Umsatz", schreibt Telekom-Chef Tim Höttges im Telekom-Blog, seien "ein fairer Beitrag für die Nutzung der Infrastruktur".

Genau das haben die Kritiker der schwammigen EU-Regeln befürchtet. "Es darf keine mittelstands- und innovationsfeindliche Umsetzung der EU-Verordnung zur Netzneutralität geben", sagt der netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Klingbeil, am Freitag in Berlin. "Da wird es auch mit der Telekom zu schwierigen Gesprächen kommen." Thomas Jarzombek, der netzpolitische Sprecher der Unionsfraktion, kritisiert, die von der Telekom beschriebenen Bereiche entsprächen nicht den Spezialdiensten, wie sie von der EU definiert wurden.

Was sind "Spezialdienste"?

Das EU-Parlament hat mit einem Gesetzespaket zum digitalen Binnenmarkt am Dienstag auch umstrittene Regeln zur Netzneutralität beschlossen. Demnach müssen Netzbetreiber die Datenpakete zwar gleich behandeln und schnellstmöglich transportieren. Formal heißt es weiterhin, dass sich niemand eine Vorfahrt im Netz erkaufen dürfe. Doch lassen die neuen Regeln eine Hintertür für "Spezialdienste" mit bestimmten Qualitätsanforderungen offen, ohne dass diese näher definiert werden.

Telekom-Chef Tim Höttges Argumentation im Telekom-Blog kommt anfangs ganz harmlos daher. So fasst er fasst den Begriff "Spezialdienste" sehr weit: "Das fängt bei Videokonferenzen und Online-Gaming an und geht über Telemedizin, die automatisierte Verkehrssteuerung und selbststeuernde Autos bis zu vernetzten Produktionsprozessen der Industrie." Teilweise, so Höttges, stellten diese Dienste erhöhte Qualitätsanforderungen. "Eine Videokonferenz sollte beispielsweise auch zu Stoßzeiten im Netz nicht ins Stocken geraten. Deshalb muss die Möglichkeit bestehen, dass die Daten empfindlicher Dienste im Stau Vorfahrt bekommen."

"Gegner von Spezialdiensten behaupten, kleine Anbieter könnten sich diese nicht leisten", schreibt Höttges weiter. Dabei sei genau das Gegenteil richtig: Gerade Start-Ups brauchten Spezialdienste, um mit den großen Internetanbietern überhaupt mithalten zu können. Google und Co. könnten sich weltweite Serverparks leisten, kleine Unternehmen nicht.

"Fairer Beitrag"

Und da bietet die Telekom doch nur allzu gerne ihre Hilfe an: "Nach unseren Vorstellungen bezahlen sie dafür im Rahmen einer Umsatzbeteiligung von ein paar Prozent. Das wäre ein fairer Beitrag für die Nutzung der Infrastruktur. Und es sorgt für mehr Wettbewerb im Netz."

Netzaktivisten und Wirtschaftsverbände hatten gegen diese Aufweichung der Netzneutralität bereits im Vorfeld protestiert. Sören Bartol, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, kritisierte, die Telekom definiere nun auch gängige Anwendungen wie Videokonferenzen und Online-Gaming als Spezialdienste. Dies sei selbst in der EU-Verordnung nicht so festgeschrieben.

Thomas Jarzombek, der netzpolitische Sprecher der Unionsfraktion, fordert, Bundestag und Bundesnetzagentur müssten nun als zuständige Regulierungsbehörde ausloten, wie die "weißen Flecken" in Sachen Netzneutralität in Deutschland auszufüllen seien. Er machte sich dafür stark, dass Startups kostenlos Zugang zu der Infrastruktur bekämen und die Kunden letztlich für die darauf aufsetzenden Dienstleistungen bezahlen sollten.

Konsens im Minenfeld?

Höttges bezeichnete den ausgehandelten Vorschlag von EU-Kommission, Rat und Parlamentsvertretern als Kompromiss, der durchaus ausgewogen sei. Seinen Blog-Eintrag überschreibt er mit "Netzneutralität - Konsensfindung im Minenfeld". Und das hat er ganz offenbar schon betreten. So sorgte die Nachricht von Höttges Vorstoß allein auf den Online-Seiten des Computerzeitschriften-Verlages Heise.de für über 670 Kommentare. Überwiegender Tenor: Die Argumente der Telekom seien scheinheilig und konstruiert.

Ein Telekom-Sprecher bemühte sich indessen, die Wogen wieder etwas zu glätten. Er sagte, es gebe keine neuen oder aktuellen Pläne, "Startups zur Kasse zu bitten". Der Vorschlag Umsatzbeteiligung "zielte lediglich auf die Sorge der Netzgemeinde, große Wettbewerber könnten sich durch ihre finanzielle Stärke Vorteile gegenüber kleineren erkaufen".