1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Eine Frau für alle Fälle

8. Juni 2010

Die Linke schlägt die Journalistin Luc Jochimsen fürs Präsidentenamt vor. Sie gilt als chancenlos, ihre Kandidatur könnte für den schwarz-gelben Anwärter Christian Wulff trotzdem gefährlich werden.

https://p.dw.com/p/NkYt
Porträt der Linken-Politikerin Lukrezia Jochimsen Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa
Späte Ehre für Luc JochimsenBild: picture-alliance/dpa

Ungläubiges Staunen vielerorts, als die Linke dieser Tage ankündigte, sie wolle kurzfristig einen eigenen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten aus dem Hut zaubern. Gut in Erinnerung war, dass die Partei schon bei der vorangegangenen Bundespräsidenten-Wahl vor einem Jahr monatelang vergeblich nach einem geeigneten Bewerber für Schloss Bellevue gesucht hatte, bevor der ehrenwerte Theatermann Peter Sodann den Medien zum Fraß vorgeworfen wurde. Diesmal geht die Linke auf Nummer Sicher. Der 74-jährigen Journalistin und Bundestagsabgeordneten Lukrezia Jochimsen kann nicht viel passieren. Die gelernte Journalistin, die sich kurz "Luc" nennt, ist ein Medienprofi (1994 bis 2001 Fernseh-Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks), schloss sich später der Linken an und ist nach eigenen Worten die Außenseiterrolle gewohnt.

Wichtige Nebenrolle im Wahlszenario

Lukrezia Jochimsen sei eine Kandidatin, die große Würde ausstrahle, lobte Linken-Fraktionschef Gregor Gysi die 74-jährige, sie engagiere sich gegen Krieg, den sie als Kind noch miterlebt habe. Doch die Kandidatur der vielseitigen studierten Soziologin und Philosophin ist nicht nur gut fürs Selbstbewusstsein der Partei. Mit einer Linken-Kandidatin wird der Kampf um den Einzug ins Schloss Bellevue noch interessanter. Zwar betonten Politiker der Linken anfangs, weder der Kandidat der Sozialdemokraten und Grünen, Joachim Gauck, noch der schwarz-gelbe Präsidentenanwärter Christian Wulff, seien für sie wählbar. Doch diese schroffe Ablehnung bröckelt längst. Inzwischen scheint die Devise ausgegeben: Gesicht wahren und dann doch noch Gauck wählen, um der Bundesregierung - sprich: Kanzlerin Merkel - eine Niederlage zu bereiten. In diesem Szenario spielt Luc Jochimsen eine wichtige Nebenrolle.

Voraussichtlich wird die Linken-Bewerberin im ersten Wahlgang mit den wenigsten Stimmen ausscheiden. Doch nach diesem Auftritt fürs Selbstwertgefühl könnten linke Wahlmänner und -frauen in folgenden Wahlgängen doch noch Stimmen für den Kandidaten von SPD und Grünen abgeben, statt sich zu enthalten.

Bartsch: Merkels Kandidaten verhindern

Titelbild der Welt am Sonntagmit einem Porträt des Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck und der Schlagzeile "Präsident der Herzen" (Foto: Welt am Sonntag)
Kandidat Joachim Gauck ist der Liebling der MedienBild: Welt am Sonntag

So verkündete der Linken-Politiker Dietmar Bartsch: "Wenn Christian Wulff im ersten Wahlgang keine Mehrheit erhält, dann muss die Linke alles dafür tun, dass der Kandidat der Regierung keine Mehrheit bekommt". Dafür werde er sofort werben. Auch Linken-Parteichef Klaus Ernst schließt nicht aus, dass seine Leute doch noch Gauck wählen könnten.

Kurios: Bereits diese vage Aussicht kratzt am Image des einstigen Stasi-Akten-Beauftragten Joachim Gauck. Vom ehemaligen ostdeutschen Bürgerrechtler und heutigen CDU-Abgeordneten Arnold Vaatz wird er aufgefordert, sich nicht mit den Stimmen der Linkspartei wählen zu lassen. Für Gauck dagegen scheinen Stimmen der Linken akzeptabel. Er freue sich über jeden, der mit ihm das Interesse an Aufklärung teile, hatte er diplomatisch auf entsprechende Fragen geantwortet. Gauck sei nicht länger ein "Aufklärer", wenn er sich von denen instrumentalisieren lasse, die die Regierung stürzen wollten, meint dagegen Kritiker Vaatz.

