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Film

Widerstand im Rückblick

Emir Numanovic Wien
22. Oktober 2019

Partisanenfilme, die Jahrzehnte lang in Osteuropa gedreht wurden, behandeln Werte, die es heute wieder zu entdecken gilt. Dies zu zeigen, ist eines der Ziele des Filmfestivals "Pan-Europäischer Partisanenfilm" in Wien.

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Yul Brynner in der Rolle eines jugoslawischen Partisanen im Film "Die Schlacht an der Neretva"(1969)
Yul Brynner in der Rolle eines jugoslawischen Partisanen im Film "Die Schlacht an der Neretva"(1969)Bild: Imago Images/United Archives

"Die europäischen Staaten zementieren derzeit ihre nationalen Grenzen, sie trennen ihre europäischen Nachbarn und Bürger in Gute und Schlechte, Einwanderer in Erwünschte und Unerwünschte, und sehen dabei zu, wie Verfolgte im Mittelmeer versinken", stellt Miranda Jakiša fest, Slawistikprofessorin an der Universität in Wien. "Wir scheinen die Werte Europas der Nachkriegszeit vergessen zu haben, denn von einem Miteinander und von einem Nie-wieder-Ausschluss-und-Verfolgung bestimmter Gruppen, kann gegenwärtig nur bedingt die Rede sein. Diese Werte gilt es wieder zu entdecken und über den europäischen Partisanenfilm geht das wunderbar", sagt Jakiša.

Sie forscht seit gut zehn Jahren zum Thema Partisanenfilm und Partisanenliteratur und veranstaltet nun gemeinsam mit dem Österreichischen Filmmuseum eine öffentliche Vortragsreihe unter dem Titel "Osteuropäischer Partisanenfilm - Widerstand im Rückblick". Die Veranstaltungen an der Wiener Uni sind als Parallelprogramm zur diesjährigen Viennale-Retrospektive "O partigiano! Paneuropäischer Partisanenfilm" konzipiert .

Miranda Jakiša Professorin Uni Wien
Miranda JakišaBild: DW/E. Numanovic

Fasziniert von dem Potential der Solidarität

"Die Seminare zum Thema Partisanenfilm haben stets großen Anklang gefunden. Die Partisanen begeistern viele Studierende heute, deren Eltern keine aktive Erinnerung an die Folgen des Zweiten Weltkriegs haben. Sie fasziniert, warum Menschen selbstlos und ohne Rücksicht auf persönliche Verluste Widerstand leisteten. Junge Menschen interessiert das Potential und die Aufbruchstimmung eines solidarischen Miteinanders, das für die Partisanen, für alle Widerstandbewegungen im faschistisch geknechteten Europa, so zentral war", erklärt Jakiša. "Ebenso interessiert sie, wie Kunst ideologisch in den Dienst genommen werden kann. Die Partisanenfilme tragen diese produktive Spannung in sich."

Durch die Wiederentdeckung und Diskussion der Partisanenfilme wollen die Organisatoren Miranda Jakiša und Jurij Meden ein Stück vergessener Filmgeschichte, aber auch vergessener Geschichte rekonstruieren. Dem Österreichischen Filmmuseum ist es, so Jakiša, unter beachtlichem Aufwand gelungen, Partisanenfilme aus Archiven zu heben, die fast niemand, nicht einmal Filmexperten kannten. Darunter sind einige Filme aus Staaten, die es heute nicht mehr gibt, wie etwa Sowjetunion, Jugoslawien und Tschechoslowakei, aber auch Filme aus Italien, Albanien, Frankreich, Dänemark oder Norwegen.

"Keine Relativierung des Bösen"

Buchautorin Olja Alvir lebt seit ihrer Kindheit in Wien, ihre Eltern sind ursprünglich aus Bosnien vor dem Krieg geflohen. Sie bezeichnet sich als "Jugošlawienerin", und bekundet so ihre Sympathie zu einem Staat, der seine Existenz auf das Miteinander aller seiner Völker und Volksgruppen gründete und von sich behauptete im antifaschistischen Kampf entstanden zu sein.

