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Politik

Pandora Papers belasten politische Klasse in Lateinamerika 

Gabriel González Zorrilla
5. Oktober 2021

Die Pandora Papers bringen gleich mehrere amtierende Präsidenten in der von Ungleichheit geprägten Region in Erklärungsnot. Das Verhalten der politischen Eliten werde sich aber kaum ändern, glauben Beobachter. 

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Sebastian Pinera (l.), Guillermo Lasso, Luis Abinader
Gleich drei amtierende Präsidenten in Bedrängnis (v.l.): Sebastián Piñera (Chile), Guillermo Lasso (Ecuador) und Luis Abinader (Dominikanische Republik).

Die Veröffentlichung der Pandora Papers bedeutet einen politischen Tsunami für die Eliten Lateinamerikas. Keine andere Region der Welt ist in dem bis dato größten Datenleck über sogenannte Steueroasen so prominent vertreten wie Lateinamerika. Annähernd hundert politische Amtsträger aus 18 Ländern der Region werden mit Offshore-Geschäften in Verbindung gebracht, also Finanztransaktionen an einem Standort, der nicht der Gesetzgebung des eigentlichen Heimatlandes unterliegt.  

Diese Praktiken scheinen sogar in den allerhöchsten Ebenen der politischen Eliten Lateinamerikas verbreitet zu sein. Von den insgesamt 35 amtierenden oder ehemaligen Präsidenten, deren Namen in den geleakten Dokumenten auftauchen, stammen 14 aus Lateinamerika. Besonders unangenehm dürften die aktuellen Enthüllungen für drei amtierende Präsidenten sein: den chilenischen Präsidenten Sebastián Piñera, dem ecuadorianischen Präsidenten Guillermo Lasso, und Luis Abinader, Präsident der Dominikanischen Republik.  

Veröffentlicht wurden das neue 2,9 Terrabyte schwere Datenleak vom International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ), einem internationalem Netzwerk investigativer Journalisten.  

Im Gespräch mit der DW betont Ewald Scharfenberg, venezolanischer Journalist und Mitglied des ICIJ, die Bedeutung dieser Enthüllungen für Lateinamerika: "In einer von Ungleichheit geprägten Region belegen diese Dokumente die Kluft zwischen den normalen gesetzestreuen Bürgen und denjenigen, die sich Zugang zu Steueroasen verschaffen und für ihre Zwecke nutzen". Aber gerade weil ein großer Teil der politischen Elite in diese Praktiken involviert sei, sei die Wahrscheinlichkeit, dass die politische Oberschicht Maßnahmen gegen diese "Schatten-Ökonomie" ergreife, gering, so das Fazit des Investigativjournalisten.   

Infografik Pandora-Paper Karte DE

Transparenz predigen, Gelder verstecken 

Die Skepsis des Journalisten Scharfenberg ist sicher nicht unbegründet. Anfang August dieses Jahres saßen die beiden prominentesten Pandora-Sünder Lateinamerikas, Chiles Sebastian Piñera und Ecuadors Guillermo Lasso, der Presse gemeinsam Rede und Antwort. Auf die Frage nach Steueroasen tönte Piñera vollmundig, dass er für die Abschaffung aller Steueroasen sei, da sie oft für illegale Machenschaften, moralisch dubiose Geschäfte oder Steuerhinterziehung genutzt würden. Er sei davon überzeugt, dass "Steuerparadiese verschwinden sollten, damit internationale Finanztransaktionen transparenter werden". Der Gesichtsausdruck des stillen Zuhörers Lasso blieb dabei offen für Interpretationen.

Präsident Piñera, einer der reichsten Menschen Chiles, bestritt umgehend, Gesetze gebrochen zu haben. Laut den Pandora Papers war die Familie des Politikers der größte Anteilseigner des umstrittenen Bauprojekts Dominga im Norden des Landes. Seine Söhne und seine Gattin verwalteten das familiäre Familienvermögen auf den Virgin Islands, die auch als Steuerparadies gelten. In einer Erklärung betonte der Milliardär, er sei an den fraglichen Transaktionen weder beteiligt noch darüber informiert gewesen.  

