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Habt keine Angst!

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Juri Rescheto
25. August 2015

20 Jahre soll der ukrainische Filmemacher Oleg Senzow wegen angeblicher terroristischer Aktivitäten in eine Strafkolonie. Skandalös - finden Menschenrechtler. Treffer, versenkt – findet Juri Rescheto.

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Russland Ukraine Regisseur Oleh Senzow Verhaftung auf der Krim
Bild: DW/I. Khoroshylov

“Russen, lernt es, keine Angst zu haben!” - appelliert der Ukrainer Senzow in seinem letzten Wort an das einstige Brudervolk. Victory-Zeichen in die Kameras, selbstbewußtes Lächeln, kein Gnadenersuch. Trotz gerichtlicher Niederlage will Senzow kein Verlierer sein. Das gelingt ihm. Im Gegensantz zu den Richtern. Zur russischen Justiz.

Oleg Senzow wird im Mai 2014 verhaftet. In seiner Heimat. Auf der Krim. Er will nicht, dass die Halbinsel russisch wird. Er will dagegen protestieren. So wie er Monate zuvor auf dem Maidan in Kiew gegen den moskautreuen Präsidenten Janukowitsch protestierte. Damals brannten Autoreifen. Menschen starben. Die Protestbewegung siegte. Diesmal brennt ein Fenster in der Regionalzentrale der russischen Partei “Einiges Russland”. Die Polizei verhaftet mehrere Männer. Darunter Senzow.

Aus Sachschaden wird Terrorismus

Zuerst geht es um einen einfachen Sachschaden. Zehn Tage später ändert sich jedoch die Anklage: Terrorismus. Die Lage wird ernst für Senzow. Sehr ernst. Die Ermittler stützen sich auf die Aussage eines Mitangeklagten, der die Brandstiftung gesteht. Später zieht der Mann sein Geständnis zurück. Ein Geständnis, das von ihm unter Folter erzwungen wurde, sagt er. Auch Senzow behauptet, geschlagen worden zu sein. Und zeigt seine Wunden. Das Gericht verhöhnt ihn: der Ukrainer habe sich selbst verletzt. Aus Masochismus.

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Juri Rescheto, DW-Studio Moskau

Ein Jahr lang wird ermittelt. Die Anzahl der Zeugen steigt und mit ihr die Härte der Vorwürfe. Senzow soll vom in Russland verbotenen ukrainischen “Rechten Sektor” einen geheimen Auftrag erhalten haben, auf der Krim eine terroristische Vereinigung zu bilden. In seinem Haus werden Filme konfisziert, die Senzows ultra-rechte Ansichten belegen sollen: “Der gewöhnliche Faschismus” und “Das Dritte Reich in Farbe.” Dass es sich dabei um berühmte antifaschistische Werke handelt, interessiert die Behörden erst gar nicht. Erst später schafft es die Verteidigung, die Filme als Beweise gegen Senzow auszuschließen.

Vermeintliche Indizien

Ähnlich verhält es sich mit anderen Indizien. Niemand von den geladenen Zeugen kann auch nur ein Wort zu der vermeintlichen terroristischen Vereinigung beitragen, so dass Senzows Verteidiger Samochin von einer künstlich konstruierten Anschuldigung spricht. Der Anwalt eines anderen Angeklagten nennt den Fall eine “Mischung aus Fälschungen”, die “als eines der peinlichsten Kapitel der russischen Rechtssprechung in die Geschichte eingehen werden.”

Trotzdem wird Senzow verurteilt. 20 Jahre Strafkolonie. Für ein verbranntes Fenster. Zum Vergleich: ein Neo-Nazi von der russischen Rechtsradikalen-Bande BORN erhielt 24 Jahre für elf Morde. Das Gericht bleibt noch unter der Forderung des Staatsanwaltschaft von 23 Jahren und fällt ein “milderes” Urteil.

Angst vor der Zukunft in Russland

"Schaut her", laute die Botschaft - "wer dagegen ist, wird bestraft," sagen Menschenrechtsaktivisten. Wer es wage, gegen die Annektierung der Krim zu protestieren, müsse zahlen. Viel. Sehr viel.

Wenn die Richter genau das bezweckten, haben sie sich vertan. Zu drakonisch ist die Strafe, zu dünn die Beweislage, zu offensichtlich der Schauprozess. Nicht die Zerstörung einer Existenz wird die Russen davon abschrecken, gegen die bestehenden Gesetze zu protestieren und gegen diejenigen, die sie erfinden. Diese Art der Abschreckung wäre nämlich gar nicht nötig: nervös werden die Menschen hier, wenn Tonnen von Lebensmitteln generalstabsmäßig zerstört werden, weil sie plötzlich als feindlich gelten. Wenn lebenswichtige Medikamente aus dem Westen verboten werden, auch davon ist mittlerweile die Rede. Wenn ein Unternehmen nach dem anderen schließen muss, weil die Krise nicht bekämpft wird. Wenn zum Erscheinungsbild von Moskau wieder Bettler gehören. Wenn der Rubel weiter stürzt und die Erinnerungen an die 90er Jahre wach werden. Wenn Menschen wieder Angst haben. Angst vor ihrer eigenen Zukunft in Russland.

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Juri Rescheto Chef des DW-Büros Riga