Olja Alvir
Olja AlvirBild: Privat

"Der Partisanenfilm legt stark den Fokus auf das Gemeinsame. Die Motive der gemeinsamen Bewegung, wie etwa Märsche oder Flucht, sind durchgehend positiv dargestellt, was ja vom aktuellen Diskurs meilenweit entfernt ist. Und es gibt im PartisanInnenfilm keine Relativierung des Bösen. Die Antihelden sind nicht heimlich doch irgendwie cool oder gar anziehend", erklärt Alvir.

Als Professorin an der Wiener Universität sieht es Miranda Jakiša als ihre Aufgabe, Studierende über die Auseinandersetzung mit Forschungsgegenständen im kritischen Denken zu schulen und dabei den Blick für die Gegenwart zu behalten. In der Diskussionsreihe wird über einzelne nationale Filmkontexte sowie über spezielle Filme und einzelne Regisseure gesprochen.

Von der Kriegsverarbeitung bis zu Nationalmythen

Was die künstlerische Darstellung des Widerstands im Zweiten Weltkrieg im Film betrifft, so ist diese so facettenreich wie der Widerstand selbst. Die Darstellung des italienischen Resistenza unterscheidet sich von der Darstellung des Widerstands in der Sowjetunion oder der Darstellung der französischen Resistance. Und Filme aus den 1980er Jahren haben unter Umständen nicht mehr viel mit denen aus den 1940er gemein.

Und auch die Funktion der Partisanenfilme war vielfältig, erklärt Jakiša. Hatte in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg der Partisanenfilm oft der Trauma- und Kriegsverarbeitung gedient, so ge- und missbrauchte man ihn später auch zur Festigung von nationalen Gründungsmythen. Er diente dem Weißwaschen eigener Geschichte ebenso wie in späteren Jahrzehnten der Kritik an der eigenen Gegenwartsgesellschaft.

Plakat zu der Retrospektive der Partisanen-Filme in Wien
Retrospektive der Partisanen-FilmeBild: Arkivi Quendror Shteteror i Filmit

Das Gros der Partisanenfilme, das auf der Viennale 2019 gezeigt wird, kommt aus dem ehemaligen Ostblock, aus Jugoslawien, aber auch der Sowjetunion. Hier hat der ansonsten in jeder Hinsicht ‚besiegte Osten‘ in atmosphärischer Hinsicht vielleicht einmal etwas zu bieten, worauf man bei aller kritischen Distanz zur dargestellten Geschichte auch stolz sein könnte, lacht Jakiša.

Ein gemeinsames europäisches Kino

Bei einem systematischen Blick auf das Gemeinsame aller Filme, auf den Widerstand gegen den Faschismus in Europa, stellt sich auch die Frage, so Jakiša, ob der Partisanen- oder Widerstandsfilm ein gemeinsames europäisches Kino erst etabliert hat. Hier kann man in jedem Fall sehen, dass europäische Nachkriegswerte in diesen Filmen nicht nur zum Ausdruck kommen, sondern auch durch die Filme mit geschaffen wurden.

"Die europäischen Partisanenfilme führen uns zurück in eine Zeit, in der man einen Faschisten noch ungestraft einen solchen nennen konnte. In unserer Gegenwart klagt stattdessen ein Höcke vor Gericht, Neonazi genannt zu werden", sagt Jakiša.

In diese Richtung blickt auch die jüngere Generation in die Zukunft, meint Olja Alvir. "Im PartisanInnenfilm stellen jene, die sich marschierend und fliehend bewegen, nicht etwa eine Bedrohung oder Invasion dar. Sie sind die HoffnungsträgerInnen und die ArchitektInnen einer idealistischen Zukunft. Von so einem Bild von Geflüchteten beziehungsweise Dislozierten können wir heute profitieren", sagt Alvir.

In einer Zeit, in der protofaschistische Politik Konjunktur hätte, sei es wichtig, heilsam und auch inspirierend, sich einer Kunst zu widmen, die noch hoffnungsvoll in eine gemeinsame Zukunft blickte, in der alle willkommen waren – auch Flüchtlinge.

 

Die Vortragsreihe zum Thema Partisanenfilm beginnt an der Wiener Uni am 23. Oktober, zeitgleich mit der Viennale-Retrospektive "O Partigiano!", ab 24. Oktober.

Link zur Vortragsreihe: "Osteuropäischer Partisanenfilm - Widerstand im Rückblick"

Der Link zur Viennale