Auch Ecuadors Präsident Guillermo Lasso betonte umgehend über Twitter seine Unschuld. Er würde keine Immobilien in Steueroasen besitzen. Sein umfangreiches Vermögen sei das Ergebnis seiner Tätigkeit bei der Banco de Guayaquil, deren größter Anteilseigner er ist.  

Keine Überraschung 

Was derzeit über Lateinamerika bekannt werde, sei keine Überraschung - auch nicht für die dortigen Bürger, so Günther Maihold, stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin mit Forschungsschwerpunkt Lateinamerika: "Die politischen Eliten der Region haben schon immer ihre finanziellen Chancen im Ausland gesucht und nicht im Inland."  

Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik
Konsequenzen eher unwahrscheinlich, meint Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und PolitikBild: DW

Auch Sabine Kurtenbach vom GIGA-Institut für Lateinamerika-Studien in Hamburg zeigt sich alles andere als überrascht. Die Verquickung zwischen politischem Amt und privaten Geschäften sei in Lateinamerika weit verbreitet. "Letztlich hängen Dinge wie Transparenz und Rechenschaftspflicht von den Machtverhältnissen zwischen den jeweiligen Eliten, der Zivilgesellschaft und der Justiz ab", so Kurtenbach. Nur eine starke Zivilgesellschaft und eine unabhängige Justiz könnten dafür sorgen, dass sich die politische Elite an geltende Gesetze hält.   

"Für meine Freunde alles, für meine Feinde das Gesetz" 

Es sei nicht immer klar zu trennen, ob diese oder jene Praxis legal oder illegal sei, so Maihold und Kurtenbach übereinstimmend. Es dürfte sich in vielen Fällen aber um Gelder handeln, die bewusst am Fiskus vorbeigeschleust wurden, glauben die Experten. Die Steuerbehörden in den jeweiligen Ländern müssen nun eine schiere Unmenge an Dokumenten auf Straftatbestände prüfen. Das Problem dabei ist, dass viele Wege, die das Geld nimmt, zunächst legal sind oder scheinen, dank Gesetzen, die die entsprechenden Politiker selbst befördert oder sogar beschlossen haben. 

Deutschland Prof. Sabine Kurtenbach vom GIGA Institut für Lateinamerika-Studien
Es kommt auf die Machtverhältnisse an, betont Sabine Kurtenbach vom GIGA Institut für Lateinamerika-StudienBild: GIGA/B. Rostami

"Für meine Freunde alles, für meine Feinde das Gesetz", ist ein Ausspruch, der dem ehemaligen brasilianischen Präsidenten Getulio Vargas zugeschrieben wird, der aber auch zu vielen anderen lateinamerikanischen Präsidenten passen würde, meinen sowohl Kurtenbach als auch Maihold.  

Schwache demokratische Institutionen 

Lateinamerika erlebe gerade einen dramatischen Rückschritt in den Bereichen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, so Kurtenbach. "Die Gesetze werden nur angewandt, wenn man sie politisch instrumentalisieren kann-" Um dies zu ändern, bräuchte es einen Wandel bei Bildungschancen und dem Abbau der sozialen Ungleichheit.   

Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre könne es durchaus sein, dass es nun in einzelnen Ländern zu Steuerverfahren und auch zu Steuernachzahlungen komme, erklärt Maihold. Massive Verurteilungen oder strafrechtliche Konsequenzen seien eher unwahrscheinlich. Hier liege, so Maihold, das Grundproblem: "Eine Autonomie des Rechts wird in Lateinamerika weitgehend nicht anerkannt." Eine Besserung würde erst eintreten, wenn die Wähler in Lateinamerika wieder mehr Vertrauen in die Institutionen und nicht nur in Personen zeigten.