Nudging: ein Schubs zur Verhaltensänderung
Menschen bewusst in eine bestimmte Richtung lenken, um ihr Verhalten zum Besseren zu verändern? Und das ohne Verbote, Gebote oder Sanktionen? Möglich ist das. Mit der Methode des „Nudging“.
Jeder von uns muss täglich Entscheidungen treffen. Manchmal ist es nur eine kleine: Esse ich lieber einen Apfel oder greife ich doch eher zur verlockenden Schokolade? Manchmal ist die Entscheidung auch grundsätzlicherer Natur, nämlich dann, wenn sie das eigene Leben komplett auf den Kopf stellen etwas auf den Kopf stellen umgangssprachlich für: etwas vollständig neu ordnen; etwas völlig anders machen kann. Doch warum treffen wir die eine oder die andere Entscheidung? Was beeinflusst uns? Lassen wir uns auch irgendwie lenken, ohne dass etwas beispielsweise explizit verboten ist? Vielleicht durch einen leichten Schubs Schubs, -e (m.) umgangssprachlich für: ein leichter Stoß oder Stupser Stupser, - (m.) ein leichter Stoß/Schubs (auch: der Stups; Verb: stupsen) Richtung Vernunft?
Kathrin Loer ist Sozialwissenschaftlerin und Expertin für Verbraucherverhalten. Sie erforscht, was Entscheidungen von Menschen beeinflusst. Ein Ort, um das zu demonstrieren, ist die Mensa der Universität Osnabrück. Denn hier ist nichts dem Zufall überlassen. Die Salatbar dominiert den Raum. Nicht ohne Grund, sagt die Sozialwissenschaftlerin:
„Das ist die Idee dabei: dass Salat sehr ansprechend dargestellt wird. Und natürlich hab ich auch alle anderen Optionen. Und die sind praktisch jetzt in meinem Rücken. Also das wäre jetzt vielleicht auch für ’ne Schulmensa ’n gutes Arrangement.“
Sich gesund zu ernähren, kann gesteuert werden, nämlich durch die Anordnung, das Arrangement, des Angebots. So macht die Salatbar der Mensa einen ansprechenden, optisch guten Eindruck. Die Theke ist hell beleuchtet, steht in der Mitte des Raums. Die Präsentation der Salate sieht verlockend aus. Natürlich können die Studierenden trotzdem noch Pommes frites essen – und einiges Ungesunde mehr. Sie haben auch alle anderen Optionen. Aber: Der Appetit auf Salat ist größer geworden. Denn der Aufbau der Mensa und die Anordnung des Essens lenken die Entscheidungen der Studierenden. Studien haben gezeigt, dass manche Dinge, die auf den ersten Blick banal banal unwichtig; unbedeutend erscheinen, eine sehr große Auswirkung auf unser Verhalten haben. Dazu gehören beispielsweise auch die Reihenfolge und Anordnung des Angebots einer Essensausgabe. Diese Technik trägt den aus dem Englischen übernommenen Begriff „Nudging“. Kathrin Loer erklärt, was damit gemeint ist:
„Also ‚Nudging‘ heißt erstmal ‚Stupsen‘. Und hinter diesem Begriff – diesem englischsprachigen Begriff – versammeln sich ’ne ganze Zahl von verschiedenen Techniken, die sich auf eine sogenannte Entscheidungsarchitektur beziehen. Das hört sich komplizierter an, als es ist. Also, das ist im Grunde, die Welt, in der wir leben und wie sie gebaut ist, wie sie gestaltet ist. Und diese ‚Nudging‘-Techniken, die führen dazu, dass man sich in einer bestimmten Weise möglicherweise verhält oder eben nicht verhält.“
Im Prinzip verbirgt sich hinter dem englischsprachigen Begriff eine Methode, das Verhalten von Menschen auf eine vorhersehbare Art und Weise zu lenken, ohne dabei auf Verbote, Gebote oder wirtschaftliche Anreize zu setzen. Wie ein Architekt, der die Möglichkeit hat, ein Haus so oder so zu bauen, verfügen diejenigen, die andere lenken wollen, über verschiedene Möglichkeiten. Kathrin Loer bezeichnet diese als Entscheidungsarchitektur. Will man jemanden in eine Richtung schubsen, die zu seinem eigenen Nutzen ist, nutzt man – um im Bild zu bleiben – die passenden Bauteile.
