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Thon: Blei in den Füßen

8. Juli 2010

Die meisten deutschen Spieler hätten ihre Normalform im Halbfinale gegen Spanien nicht gebracht, meint Olaf Thon, der WM-Experte der Deutschen Welle im Interview.

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Porträt DW-WM-Experte Olaf Thon. Foto: Olaf Thon
Bild: Olaf Thon

DW-WORLD.DE: Olaf Thon, herrscht bei Ihnen nach dieser 0:1 Niederlage gegen Spanien im Halbfinale der WM auch ein bisschen Katerstimmung?

Olaf Thon: Ein bisschen schon. Das ist, als hätte man zu viel Alkohol getrunken. Im Nachhinein sagt man sich doch: Was wäre gewesen, wenn? Wenn Jogi Löw vielleicht schon nach 30 Minuten erkannt hätte, dass man auf diese Weise ein Spiel nicht gewinnen kann, dass Boateng auf der linken Seite überfordert war, dass vielleicht Philipp Lahm auf der linken Seite besser gewesen wäre, oder dass Jansen schon von Anfang an Druck entwickelt hätte gegen Ramos, um ihn gar nicht dort zur Entfaltung kommen zu lassen. Also viele Fragen und im Nachhinein ist man oft immer schlauer.

Hatten sie nicht auch den Eindruck, als wäre da so etwas wie eine innere Blockade bei den deutschen Spielern?

Schweinsteiger im Zweikampf mit einem spanischen Gegenspieler. Foto: AP
Schweinsteiger in Normalform, die meisten anderen nichtBild: AP

Mehr als das sogar, die hatten Blei in den Füßen. Bis auf Schweinsteiger und Neuer hatte keiner Normalform an diesem Tag. So kann man gegen eine Weltklasse-Mannschaft nicht bestehen. Deswegen wäre es ganz gut gewesen, man hätte spätestens in der Halbzeit etwas geändert, Zeichen gesetzt beim Stand von 0:0, um selber das Heft in die Hand zu nehmen und nicht, wie das Kaninchen vor der Schlange zu warten, bis es gefressen wird. Und Puyol hat ja dann zugeschlagen. Der beste Kopfballspieler der Spanier steht alleine und köpft unbedrängt ein. Schade.

Wo war die Leichtigkeit, die die deutsche Mannschaft bis ins Halbfinale getragen hat?

Ja, wo ist die geblieben? Höchstwahrscheinlich in der Kabine. Angst vor einem großen Titel. Jogi Löw hat mit seinen Mannen bestimmt alles versucht. Aber wenn man auf dem Feld so dominant beherrscht wird, kann man den Schalter nicht mehr umlegen. Da kann man bestenfalls noch einmal versuchen, in der Halbzeit, zwei oder drei Spieler einzuwechseln.

Wäre es denn mit Thomas Müller (der im Halbfinale gesperrt war) anders gelaufen?

Müller bejubelt seinen Treffer im Viertelfinale gegen Argentinien. Foto: AP
Müller fehlteBild: AP

Vielleicht, man weiß es nicht. Müller hat einen Riesenlauf gehabt. Er hat Treffer vorbereitet, vier Tore selbst geschossen. Er ist ein Draufgänger, durch seine Schnelligkeit hätte er vielleicht auf der rechten Seite Löcher gerissen, um dann Klose besser in Szene zu setzen.

Aber man muss auch neidlos anerkennen, dass die Spanier wirklich eine tolle Mannschaft haben.

Ja, mehr als das. Sie haben auch etwas im Team verändert, haben vorne Torres herausgenommen, um dann Villa vorne ins Zentrum zu stellen. Das war eine gute Entscheidung. Pedro kam über die Flügel. Iniesta und Xavi haben immer wieder mit dem Kurzpass-Spiel, dem "Tiki-Taka-Spiel", unsere deutschen Spieler laufen lassen, sodass sie nachher lustlos wirkten und überhaupt nicht in die Zweikämpfe kamen. Und es gab nicht einmal eine einzige gelbe Karte. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass bei uns Blei in den Füßen war.

Was muss Bundestrainer Joachim Löw jetzt machen, um den Frust vor dem Spiel um Platz drei aus den Köpfen der Spieler zu vertreiben?

Sicherlich erst einmal die Wunden lecken. Dann gibt es da auch Spieler, die noch keine Gelegenheit bekommen haben, wie Wiese im Tor oder Aogo und Tasci. Die brennen doch sicher darauf, sich auszuzeichnen. Wichtig ist jetzt auch der gute Abschluss des Turniers, dass man den roten Faden weiter durchzieht, damit nicht die guten Spiele wie gegen Argentinien und England in Vergessenheit geraten. Da bedarf es Konzentration. Miroslav Klose gönne ich noch ein Tor, damit er den WM-Rekord von Ronaldo mit 15 Toren einstellt. Es gibt noch die eine oder andere Aufgabe zu lösen.

Im kleinen Finale heißt der Gegner Uruguay, das ist eine unangenehm zu spielende Mannschaft.

Uruguays Forlan bejubelt seinen Treffer gegen die Niederlande. Foto: AP
Uruguay, kleines Land, große Fußballer wie ForlánBild: AP

Ja, man kann sagen, die sind unangenehm. Uruguay hat nur drei Millionen Einwohner und so viele tolle Fußballer, an erster Stelle Forlan. Aber ich bin mir fast sicher, dass wir das Spiel ganz klar gewinnen und einen tollen Abschluss haben mit Thomas Müller in der Stammformation, mit Miroslav Klose in seinem 102. Länderspiel.

Muss der Bundestrainer jetzt noch einmal seine Taktik ändern gegen so ein Abwehrbollwerk, das die deutsche Mannschaft erwartet?

Das glaube ich nicht. Wir haben ein System, das funktioniert hat bis auf das Spiel gegen die Spanier, wo wir aus der Deckung heraus nicht operieren konnten. Aber sonst war das grandios, was wir gespielt haben. Es gibt keinen Grund, das System zu ändern.

Die Fragen stellte Stefan Nestler.
Redaktion: Sarah Faupel