Gauck als "Präsident der Herzen"

Rein rechnerisch hat das schwarz-gelbe Lager von Union und FDP in der Bundesversammlung über 20 Stimmen mehr als die absolute Mehrheit. Da es aber zahlreiche Sympathisanten für Gauck auch in CDU, CSU und FDP gibt, wird über einen möglichen Sieg des Rostockers spekuliert, wenn es ihm gelänge, zumindest einen Großteil der 125 linken Wahlmänner und -frauen auf seine Seite zu bringen.

Mit den Medien ist ihm das bereits gelungen. Der 70-jährige einstige Pfarrer aus Rostock verkörpere mit seiner Biographie als ostdeutscher Bürgerrechtler, Stasi-Aufklärer und kämpferischer Demokrat besser das Bild von einem Präsidenten als der Parteikarriere-Politiker Wulff, schreiben die Kommentatoren. Die "Welt am Sonntag" feierte Gauck sogar als "Präsident der Herzen". Besonders in Ostdeutschland loben sogar reihenweise liberale Politiker Gauck als einen geeigneten überparteilichen Kandidaten. Eine schallende Ohrfeige für die eigene Führung.

Parteisoldaten sollen Wulffs Sieg sichern

Vom Medienecho und den Stimmen aus dem eigenen Lager überrascht, versuchen die Regierungsparteien, ihre Reihen für den Wahlgang am 30. Juni 2010 in Berlin zu schließen. Prominente wie CSU-Chef Seehofer und der liberale Entwicklungsminister Niebel versichern, Wulff würde einhellig gewählt. Die bayrische CSU kündigte an, "aus Zeitgründen" auf die sonst übliche Entsendung von parteiunabhängigen Wahlmännern und -frauen in die Bundesversammlung zu verzichten. Solche Prominente gelten als Unsicherheitsfaktoren für den eigenen Kandidaten. Legendär ist der Auftritt der bayrischen CSU-Wahlfrau Fürstin Gloria von Thurn und Taxis im Jahr 2004, die der gegnerischen SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan ihre Stimme gab und ihr danach mit den Worten um den Hals fiel: "Sie sind eine wunderbare Frau".

Die drei Regierungsparteien werden diesmal neben ihren Bundestagsabgeordneten vor allem sogenannte "Parteisoldaten" aus den Bundesländern zur Abstimmung in die Bundesversammlung im Berliner Reichstagsgebäude schicken, was Gaucks Hoffnung auf die Stimmen von "Überläufern" verringert.

Gauck ist für Linke ein schwieriger Fall

Wulkff und Merkel (AP Photo/Michael Sohn)
Christian Wulff - Merkels KandidatBild: AP

Auch Gaucks Aussichten, letztlich tatsächlich Unterstützung aus dem linken Lager zu bekommen, sind ungewiss. Innerhalb der Partei sind die Meinungen gespalten, ob man wirklich in letzter Konsequenz den einstigen "Stasi-Jäger" mitwählen sollte, um Schwarz-Gelb eins auszuwischen. Seit dem Zusammenbruch der DDR ist die Aufarbeitung der Stasi-Akten, die Überprüfung Hunderttausender Bewerber für den öffentlichen Dienst und die öffentliche Brandmarkung von einstigen Spitzeln ein schwieriges Thema für die Linke. Gauck, der die zuständige Behörde zehn Jahre lang leitete, zog sich Wut und Hass aus den Reihen der ostdeutschen PDS zu. Noch heute sehen viele Mitglieder der Linken in der Stasi einen Geheimdienst, wie es viele in der Welt gibt. Die Linken-Parteiführung in Berlin braucht Fingerspitzengefühl und gute Gründe, will sie den einstigen "Herrn der Akten" ihrer Basis als wählbar vermitteln.

Doch selbst in den Führungszirkeln gehen die Meinungen auseinander. Für die Bundesgeschäftsführerin der Linken, Caren Ley, ist Gauck nicht wählbar, weil ihm das soziale Engagement fehlt. Sie kann sich weder bei Wulff noch bei Gauck vorstellen, dass sie öffentlich protestierten, wenn die Regierung die Bürger mit einem Sparhaushalt schröpfe. Doch solch einen sozial engagierten Bundespräsidenten brauche man.

Der von den Parteichefs Angela Merkel, Guido Westerwelle und Horst Seehofer gemeinsam präsentierte Kandidat Christian Wulff lieferte am Dienstag (08.06.2010) einen ersten Beweis dafür, dass er zumindest in diesem Punkt die eigene Koalition nicht in Schwierigkeiten zu bringen gedenkt. Er lobte das umstrittene jüngste Sparpaket der Regierung als "sozial ausgewogen".

Autor: Bernd Grässler

Redaktion: Silke Wünsch