Die Idee geht zurück auf das 2008 erschienene Buch „Nudge: Improving Decisions about Health, Wealth and Happiness“ der beiden US-Autoren Cass Sunstein und Richard Thaler, eines Juristen und eines Wirtschaftswissenschaftlers. Sie gehen darin unter anderem davon aus, dass wir nicht immer in der Lage sind, eine richtige Entscheidung zu treffen, um unser Verhalten zu ändern, und ein paar sanfte Anstöße, „Nudges“, gut gebrauchen können.
Und das kann schon im Kleinen anfangen. Wie viel Druckerpapier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbrauchen, hängt beispielsweise ganz entscheidend von einem kleinen Haken beim Druckbefehl ab: beidseitig drucken. Hier können Entscheidungsarchitekten sanft nachhelfen, erläutert Kathrin Loer:
„Das ist praktisch der Bau einer Entscheidungsarchitektur, der darauf abzielt, dass die Menschen sich in einer bestimmten Weise verhalten. Es ist typischerweise so, dass Menschen dem folgen, was ihnen praktisch angeboten wird oder wie es voreingestellt ist. Auch gerade bei so ganz vielen ritualisierten Dingen ist die Voreinstellung das Entscheidende dafür, wie sich Menschen verhalten.“
Der sanfte Schubs der Entscheidungsarchitekten ist in diesem Fall die ressourcenschonende ressourcenschonend so, dass etwas nicht viele Rohstoffe verbraucht oder dass bei der Herstellung von etwas nicht viele Ressourcen verbraucht werden Einstellung eines Druckers schon ab Werk ab Werk hier: vom Hersteller aus vorzugeben, so dass unser ritualisiertes, unser gewohntes, nach festen Regeln ablaufendes, Verhalten durchbrochen wird. Wer nämlich – nicht ressourcenschonend – Seite für Seite ausdrucken möchte, muss den Haken aktiv selbst entfernen.
Eine weitere ‚Nudging‘-Technik ist ‚Disclosure‘, also eine ‚Offenlegung‘ des Verhaltens anderer. Auch hierbei spielen Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung eine Rolle, so Kathrin Loer:
„Viele Menschen, bei denen funktioniert das. Sie möchten ja zu ’ner Gruppe dazugehören. Das sehen wir ja in anderen Bereichen – der sozialen Medien– auch sehr stark. Und auf diesen Mechanismus setzt man dabei.“
Die meisten Menschen wollen sich vergleichen, weil sie nicht außerhalb einer Gruppe stehen wollen. Konkret heißt das beispielsweise: Wer mit der Stromrechnung auch die Durchschnittswerte seiner Region und damit seiner Nachbarn erfährt, ist eher geneigt, Energie zu sparen. „Nudging“ kann aber auch in der Freizeit funktionieren, beispielsweise beim Sport. Hartes Training, zweimal die Woche, und fast immer sind alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Sportgruppe dabei – wie geht das? Kathrin Loer hat die Erklärung:
„Das ist ’ne Mischung von drei ‚Nudges‘. Im Grunde ist es einmal die Selbstbindung, ganz am Anfang, sich für einen überschaubaren Zeitraum zu binden. In diesem Fall sind das hier neun Wochen. Das ist der erste ‚Nudge‘. Dann gibt es sogenannte ‚Reminder‘, also Erinnerungen, die persönlich kommen, dass man zum Training geht, wenn man es vielleicht vergessen hat oder noch nicht in der Stimmung war. Das Dritte ist auch so ’ne Form von ‚social norms‘, also das Eingebundensein in so ’nen sozialen Kontext. Und diese drei ‚Nudges‘ zusammen funktionieren hier.“
So gesehen haben sich die Freizeitsportler mehrere Stupse selbst gegeben, um regelmäßig zum Training zu kommen. Der wichtigste: Sie haben den neunwöchigen Sportkurs im Voraus bezahlt, sind eine Selbstbindung eingegangen.
Der kleine Stups Richtung gute Vorsätze klappt oft, aber nicht immer. Und nicht bei jeder und jedem. Manchmal sind die Verlockungen dann eben doch zu groß. Wer mag zu einem leckeren Stück Schokoladentorte Nein sagen, das erst kurz vor der Kasse auf uns wartet. Der Apfel würde in diesem Fall wahrscheinlich den Kürzeren ziehen den Kürzeren ziehen umgangssprachlich für: verlieren; nicht berücksichtigt werden .