1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Scholz bei Olympia-Boykott zurückhaltend

8. Dezember 2021

Schließt sich Deutschland dem diplomatischen Boykott der Olympischen Spiele in Peking an, oder nicht? Anders als die USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland zögert die neue Bundesregierung noch.

https://p.dw.com/p/440iQ
China | Logo Olympische Spiele 2022
Bild: Lintao Zhang/Getty Images

"Wir werden Entscheidungen treffen, wenn sie anstehen", sagte der frisch vereidigte Bundeskanzler Olaf Scholz dem Fernsehsender Welt. "Die Olympischen Spiele sind auch immer ein Beitrag für das Miteinander in der Welt." Anders als die Regierungen in den USA, Großbritannien, Australien, Neuseeland und zuletzt auch Kanada, möchte sich die neue Bundesregierung noch nicht festlegen, ob offizielle Regierungsvertreter zu den Olympischen Spielen reisen oder nicht. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sprach sich dagegen aus. "Nein, das ist etwas, was ich sehr skeptisch sehe, dass man Olympische Spiele boykottiert", sagte Klingbeil dem Radiosender ffn. Große Sportereignisse seien aus seiner Sicht immer auch "eine Möglichkeit, gezielt auf kritische, gesellschaftliche Entwicklungen hinzuweisen".

Deutschland | Unterzeichnung Koalitionsvertrag | Olaf Scholz
Der neue Bundeskanzler Olaf Scholz ist noch nicht zu einer Entscheidung in Sachen Olympia-Boykott bereitBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Klare Ansagen aus London und Canberra

Großbritanniens Premierminister war da weniger zurückhaltend. Es handle sich "effektiv um einen diplomatischen Boykott", sagte Boris Johnson im Parlament in London. "Wie ich bereits zuvor sagte, unterstützen wir keinen sportlichen Boykott. Aber es gibt keine Pläne, dass Kabinettsmitglieder die Olympischen Winterspiele besuchen." Ähnlich hatte sich zuvor auch der australische Premier Scott Morrison in Sydney geäußert. Als Grund führte er eine Reihe von Missverständnissen zwischen den Regierungen in Canberra und Peking an, darunter Chinas Kritik an Australiens Entscheidung zur Anschaffung von nukleargetriebenen U-Booten. Seine Regierung, so Morrison, habe wiederum "Menschenrechtsverstöße in Xinjiang und andere Themen" angeprangert, doch habe die chinesische Regierung keine Gesprächsbereitschaft gezeigt.

Scott Morrison, der australische Premierminister, steht vor einer australischen Flagge
Hat keine Probleme damit, die chinesische Führung zu verärgern: Australiens Premier Scott MorrisonBild: Lukas Coch/AP Photo/picture alliance

Einen sportlichen Boykott werde es allerdings nicht geben. Australiens Athletinnen und Athleten sollen - genau wie das britische Team - an den Spielen in Peking teilnehmen. "Australien ist eine große Sport-Nation, aber ich halte Fragen des Sports und der anderen politischen Angelegenheiten sehr wohl auseinander", betonte Morrison.

Wie schon zuvor bei der Boykott-Ankündigung der USA reagierte Chinas Führung mit massiver Kritik auf die Entscheidung in Down Under. "Die australische Regierung folgt bestimmten Ländern blind, so dass es richtig nicht von falsch unterscheiden kann", sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Mittwoch in Peking. Australien verletzte den Grundsatz der politischen Neutralität in der olympischen Charta. Die Begründung Australiens "mit der so genannten Menschenrechtsfrage in Xinjiang sei nur ein Vorwand, um China zu verleumden", behauptete Wang Wenbin und ergänzte: "China hatte niemals Pläne, irgendeinen australischen Offiziellen zu den Spielen einzuladen. Niemand interessiert sich dafür, ob sie kommen oder nicht."

Thomas Bach: "Ende der Olympischen Spiele"

Bei soviel diplomatischem "Lärm", wollte sich auch IOC-Präsident Thomas Bach nicht zurückhalten und verteidigte das Schweigen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zur viel kritisierten Menschenrechtssituation in China erneut. "Wenn ich keine politischen Kommentare abgebe, nehme ich keine Seite ein", sagte Bach am Mittwoch in Lausanne. Er betonte, dass die Zurückhaltung in der Angelegenheit aber nicht als Zustimmung zum Handeln der Gastgeber der Winterspiele 2022 zu werten sei.

