1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Obergrenze? Warum streiten CDU und CSU?

Kay-Alexander Scholz
31. Oktober 2016

Angela Merkel und Horst Seehofer verzichten auf gegenseitige Parteitagsbesuche. Die Vorsitzenden haben sich in einem Streit um die Flüchtlingspolitik verheddert. Spannender als der Streit ist derzeit nur eins.

https://p.dw.com/p/2Rvur
Horst Seehofer vor Schild mit Aufschrift "Flüchtling" (Foto: Dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Müller

Worum geht es eigentlich im Streit zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer?Der CSU-Chef will eine Haltelinie für ins Land kommende Flüchtlinge einziehen. Das Stichwort dazu, unter der die Debatte in Deutschland geführt wird, lautet "Obergrenze". Diskutiert wird in der CSU über eine Obergrenze von "200.000 Neuankömmlingen" pro Jahr.

Die CDU-Vorsitzende will das aber nicht. Sie setzt dagegen auf eine Reihe von Maßnahmen, die letztendlich aber auch zum Ziel haben, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren. Nur sind diese Maßnahmen anders verortet - zum Beispiel in Europa, bei der Sicherung der Außengrenzen oder, noch internationaler, bei der Bekämpfung von Fluchtursachen.

Seehofer will nationale Lösung

Seehofer hat schlechte Erfahrungen mit dem Verweis auf Lösungen, die außerhalb der eigenen, nationalen Entscheidungsbefugnisse liegen. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in der zweiten Jahreshälfte 2015 versprach Merkel eine Quotenlösung in der EU. Aus der wurde aber nichts. Hunderttausende Flüchtlinge strömten weiter über die Grenze - und zwar die meisten über die österreichisch-bayerische Grenze. Der Druck von der Basis, Seehofer müsse dagegen etwas tun, wurde größer und größer. Für Entlastung sorgten dann andere, die Österreicher und die West-Balkanstaaten, die die Flüchtlingsrouten schlossen. Mit einem Schlag gingen die Flüchtlingszahlen in Deutschland zurück.

Inzwischen wird der Begriff "Obergrenze" innerhalb der CSU etwas softer diskutiert. Von Orientierungsgröße oder auch Richtwert wird gesprochen. Ein Richtwert, der Auskunft darüber geben soll, wie viele Menschen pro Jahr logistisch aufgenommen und behördlich betreut werden können. Seehofers oberste Vertreterin in Berlin, die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, erklärt das immer so. "Begrenzung" bezeichnet sie als eine von drei Säulen in der Flüchtlingspolitik, neben Humanität und Integration.

Anderer Beweggrund: Angst um die Macht

CSU-Politik, gerade auch bei Seehofer, ist davon geprägt, die absolute Mehrheit in Bayern zu behalten. Denn nur dann kann der bayerische Löwe, wie er auch genannt wird, in Berlin breitbeinig auftreten. Die Angst ist groß, dass diese Mehrheit verloren gehen könnte, weil die AfD da ist. Also die Partei, die viele Stimmen wegen der Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik an sich binden kann. Seehofer muss die AfD also irgendwie klein halten, was strategisch gesehen wohl am besten funktioniert, so glaubt man bei der CSU, wenn man der AfD die Themen und Argumente wegnimmt. Nach dem Motto: In Bayern braucht es keine AfD, weil es doch die CSU gibt, die ähnlich denkt. Der Unterschied zur AfD sei, dass man Lösungen anbiete und nicht nur Ängste der Bevölkerung aufnehme, so Hasselfeldt.

Doch im Moment liegt die AfD bei neun Prozent. Zusammen mit SPD, Grünen und FDP haben sie etwa gleich viele Stimmen wie die CSU. So richtig geht die Strategie also nicht auf.

Dramaturgie aus dem Ruder gelaufen

Der unionsinterne Streit um die Flüchtlingspolitik erlebte schon mehrere Höhepunkte. Seehofer kritisierte Merkel auf offener Bühne beim CSU-Parteitag, ohne dass sie sich wehren konnte. Dann wurde mit einer Verfassungsklage gedroht. Oder damit, einen eigenen Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2017 ins Rennen zu schicken. Merkel wolle "ein anderes Deutschland" oder praktiziere eine "Herrschaft des Unrechts" warf Seehofer ihr vor. Zwischendurch wurde auch die altbekannte Drohung wieder laut, wonach die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU im Bundestag keine Ewigkeitsgarantie habe.

Angela Merkel und Horst Seehofer in München (Foto: Getty Images)
Trotz allen Streits werden die Gemeinsamkeiten betontBild: Getty Images/AFP/C. Stache

Es wurde viel Porzellan zerschlagen, das nun mühsam wieder gekittet werden soll. Eigens werden dafür zum Beispiel gemeinsame Themenkonferenzen veranstaltet.

Der neue Höhepunkt

Einerseits kommt der Streit in der Union der CSU also ganz gelegen. Weil das Beharren auf einer Obergrenze bei einem Teil der bayerischen Wähler gut ankommen dürfte. Andererseits darf der Streit nicht übertrieben werden, weil die Deutschen eine zerstrittene Bundesregierung nicht mögen. Und drittens ist die Basis der CSU ziemlich gespalten, was Merkel betrifft.

Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass Merkel lieber nicht beim CSU-Parteitag auftaucht. Auch wenn das mit einer jahrzehntelangen Tradition bricht und Merkel als CDU-Vorsitzende nun das erste Mal nach 15 Jahren auf einen Gastauftritt verzichtet. Die Welt verändere sich nicht, wenn man Mal einen Parteitag ohne den anderen macht, sagte Hasselfeldt schon vor einigen Wochen. Viel wichtiger seien gegenseitiges Vertrauen, und das gemeinsame arbeiten an Problemen.

Und Seehofer? Man wolle kein Schauspiel abgeben, keine Gemeinsamkeit inszenieren, die es bei der Zuwanderungsfrage noch nicht gebe, sagte der CSU-Vorsitzende am Montag in München. Nötig sei ein "in sich schlüssiges Konzept, das wir noch nicht haben". Die Obergrenze solle ein fester Bestandteil davon sein, aber nicht allein, betonte Seehofer.

Signale der Versöhnung

Der Streit wird also weitergehen. Wahrscheinlich wird nun auch Seehofer nicht beim CDU-Parteitag als Gastredner auftauchen.

Hinter den Kulissen aber wird die Zusammenarbeit weitergehen. So wie zuletzt bei der Erbschaftssteuer und dem Länderfinanzausgleich, zwei knifflige Vorhaben, die CDU/CSU und SPD bewerkstelligen konnten.

Schon am kommenden Wochenende soll es ein Treffen zur Frage eines gemeinsamen Kandidaten für die Bundespräsidenten-Wahl geben. Und läuft alles wie geplant, dann wird sich auch Angela Merkel beim CDU-Parteitag dazu äußern, ob sie noch einmal Kanzlerin werden möchte. Diese Entscheidung ist dann wirklich von großer Tragweite.