1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Nächtliche Ausgangssperre in ganz Tunesien

22. Januar 2016

Angesichts der Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und frustrierten jungen Menschen hat die Regierung die Notbremse gezogen. Der Frust vieler Tunesier dürfte so wohl kaum eingedämmt werden.

https://p.dw.com/p/1HiQ0
Soldaten versuchen in der Stadt Kasserine, Demonstranten zu beruhigen (Foto: Reuters/A. Ben Aziza).
Soldaten versuchen in der Stadt Kasserine, Demonstranten zu beruhigenBild: Reuters/A. Ben Aziza

Die Sicherheit des Landes und seiner Bürger sei in Gefahr, erklärte das Innenministerium in der Hauptstadt Tunis. Deswegen werde bis auf weiteres in der Zeit von 20.00 Uhr bis 05.00 Uhr ein Ausgehverbot verhängt.

Bis in den frühen Freitagmorgen war es im Großraum Tunis zu Plünderungen und Brandschatzungen gekommen, 16 Menschen wurden nach Polizeiangaben festgenommen. Im Arbeiterviertel Ettadhamen lieferten sich Vermummte Straßenschlachten mit der Nationalgarde. Ein AFP-Reporter sah zwei geplünderte Elektronikgeschäfte und eine geplünderte Bankfiliale, eine Polizeiwache wurde abgebrannt. Zu gewaltsamen Protesten kam es auch in den Städten Jendouba, Bizerte und Sidi Bouzid.

Lage seit Tod eines Arbeitslosen in Kasserine angespannnt

Nur für medizinische Notfälle und bei Menschen, die nachts arbeiten müssen, soll es Ausnahmen bei der Ausgangssperre geben. Die Lage im Geburtsland des sogenannten Arabischen Frühlings ist besonders angespannt, seit am Samstag ein 28-jähriger Arbeitsloser durch einen Stromschlag gestorben war. Der Mann war vor dem Gouverneurssitz von Kasserine im Zentrum des Landes auf einen Mast geklettert, um gegen seine Streichung von einer Einstellungsliste für den öffentlichen Dienst zu protestieren. Seit Sonntag brannten in der Stadt immer wieder Autoreifen, inzwischen haben die Unruhen auf die Hauptstadt Tunis übergegriffen.

Othman Yahyaoui (li.) mit einem Foto seines ums Leben gekommenen Sohnes Ridha (Foto: Reuters/A. Ben Aziza)
Othman Yahyaoui (li.) mit einem Foto seines ums Leben gekommenen Sohnes RidhaBild: Reuters/A. Ben Aziza

Ein Sprecher des Innenministeriums erklärte, Kriminelle würden die friedlichen Proteste gegen die Regierung missbrauchen. In den vergangenen 24 Stunden wurden nach seinen Angaben landesweit 42 Mitglieder der Sicherheitskräfte verletzt. Am Mittwochabend war ein junger Beamter mit seinem Auto tödlich verunglückt, als er Demonstranten in Feriana im Zentrum des Landes auseinandertreiben wollte.

Der tunesische Ministerpräsident Habib Essid erklärte, die Lage sei unter Kontrolle. Im Sender France24 sagte der Regierungschef: "Wir haben keinen Zauberstab, um allen gleichzeitig einen Arbeitsplatz zu geben." Die wichtigsten Maßnahmen seien aber getroffen worden. Konkreter wurde Essid nicht. Frankreichs Präsident François Hollande kündigte bei einem Treffen mit Essid in Paris ein Hilfsprogramm über eine Milliarde Euro in den kommenden fünf Jahren an, das Jugendliche und benachteiligte Regionen stützen soll.

Deutsche Regierung in "großer Sorge"

Die Bundesregierung zeigt sich alarmiert und ruft insbesondere die tunesischen Sicherheitskräfte zur Besonnenheit auf. Das Kabinett betrachte die gewaltsamen Zusammenstöße mit "großer Sorge", sagte eine Sprecherin in Berlin. Viele Jugendliche in vernachlässigten Regionen von Tunesien hätten "keine echte Perspektive". Ihre große Unzufriedenheit sei daher verständlich, und friedliche Demonstrationen seien ihr gutes Recht. Die Sprecherin rief die Regierung in Tunis auf, ihre Reformen fortzusetzen.

Seit der Revolution von 2011, die den langjährigen Staatschef Zine El Abidine Ben Ali zu Fall brachte, gibt es in Tunesien immer wieder Proteste gegen die prekäre Lage, die bereits häufiger in Gewalt umschlugen. Die Revolution hatte im Dezember 2010 mit Protesten in Sidi Bouzid in der Nähe von Kasserine begonnen, nachdem sich ein Obstverkäufer aus Verzweiflung über Schikane durch die Behörden selbst verbrannt hatte.

sti/rb (afp, dpa, rtr)