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"Mein Herz ist mit Mehmet begraben"

21. November 2017

Die Witwe des NSU-Mordopfers Mehmet Kubasik hofft, dass die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe ihre "verdiente Strafe" bekommt. Marcel Fürstenau berichtet aus München.

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Gedenkstein für NSU-Opfer in Dortmund
Elif Kubasik (m.) an dem Gedenkstein für ihren Ehemann Mehmet Kubasik, ermordet am 4. April 2006 (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa

Ihr Mann war das achte von zehn Opfern einer unheimlichen Mordserie. Mehmet Kubasik starb am 4. April 2006 in Dortmund, kaltblütig erschossen in seinem Kiosk. Zu den Taten bekannte sich im November 2011 die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU), der seit Mai 2013 vor dem Münchener Oberlandesgericht der Prozess gemacht wird. Dort steht Elif Kubasik am Dienstag jener Frau gegenüber, die nach eigener Aussage das Bekennervideo an Medien verschickt hat: Beate Zschäpe, Hauptangeklagte in dem spektakulären Strafverfahren.   

Bildergalerie Neonazi Mordserie Mehmet Kubasik
Die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) bekannte sich zum Mord an Mehmet KubasikBild: picture alliance/dpa

Es sei für sie besonders schwer, "den Anblick dieser Frau auszuhalten", sagt Elif Kubasik am dritten Tag der Nebenkläger-Plädoyers, die in der vergangenen Woche begonnen haben. Sie spricht türkisch, ihre mit fester Stimme vorgetragenen Sätze werden übersetzt. Kurdin sei sie und Alevitin, 1991 mit Mehmet und der Tochter nach Deutschland gekommen. Sie habe politisches Asyl erhalten und die deutsche Staatsbürgerschaft. Ihr Mann sei "liebevoll" gewesen und "sehr besorgt um seine Familie". Seit elf Jahren ist Elif Kubasik Witwe und sagt: "Mein Herz ist mit Mehmet begraben."

Fragen, auf die niemand antwortet

Dann stellt Elif Kubasik viele Fragen: "Warum Mehmet? Warum Dortmund? Gab es Helfer in Dortmund? Sehe ich sie vielleicht immer noch?" Es gebe so viele Nazis in Dortmund. "Was wusste der Staat?" Vieles davon sei in diesem Prozess unbeantwortet geblieben. Ihre Erfahrungen decken sich mit den Erkenntnissen der NSU-Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Landesebene. Von "Staatsversagen" ist in deren Berichten zu lesen - angesichts der vielen Pannen und Ungereimtheiten während der Ermittlungen zu der Mordserie.

Elif Kubasik Ehefrau von Mehmet Kubasik NSU Opfer
Den Anblick Beate Zschäpes kann Elif Kubasik im Münchener NSU-Prozess nur schwer ertragen (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa

Die, die diese Taten begangen hätten, "sollten nicht denken, weil sie neun Menschen getötet haben, würden wir das Land verlassen", sagt Elif Kubasik am Ende ihres Plädoyers. Neun Opfer hatten einen Migrationshintergrund, das letzte Opfer war die Polizistin Michèle Kiesewetter. "Wir sind Teil dieses Landes und wir werden hier weiterleben", sagt Elif Kubasik auch im Namen ihrer Tochter Gamze. Sie will im Rahmen der Nebenkläger-Plädoyers ebenfalls das Wort ergreifen.

Beate Zschäpes verlesene Aussage fand Elif Kubasik "ekelhaft"

Über das Verhalten von Beate Zschäpe während des gesamten Prozesses sind beide entsetzt. Die zur Jahreswende 2015/2016 von einem Strafverteidiger verlesene Aussage bezeichnet Mutter Kubasik am Dienstag als "ekelhaft". Sogar die Form, wie sie sich entschuldigt habe, sei "verletzend" gewesen. "Ich will, dass sie ihre verdiente Strafe bekommt." Die Bundesanwaltschaft hat in ihrem Plädoyer Anfang September eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung gefordert.

Nach Elif Kubasiks emotionalem Schlusswort setzt ihr Anwalt Carsten Ilius das Plädoyer fort. Dass er seine Ausführungen in einen gesellschaftlichen Rahmen einbettet und über Rassismus redet, missfällt Beate Zschäpes Verteidigern ebenso wie denen ihrer Mitangeklagten André E. und Ralf Wohlleben. Mehrmals unterbrechen sie ihren Kollegen und werfen ihm unter Verweis auf die Strafprozessordnung und juristische Kommentare vor, den Rahmen des Plädoyers zu sprengen. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl lässt Ilius jedoch gewähren.

Carsten Ilius Anwalt von Elif Kubasik Nebenklägerin im NSU-Prozess
Nebenkläger-Anwalt Carsten IliusBild: privat

Schon zu Beginn des 389. Verhandlungstages muss Götzl einige Male eingreifen, als der Nebenkläger-Anwalt Mehmet Daimagüler sein am vergangenen Donnerstag begonnenes Plädoyer beenden will. Er vertritt Angehörige der NSU-Opfer Abdurahim Özudogru und Ismail Yasar. Auch Damaigüler sieht sich mit Beanstandungen von Angeklagten-Verteidigern konfrontiert. Für den mutmaßlichen Beschaffer der Tatwaffe, Ralf Wohlleben, fordert er 14 Jahre und sechs Monate Freiheitsentzug. Das sind zweieinhalb Jahre mehr, als die Staatsanwaltschaft gefordert hat.

Daimagüler: "Meine Mandantschaft sinnt nicht nach Rache"

Am Ende sorgt Nebenkläger-Anwalt Daimagüler für eine Überraschung, als es um den Angeklagten Carsten S. geht. Der hat schon zu Beginn des NSU-Prozesses die gegen ihn erhobenen Anklagepunkte zugegeben. Der Hauptvorwurf lautet, die Tatwaffe mit einem Schalldämpfer an die mutmaßlichen Todessschützen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos übergeben zu haben. Beide haben sich 2011 das Leben genommen, um ihrer Verhaftung zu entgehen.

Bildergalerie Neonazi Mordserie Ismail Yasar
Ismail Yasar war das sechste von zehn NSU-Opfern. Er wurde am 9. Juni 2005 in Nürnberg erschossen (Archivbild)Bild: picture alliance/dpa

Seine Mandantschaft sinne nicht nach Rache, sagt Daimagüler und plädiert an das Gericht, bei Carsten S. Milde walten zu lassen. Zur Begründung verliest der Nebenkläger-Anwalt Zeilen einer Mandantin, die sich damit an Carsten S. richtet: "Sie haben geholfen, dass mein Vater Ismail Yasar nicht mehr am Leben ist", beginnt der Text. "Ich will nicht mehr zornig sein", heißt es dann aber. Denn Carsten S. habe als einziger seine Schuld eingeräumt. Ihr Anwalt habe erzählt, dass er als einziger hingeschaut habe, als Bilder von den Toten gezeigt worden seien "und Ihre Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen".

"Ich vergebe ihnen", schreibt die Tochter eines NSU-Opfers

Daimagüler beantragt im Namen seiner Mandantin, die Strafe für Carsten S. zur Bewährung auszusetzen. Die Bundesanwaltschaft hat im September drei Jahre gefordert. Nun richtet sich die Tochter eines NSU-Opfers über ihren Anwalt an das Gericht und sagt zu Carsten S.: "Ich vergebe Ihnen, nehme Ihre Entschuldigung an. Tragen Sie ihre Schuld ab, gehen Sie zu jungen Menschen, sprechen Sie mit jungen Menschen über das, was die nationalsozialistische Ideologie anrichtet."