Ein Vorstoß in dieser Richtung wäre allerdings eine "Politisierung" und könne "das Ende der Olympischen Spiele bedeuten", warnte er: "Wenn wir eine politische Seite einnehmen, bekommen wir die 206 NOKs nicht zu den Spielen." Bei Nachfragen zum diplomatischen Boykott der Spiele, die er am 4. Februar in Peking eröffnen wird, blieb Bach ebenfalls bei seiner Linie: Er verwies auf die politische Neutralität des IOC. Es sei aber wichtig, dass der Boykott die Sportler nicht betreffe. "Wir begrüßen, dass die Athleten von ihren Regierungen unterstützt werden", so Bach: "Der Rest ist Politik."

Auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) gibt sich zurückhaltend. "Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es sehr wichtig ist, die Olympischen Winterspiele in Peking zu nutzen, um bestimmte Themen wie Rechtsstaatlichkeit und vor allem die Menschenrechte mit der Regierung Chinas zu diskutieren", sagte DOSB-Vizepräsident Stephan Mayer der DW. "Daher bin ich mir nicht sicher, ob ein ein diplomatischer Boykott der richtige Weg ist, um die notwendigen Bemühungen um eine Verbesserung der Menschenrechtslage für Minderheiten in China, für die Uiguren, für religiöse Minderheiten, für oppositionelle Flügel voranzutreiben."

Steinmeier reist nicht, EU-Kommission wartet ab

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fliegt nicht zu den Winterspielen. "Es gibt keine Pläne des Bundespräsidenten, nach Peking zu reisen", sagte eine Sprecherin des Bundespräsidenten der ARD-"Sportschau". "Diese Pläne gab es aber auch nicht, bevor die USA ihre Entscheidung bekannt gaben." Wie der deutsche EU-Parlamentarier Reinhard Bütikofer am Dienstag gegenüber dem Deutschlandfunk äußerte, habe sich habe innerhalb der Meldefrist aber ohnehin kein deutscher Politiker für die Olympischen Spiele akkreditieren lassen und die Frist sei verstrichen. Ein DOSB-Sprecher bestätigte das gegenüber der "Sportschau", räumte aber ein, dass die bereits am 15. November verstrichene Akkreditierungsfrist für vier deutsche Amtsinhaber nicht gelte: Bundespräsident, Bundeskanzler, Bundesminister des Inneren und der Verteidigung. Nach der Absage Steinmeiers kämen also neben Scholz noch Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht infrage.

Chinas Präsident Xi Jinping und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gehen beim Staatsbesuch in Peking an einem Spalier Soldaten mit Gewehren vorbei
​​​​Bundespräsident Steinmeier war zuletzt im Dezember 2018 zu Besuch in ChinaBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Eine Anfrage der DW bei der EU-Kommission ergab am Dienstag keine klare Aussage. Man habe zur Boykott-Entscheidung der USA "keinen spezifischen Kommentar abzugeben", sagte Sonya Gospodinova gegenüber der DW. Sie ist die Sprecherin für Binnenmarkt, Verteidigungsindustrie, Raumfahrt, Bildung, Jugend, Sport und Kultur bei der Europäischen Kommission. Gospodinova bestätigte aber: "Auf EU-Ebene erhalten EU-Kommissare und Beamte in der Regel Einladungen zur Teilnahme an internationalen Sportveranstaltungen, und gelegentlich nehmen sie diese auch an. Im konkreten Fall der Olympischen Winterspiele in Peking im nächsten Jahr wurde noch keine Entscheidung getroffen, ob die Kommission teilnehmen wird oder nicht."

Merz: "EU sollte diese Entscheidung auch so treffen"

Der deutschen Europa-Politikerin Nicola Beer von den Freien Demokraten (FDP) ist das zu wenig. Beer sprach sich gegenüber der "Funke Mediengruppe" für einen Komplett-Boykott der Winterspiele aus. Die Europäische Union sollte "nicht nur im Windschatten der USA bleiben, sondern sich selbst für die Einhaltung von Menschenrechten auf die Hinterbeine stellen und sich für einen gänzlichen Boykott der Winterspiele aussprechen", sagte die Vizepräsidentin des EU-Parlaments.

Porträtfoto von CDU-Politiker Friedrich Merz
Friedrich Merz ist für einen BoykottBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Die Olympischen Winterspiele im Februar 2022 in China seien "eine falsche Bühne am falschen Ort". Klare Signale des Westens Richtung Peking seien längst überfällig, so Beer mit Hinweis auf die "brutale Unterdrückung der Uiguren, der chinesischen Aggressionen gegenüber Hongkong und Taiwan".

Ins gleiche Horn stieß auch Friedrich Merz, der sich um den Vorsitz bei den Christdemokraten (CDU) bewirbt. "Die Europäische Union sollte diese Entscheidung ebenfalls so treffen", forderte Merz. "Damit könnten die Athleten an  Olympia teilnehmen, aber das Regime in Beijing wäre politisch weitgehend isoliert", sagte der 66-jährige Bundestagsabgeordnete.

asz/jst (dpa, SID)