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Finanzkrise und Entwicklungspolitik

30. November 2011

Heiner Flassbeck ist UN-Direktor für Globalisierung und Entwicklungsstrategie. Im Interview mit DW-WORLD.DE spricht er über die Folgen der Finanzkrise auf die Entwicklungspolitik und das Versagen der G20-Staaten.

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Die Flagge der Vereinten Nationen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW-WORLD.DE: Wie wirkt sich die Finanzkrise in Entwicklungs- und Schwellenländern aus?

Heiner Flassbeck: Bisher haben wir zwei unterschiedliche Entwicklungen: Zum einen gibt es bei der offiziellen Entwicklungshilfe gewisse Einschränkungen, aber es gab keinen drastischen Bruch. Einige Länder haben nicht mehr in der gleichen Form wie vorher ihre Verpflichtungen erfüllt. Aber der große Bruch ist ausgeblieben. Insofern sind wir da halbwegs glimpflich davon gekommen. Zum anderen haben viele Schwellenländer das einzig Richtige gemacht: Sie haben sich auf ihre Binnenstärke besonnen. China voran, aber auch Brasilien und andere Länder, haben durch politischen Druck dafür gesorgt, dass die Löhne der Arbeiter ordentlich steigen konnten. Und dadurch ist Binnennachfrage entstanden. Und diese Binnennachfrage hilft natürlich der Entkopplung vom Erfolg der Industrieländer. Insofern läuft es besser als vorher. Und der wichtigste Faktor ist vielleicht: Die meisten dieser Länder haben inzwischen Leistungsbilanzüberschüsse gehabt und mehr exportiert als importiert, waren also nicht mehr abhängig von Geldgebern oder gar vom Internationalen Währungsfonds IWF und den Restriktionen, die er im Austausch für Kredite immer fordert.

Welche Erwartungen haben Sie an die Geberstaaten in Bezug auf ihre Entwicklungspolitik in der jetzigen Situation?

Heiner Flassbeck in Genf (Foto: dpa/2008)
Heiner FlassbeckBild: picture-alliance/dpa

In der Entwicklungspolitik hoffe ich immer noch darauf, dass wir sehr viel stärker als in der Vergangenheit Hilfe zur Selbsthilfe schaffen, um die Länder auch - was bei UNCTAD das Hauptthema ist - unabhängig zu machen in ihrer Wirtschaftspolitik. Wir müssen ihnen in ihrer eigenen Wirtschaftspolitik Raum geben. "Policy space" heißt das bei uns. Das ist alles sehr viel besser geworden in den letzten Jahren. Nachdem der IWF sich aus vielen Ländern zurückgezogen hat, haben die viel mehr Möglichkeiten gehabt, selbst aktiv zu werden.

Was kommt als nächstes?

Eine Entwicklungsstrategie in einem ernsthaften Sinne fehlt immer noch: Wir waren auch nach diesem Jahr in der G20-Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer nicht in der Lage - muss ich zu meinem Bedauern sagen - bestimmte globale Institutionen zu schaffen, die den Entwicklungsländern sehr geholfen hätten. Wir haben über eine internationale Währungsordnung diskutiert, da ist nichts herausgekommen. Wir haben über eine internationale Rohstoffordnung diskutiert, da ist sehr wenig herausgekommen. Das ist sehr enttäuschend. Da muss man sagen, haben die Industrieländer einfach ihre Hausaufgaben nicht gemacht.

Heiner Flassbeck (Jahrgang 1950) arbeitet seit dem Jahr 2000 bei der UN-Behörde für Handel und Entwicklung UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) in Genf. Seit August 2003 ist er dort Direktor der Abteilung für Globalisierung und Entwicklungsstrategien. Nach mehreren Jahren im Bundeswirtschaftsministerium und wissenschaftlicher Arbeit am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, leitete Flassbeck von 1990 bis 1998 den Konjunkturbereich des DIW. Von Oktober 1998 bis April 1999 war der Makroökonom Staatssekretär im Bundesfinanzministerium von Finanzminister Oskar Lafontaine. Flassbeck ist studierter Volkswirt und Honorarprofessor an der Universität Hamburg.

Die Fragen stellte Klaudia Prevezanos
Redaktion: Michael Borgers